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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

möglich. Die in den Augen der Welt musterhafte, aber kinderlose Ehe hatte vor sieben Jahren mit dem Tode der Frau von Raven ihr Ende gefunden, und der Freiherr, dem laut Testament das ganze Vermögen zufiel, schritt zu keiner zweiten Vermählung. Der stolze, immer nur mit seinen ehrgeizigen Plänen beschäftigte Mann hatte niemals Empfänglichkeit für die Liebe und die Freuden der Häuslichkeit gehabt und hätte wahrscheinlich nie geheirathet, wäre die Heirath ihm nicht eine Staffel zum Emporsteigen gewesen. Da dieser Grund nun fortfiel, dachte er nicht daran, sich von Neuem zu fesseln, und jetzt, wo er am Ende der Vierzig stand, war ja überhaupt keine Rede mehr davon.

Es war am Morgen nach der Ankunft der Baronin Harder und ihrer Tochter, als die Erstere sich mit ihrem Schwager in dem kleinen Salon ihrer Wohnung befand. Die Baronin zeigte noch Spuren einstiger Schönheit, war aber bereits vollständig verblüht. Die Menge der aufgewendeten Toilettenkünste mochte vielleicht noch Abends beim Kerzenschein ihre trügerische Wirkung thun, das helle Tageslicht aber enthüllte die Wahrheit unbarmherzig dem Auge des Freiherrn, der ihr gegenüber saß.

„Ich kann Ihnen die Auseinandersetzung nicht ersparen, Mathilde,“ sagte er, „wenn ich auch begreife, wie peinlich sie Ihnen ist, aber einmal wenigstens muß die Sache zwischen uns erörtert werden. Auf Ihren Wunsch habe ich es unternommen, den Nachlaß des Barons zu ordnen, so weit sich das von hier aus thun ließ. Es war ein Chaos, das ich kaum mit Hülfe Ihres Rechtsanwaltes bewältigen konnte; jetzt endlich ist es geschehen. Ich habe Ihnen das Resultat bereits nach der Schweiz gemeldet.“

Die Baronin drückte ihr Taschentuch an die Augen. „Ein trostloses Resultat!“

„Aber kein unerwartetes! Es ist leider nicht möglich gewesen, Ihnen auch nur einen geringen Theil des Vermögens zu retten. Ich gab Ihnen den Rath, auf einige Zeit in’s Ausland zu gehen, denn es wäre für Sie doch zu demüthigend gewesen, den Verkauf Ihres Hotels und die Auflösung Ihres ganzen Haushaltes in der Residenz mit ansehen zu müssen. Ihre Entfernung ließ diesen Act der Nothwendigkeit mehr als freien Entschluß erscheinen, und ich habe dafür gesorgt, daß man in der Gesellschaft so wenig wie möglich von der Lage der Dinge erfuhr. Jedenfalls ist die Ehre des Namens gewahrt, den Sie und Gabriele tragen, und Sie brauchen nicht zu fürchten, daß er von einem der Gläubiger an den Pranger gestellt wird.“

„Ich weiß, welche große persönliche Opfer Sie gebracht haben,“ sagte Frau von Harder. „Mein Rechtsanwalt hat mir ausführlich geschrieben – Arno, ich danke Ihnen.“

Es war wohl eine Aufwallung wirklichen Gefühls, mit dem sie ihm die Hand hinstreckte, aber die abwehrende Bewegung des Freiherrn war so eisig, daß jede wärmere Empfindung davor erstarb.

„Ich that nur, was das Andenken meines Schwiegervaters mir zur Pflicht machte,“ entgegnete er. „Seine Tochter und seine Enkelin haben unter allen Umständen Anspruch auf meinen Schutz, und ihr Name mußte um jeden Preis rein gehalten werden. Diesen Rücksichten habe ich die Opfer gebracht, nicht Gefühlsregungen, zu denen ich keine Ursache hatte, denn Sie wissen, der verstorbene Baron und ich waren alles Andere, nur nicht Freunde.“

„Ich habe diese Entfremdung stets tief beklagt,“ versicherte die Baronin. „Mein Gatte suchte in den letzten Jahren vergebens eine Annäherung. Sie waren es, der sich völlig unzugänglich zeigte. Konnte er Ihnen einen höheren Beweis seiner Achtung, seines Vertrauens geben, als den, sein Theuerstes Ihren Händen anzuvertrauen? Er ernannte Sie auf seinem Sterbebette zum Vormunde Gabrielens.“

„Das heißt, nachdem er sich ruinirt hatte, überließ er die Sorge für Weib und Kind mir, den er im Leben bei jeder Gelegenheit angefeindet. Ich weiß, wie hoch ich diesen Beweis des Vertrauens zu schätzen habe.“

Die Baronin nahm wieder ihre Zuflucht zu dem Taschentuche. „Arno, Sie wissen nicht, wie grausam Ihre Worte sind. Haben Sie denn keine Schonung für die Gefühle einer schwergebeugten Wittwe?“

Statt aller Antwort glitt der Blick des Freiherrn langsam über das elegante graue Seidenkleid der Dame hin. Sie hatte pünktlich mit Ablauf des Wittwenjahres die Trauer abgelegt, da sie wußte, daß Schwarz sie sehr unvorteilhaft kleidete. Der unverkennbare Spott, der in dem Blicke ihres Schwagers lag, rief aber doch eine leichte Röthe des Aergers oder der Verlegenheit auf ihrem Antlitz hervor, als sie fortfuhr:

„Ich fange jetzt erst an nach der furchtbaren Katastrophe wieder aufzuathmen. Wenn Sie ahnten, welche Sorgen und Demüthigungen ihr vorangingen, welche Verluste von allen Seiten auf uns einstürmten – es war entsetzlich.“

Um die Lippen des Freiherrn zuckte es wie bitterer Sarkasmus. Er wußte sehr gut, daß die Verluste des Barons am Spieltisch entstanden waren und daß die Sorgen seiner Gemahlin darin bestanden, mit ihrer Toilette und ihren Equipagen alle übrigen Damen der Residenz zu verdunkeln. Die Baronin hatte bei dem Tode des Ministers das gleiche Vermögen empfangen, wie ihre Schwester; es war bis auf den letzten Rest verschwendet worden, während das der Frau von Raven sich noch unangetastet in den Händen ihres Gatten befand.

„Genug!“ sagte er abbrechend. „Lassen wir diesen unerquicklichen Gegenstand fallen! Ich habe Ihnen mein Haus angeboten und freue mich, daß Sie den Vorschlag annahmen. Seit dem Tode meiner Frau habe ich mich mit Freunden behelfen müssen, die wohl dem Haushalte vorstehen, aber doch nicht den Ansprüchen genügen konnten, die man an die Dame des Hauses stellt. Sie verstehen und lieben die Repräsentation, Mathilde, und ich habe gerade in dieser Beziehung viel vermißt. Unsere beiderseitigen Interessen begegnen sich also, und ich denke, wir werden mit einander zufrieden sein.“

Seine Worte klangen sehr kalt und gemessen. Freiherr von Raven schien durchaus nicht geneigt, in der Rolle eines Retters und Wohlthäters seiner Verwandten, der er in der That war, zu glänzen, er behandelte die Sache durchaus geschäftsmäßig.

„Ich werde mich bemühen, Ihren Wünschen nachzukommen,“ versicherte Frau von Harder, indem sie dem Beispiele ihres Schwagers folgte, der sich erhob und an das Fenster trat. Er richtete noch einige gleichgültige Fragen an sie, ob die Einrichtung, die Bedienung nach ihren Wünschen sei, ob sie irgend etwas vermisse, aber er hörte kaum auf den Schwall von Worten, mit denen die Dame beteuerte, daß sie alles entzückend finde seine Aufmerksamkeit war auf etwas ganz Anderes gerichtet.

Unmittelbar unter dem Fenster befand sich ein Gärtchen, das zur Wohnung des Castellans gehörte, dort promenirte Fräulein Gabriele, oder vielmehr, sie jagte sich mit den beiden Kindern des Castellans umher, denn diese Wendung hatte die Promenade schließlich genommen. Als die junge Dame dann den Morgenspaziergang unternahm, um sich mit den neuen Umgebungen vertraut zu machen, wie sie ihrer Mutter sagte, interessirte sie sich zunächst nur für einen gewissen Theil dieser Umgebungen. Sie wußte, daß Georg Winterfeld täglich das Regierungsgebäude betrat; es galt also die Möglichkeit einer

öfteren Begegnung ausfindig zu machen, von der Georg behauptete, daß sie äußerst schwierig sei. Gabriele theilte diese Ansicht durchaus nicht, und ihre Recognoscirung war daher vorläufig nur auf die Entdeckung gerichtet, wo die Kanzlei des Freiherrn, in welcher der junge Beamte arbeitete, denn eigentlich liege. Dabei kamen ihr aber der kleine siebenjährige Knabe des Castellans und dessen Schwesterchen in den Weg, mit denen sie sofort Bekanntschaft machte. Die lebhaften, munteren Kinder erwiderten die Freundlichkeit der jungen Dame mit großer Zutraulichkeit, und bei der letzteren drängte die neue Bekanntschaft bald jeden Gedanken an ihren Entdeckungszug, und leider auch an den, dem er galt, in den Hintergrund. Sie ließ sich von den Kleinen in das Gärtchen ziehen, das hinter der Castellanswohnung, getrennt vom eigentlichen Schloßgarten, lag, sie bewunderte mit den Kindern die Gesträuche und Blumenbeete und wurde immer vertrauter mit ihnen; nach kaum einer Viertelstunde war bereits ein mit dem nöthigen Lärm versehenes Spiel im Gange, bei dem Fräulein Gabriele genau ebenso viel leistete, wie ihre kleinen Spielgefährten. Sie sprang ihnen nach über die Beete und neckte sie auf alle nur mögliche Weise. So unpassend das nun auch für ein siebenzehnjähriges Fräulein und für die Nichte des Gouverneurs sein mochte, so reizend war der Anblick für einen unbefangenen Beobachter. Jede Bewegung des jungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_176.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2016)