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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

kaufe ich schon gar nicht mehr; ich habe ein Haar darin gefunden, seit mir die Ratzen fast alle meinen Champagner ausgesoffen haben.“

Unter allgemeiner Sensation: „Die Ratzen!?“

„Ja, die Ratzen, meine Herren, und zwar die Wasserratzen, die sich im Keller meiner jetzigen Wohnung hinter der Castorkirche an der Mosel in prächtigen Exemplaren zahlreich eingefunden. Glauben Sie denn, daß diese Canaillen nur Wasser saufen? Wein ist ihre Leidenschaft, und welche Quantität eine solche Bestie vertragen kann, davon habe ich mich durch den Augenschein überzeugt.“

Etwas indignirt meinte der Major: „Aber, lieber Baron, das scheint mir doch wunderbar. Wie haben denn die Ratzen die Flaschen aufmachen können?“

„Wie? Ja, es ist mir schwer geworden, dahinter zu kommen, aber mit Hülfe meines alten pfiffigen Heinrich, den ich anfänglich allerdings in Verdacht hatte, daß er den Champagner in seine Kehle hätte fließen lassen, gelang es mir doch. Wie machen sie es? Zuerst nagen sie den Draht durch, was ihnen leicht wird; dann wickelt die stärkste Ratze ihren Schwanz um den Pfropfen; die anderen rütteln nach Kräften an der Flasche – ein starker Ruck mit dem Schwanze, der Kork fliegt heraus, und das schäumende Naß wird gierig von den lüsternen Bestien gesoffen.“

Ein homerisches Gelächter lohnte den keine Miene verziehenden Erzähler. Der Major aber gab sein Spiel noch nicht verloren; er wollte durchaus den Baron überführen: „Lassen denn aber die Ratzen Euren anderen Wein ungeschoren? Ihr habt doch sonst noch gute Sorten im Keller.“

Schnell gefaßt replicirte unser Hauptmann: „Aber, lieber Major, wie könnt Ihr nur so fragen, wie sollen sie es denn anfangen, die Flaschen zu öffnen? Die Korke sind ja dicht am Glase abgeschnitten und verpicht; sie können also auch nicht den Schwanz herumwickeln, und das Glas vermögen sie nicht zu zernagen.“

Nochmals schallendes Gelächter; der Major schwieg – er war um mehrere Längen geschlagen; die Infanterie hatte über die Artillerie den Sieg davon getragen.

Dergleichen humoristische Lügenduelle fanden hier nicht selten statt, sie dienten aber nur dazu, die Harmonie der Kämpfenden immer inniger zu gestalten, und führten nicht selten zu dem Resultate, daß der Major einen Puter oder eine fette Gans und der Hauptmann von Capernaum einige Flaschen des von den Ratzen noch verschonten Sects als Sühneopfer darbrachten und es sich gemeinschaftlich wohlschmecken ließen.

Etwa sechs Monate nach der eben skizzirten Sitzung wurde Major H. zum Oberstlieutenant befördert. Die erste Freude war groß, doch sie sollte leider nicht vierundzwanzig Stunden ungetrübt bleiben.

An einem Sonnabendnachmittag wurde dem Major die Ernennung zum Oberstlieutenant notificirt; eine Sitzung im Freundeskreise beim Weine im Trier’schen Hofe folgte. Dieselbe mochte sich wohl etwas über die Gebühr verlängert haben, denn der Gefeierte konnte sich am Sonntag erst spät den Armen Morpheus’ entwinden. Die Wachtparade auf dem Clemensplatz war bereits aufgezogen; der gestrenge commandirende General, Excellenz v. B., den der Volksmund „König der Rheinprovinz“ nannte, gab eben vor der langen Front der Officiere und Unterofficiere der Garnison die Parole aus, und die Musik des Regiments gruppirte sich zum Concertiren, als Oberstlieutenant H. im neuesten Paradeanzuge mit decorirtem Czako etc. aus seiner nahen Wohnung in der Schloßstraße angestürmt kam, um sich bei den hohen militärischen Würdenträgern behufs seiner Rangerhöhung zu melden. Bis zum Commandirenden vorgedrungen und die Hand an den Czako legend, um seine Meldung zu machen, bemerkte er, daß im anwesenden Publicum und selbst in den Reihen der Officiere und Unterofficiere große Unruhe und Gelächter entstand. Ehe er noch zum Worte kommen konnte, herrschte ihn die Excellenz an: „Oberstlieutenant H., was bringen Sie da für ein Gefolge mit?“ Bestürzt sah sich der Unglückliche um und – o Graus! – seinen Fersen folgte ein stattlicher Haushahn und hinter diesem sein ganzer Harem von beinahe einem halben Hundert Hühnern in geschlossener Colonne, in der Mitte von einigen Putern überragt und als Arrieregarde einige watschelnde Enten und Gänse. Wahrscheinlich hatte das Völkchen heut das gewohnte Morgenfutter aus der Hand seines Gebieters noch nicht empfangen und dieser beim Fortstürmen nach dem Paradeplatz das Hofthor zu schließen vergessen. Nun folgte ihm, treu wie sein Schatten, die gefiederte Colonne, den frechen Hahn als Führer. Man kann sich die Aufregung denken, welche diese Scene hervorrief. Die Jagd des Publicums, die Bemühungen der abgeordneten Unterofficiere und Ordonnanzen waren vergeblich; die erregte Schaar war nicht vom Platze zu bringen, bis endlich die gestrenge Excellenz dem verzweiflungsvoll und rathlos dastehenden neuen Oberstlieutenant, der sicherlich freudiger einer feuernden Batterie entgegengegangen wäre, zurief. „Nun bringen Sie Ihr sonderbares Gefolge auch wieder nach Hause, Herr Oberstlieutenant!“ Dies half. Wohl oder übel mußte der Schwergeprüfte sich an die Spitze seines gefiederten Völkchens stellen. Er lockte dasselbe, und willig folgte es, bis es mit seinem Herrn und Gebieter hinter dem Thore der Gartenmauer verschwand. Da man zu jener Zeit noch wenig hohe Politik trieb, eine türkische Frage nicht vorhanden war und Parlamentswahlen nicht bevorstanden, so bildete dieses Ereigniß wochenlang das Tagesgespräch in allen Kreisen der schönen Confluentia.




Sprechmaschinen.
(Edison’s Phonograph.)

Die neueste aus dem Telephon hervorgewachsene Erfindung, der Phonograph des amerikanischen Physikers Thomas A. Edison ist eine kleine Maschine, die jeden ihr einmal vorgesagten Redesatz, jedes ihr vorgesungene Lied getreulich in ihrer walzenförmigen Gedächtnißtafel bewahrt und nach Belieben sogleich oder später mit vollkommenster Stimmennachahmung wiederholt. Eine solche Maschine könnte, wie man sieht, der Stimme einer berühmten Sängerin über deren Grab hinaus Dauer verleihen; sie könnte den Dialog einiger ausgezeichneten Schauspieler fixiren und das Sprüchwort. „Die Nachwelt flicht den Mimen keine Kränze“ für einen gegebenen Fall in Frage stellen. Damit sieht sich wieder einmal ein alter Herzenswunsch der Menschheit erfüllt, denn die Bemühungen, eine sprechende oder singende Maschine zu Stande zu bringen, sind so alt, wie die Geschichte.

Alte Schriftsteller erzählen uns bereits von sprechenden und singenden Figuren aus Gold, die an den Decken der babylonischen und griechischen Paläste und Tempel angebracht waren, von sprechenden Köpfen, welche den Menschen die Zukunft und den Willen der Götter verkündeten, ärmliche Abschlagszahlungen des Problems, bei denen die menschliche Sprache durch versteckte Röhren in die Figuren und Köpfe geleitet wurde, zur Täuschung leichtgläubiger Personen. Endlich im dreizehnten Jahrhundert soll Albert von Bollstädt, der Bischof von Regensburg, den man wegen seiner außerordentlichen Kenntnisse den Großen nannte, jene Aufgabe der mechanischen Stimmennachbildung völlig gelöst und eine Figur angefertigt haben, die seinen Besuchern nicht nur die Thür öffnete, sondern sie auch mit verständlicher Stimme begrüßte. Aber als ihn der (trotz seines Unglaubens in Sachen der unbefleckten Empfängniß) unter die Heiligen versetzte Thomas von Aquino eines Tages besuchte, entsetzte er sich dermaßen vor dem sprechenden Automaten, daß er das Teufelswerk mit seinem Stocke in Stücke schlug und dadurch, wie die Sage berichtet, dem Künstler die schmerzliche Klage auspreßte. „Da geht die Arbeit von dreißig Jahren zu Grunde.“

Wie es sich hiermit nun auch verhalten haben mag, die Ansicht, daß die menschlichen Stimmwerkzeuge auch nur ein Instrument, wie eine Flöte oder Orgel seien, machte sich früh geltend, und ebenso früh erschien Mechanikern und Naturforschern der Gedanke verführerisch, ein solches Instrument zu erbauen. In jenem astronomischen Märchen, von welchem die „Gartenlaube“ im vorigen Jahrgang (Nr. 14) Näheres mittheilte, in der Mondreise, sprach der große Kepler seine Ueberzeugung aus, daß es der Mechanik einst sicher gelingen werde, die menschliche Stimme nachzubilden nur fürchtete er, daß der Kunststimme die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_169.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)