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verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Ich bitte noch einmal, Excellenz: nehmen Sie diese harten Maßregeln zurück! Sie können unmöglich die ganze Stadt für die Ausschreitungen Einzelner verantwortlich machen.“

„Auch ich bin der Meinung, daß man nicht mit solcher Schärfe vorzugehen braucht. Es wird nicht schwer sein, die Schuldigen herauszufinden und sich ihrer zu versichern.“

„Sie sollten der Sache nicht solche Wichtigkeit beilegen, Excellenz. Sie verdient es in der That nicht.“

Der Gouverneur von Raven, an den all diese Mahnungen und Vorstellungen gerichtet waren, schien sehr wenig davon berührt zu werden, denn er erwiderte mit kalter Höflichkeit:

„Ich bedauere aufrichtig, meine Herren, mich in so vollständigem Widerspruch mit Ihren Ansichten zu befinden, aber ich habe den Entschluß nach reiflicher Ueberlegung gefaßt, und überdies wissen Sie, daß ich niemals eine bereits angeordnete Maßregel zurücknehme. Es bleibt dabei.“

Die Herren, welche sich im Regierungsgebäude von R. in dem Empfangszimmer des Gouverneurs befanden, schienen eine längere und lebhafte Conferenz gehabt zu haben; sie waren sämmtlich etwas erregt, bis auf den Freiherrn selbst, der mit unerschütterlicher Ruhe in seinem Sessel lehnte.

„Ich sollte meinen,“ sagte Derjenige, welcher zuerst gesprochen, „daß meine Stimme als die des Vertreters der Stadt doch von einigem Gewicht wäre. Um so mehr, als diesmal auch der Polizeidirector auf meiner Seite steht.“

„Allerdings,“ bestätigte der Genannte mit vorsichtiger Zurückhaltung. „Indeß bin ich erst zu kurze Zeit in meinem Amte, um die hiesigen Verhältnisse schon eingehend zu kennen. Excellenz werden das jedenfalls besser beurtheilen.“

„Ich fürchte nur,“ wandte sich der Dritte der Herren, der die Uniform eines Obersten trug, an den Gouverneur, „ich fürchte, man wird Ihre Strenge mißdeuten und sie als persönliche Besorgniß auffassen.“

Um die Lippen des Freiherrn spielte ein verächtliches Lächeln. „Seien Sie unbesorgt!“ entgegnete er. „Man kennt mich in R. zu gut, um mir Furcht zuzutrauen. Der Vorwurf bleibt mir unter allen Umständen erspart.“

Er erhob sich und gab damit das Zeichen zur Beendigung der Conferenz. Freiherr Arno von Raven stand im vollsten, reifsten Mannesalter und war trotz seiner sechs- oder siebenundvierzig Jahre noch eine imponirende Erscheinung. Die hohe, mächtige Gestalt hatte schon in ihrem bloßen Auftreten etwas Gebietendes. Die stolzen energischen Züge waren nicht schön und konnten es auch wohl nie gewesen sein, aber sie waren bedeutend und charakteristisch in jeder Linie. In das volle dunkle Haupthaar mischte sich noch kein Grau, nur an den Schläfen verrieth ein leichter Silberglanz, daß die Mitte des Lebens bereits überschritten war. Dagegen sprach aus den dunklen blitzenden Augen noch die ganze Vollkraft dieses Lebens, aber der Blick hatte etwas Strenges, Finsteres und gewann, sobald er sich fest auf einen Gegenstand richtete, eine durchbohrende Schärfe. Die Haltung war ein Gemisch von ruhiger Vornehmheit und unnahbarem Stolze. Auch nicht der leiseste Zug verrieth den Emporkömmling. Der Mann sah aus, als habe er von jeher nichts Anderes gekonnt, als befehlen und herrschen.

„Es handelt sich hier nicht um mich,“ fuhr er fort. „So lange die Schmähungen und Drohbriefe mir anonym zugingen, habe ich sie dem Papierkorb überantwortet, ohne weiteres Gewicht darauf zu legen. Wenn dergleichen sich aber offen und aller Welt sichtbar an den Mauern des Regierungsgebäudes findet, wenn man Miene macht, mich bei meinen Ausfahrten zu insultiren, und die Herren von der Bürgerschaft sich demonstrativ jedes Einschreitens enthalten, so ist es meine Pflicht, ernstlich vorzugehen. Ich bin die oberste Behörde der Provinz; dulde ich den Unfug, der sich gegen meine Person richtet, so gefährde ich damit die Autorität der Regierung, die zu vertreten ich berufen bin und die ich unter allen Umständen aufrecht erhalten muß. Ich wiederhole Ihnen, Herr Bürgermeister, daß ich es bedaure, Polizeimaßregeln verhängen zu müssen, die vielleicht schwer empfunden werden, aber die Stadt hat sich das selbst zuzuschreiben.“

„Wir sind es gewohnt, daß Excellenz sich in solchen Fällen nie von Rücksichten bestimmen lassen,“ sagte der Bürgermeister mit Schärfe. „Es bleibt mir also nur übrig, Ihnen, die volle Verantwortlichkeit zu lassen – und damit wäre unser Gespräch ja wohl zu Ende.“

Der Freiherr verneigte sich kühl. „Ich wüßte nicht, daß ich mich jemals der Verantwortung für meine Maßnahmen entzogen hätte; es wird auch diesmal nicht geschehen. Leben Sie wohl, meine Herren!“

Der Bürgermeister und der Polizeidirector verließen das Gemach und schritten durch die weiten Gänge des Regierungsgebäudes dem Ausgange zu. Auf dem Wege konnte der Erstere, ein etwas cholerischer alter Herr mit grauen Haaren, nicht umhin, seinem lang zurückgehaltenen Aerger Luft zu machen.

„Also haben wir mit all unsern Bitten, Mahnungen und Vorstellungen wieder einmal nichts erreicht, als ein souveränes: ‚Es bleibt dabei!‘“ sagte er zu seinem Begleiter. „Auch Sie scheinen sich diesem berühmten Lieblingswort Seiner Excellenz zu beugen. Ihre Opposition verstummte davor sofort.“

Der Polizeidirector, ein noch jüngerer Mann mit scharfen klugen Zügen und sehr höflichen Manieren, zuckte die Achseln. „Der Freiherr ist oberster Chef der Verwaltung, und da er erklärt hat, mich auf alle Fälle mit seiner Verantwortlichkeit zu decken, so –“

„Fügen Sie sich seinem Willen,“ ergänzte der Andere. „Im Grunde ist das nur natürlich. Sie haben schwerlich Lust, das Schicksal Ihres Amtsvorgängers zu theilen.“

„Jedenfalls hoffe ich meiner Stellung besser gewachsen zu sein als er,“ war die artige, aber bestimmte Antwort. „So viel ich weiß, wurde mein Vorgänger wegen Unfähigkeit auf einen anderen Posten versetzt.“

„Da irren Sie sehr. Er fiel, weil er dem Freiherrn von Raven nicht genehm war, und sich bisweilen herausnahm, eine andere Meinung als Dieser zu haben. Er mußte dem allmächtigen Willen weichen, der uns nun so lange schon unumschränkt regiert. Das heutige Auftreten unseres Gouverneurs wird Ihnen besser als eine monatelange Amtsdauer gezeigt haben, wie die ‚hiesigen Verhältnisse‘ eigentlich liegen, und Sie haben bereits Ihre Partei gewählt, wie mir scheint.“

Die letzten Worte klangen sehr anzüglich, aber der Polizeidirector schien das nicht zu bemerken; er lächelte nur verbindlich, ohne etwas zu erwidern, und da sie den Ausgang jetzt erreicht hatten, trennten sich die beiden Herren.

Im Zimmer des Freiherrn war Dieser mit dem Oberst zurückgeblieben. Letzterer, der Commandant des Regimentes, das die Garnison von R. bildete, war eine echt militärische Erscheinung, aber trotzdem und trotz seiner Uniform und Orden vermochte er doch nicht den Vergleich mit der gebietenden Gestalt des Gouverneurs auszuhalten, der den einfachen Civilanzug trug.

„Sie sollten nicht allzu schroff vorgehen, Excellenz,“ nahm der Oberst das Gespräch wieder auf. „Man sieht höheren Ortes diese fortwährenden Conflicte mit der Bürgerschaft sehr ungern.“

„Glauben Sie, daß ich diese Conflicte liebe?“ fragte der Freiherr. „Aber Nachgiebigkeit wäre hier Schwäche, und die wird man mir hoffentlich nicht zumuthen.“

Der Andere schüttelte mit dem Ausdruck der Besorgniß den Kopf. „Sie wissen, daß ich einige Wochen lang in der Residenz war,“ begann er von Neuem. „Ich habe viel im Ministerium verkehrt. Im Vertrauen gesagt, die Stimmung ist dort keine für Sie günstige. Man liebt Sie durchaus nicht.“

„Das weiß ich,“ sagte Raven kalt. „Ich bin den Herren von jeher unbequem gewesen. Ich war ihnen nie fügsam, nie devot genug, und überdies können sie mir meine bürgerliche Herkunft nicht verzeihen. Meine Carrière war nun einmal nicht zu hindern, aber Sympathie habe ich in jenen Kreisen nie besessen.“

„Eben deshalb sollten Sie vorsichtig sein. Es werden Versuche gemacht, Ihre Stellung zu erschüttern. Man spricht von Willkür, von Uebergriffen, und all Ihre Maßregeln werden in schärfster, oft in gehässigster Weise besprochen und kritisirt. Fürchten Sie nicht die gegen Sie gesponnenen Intriguen?“

„Nein, denn ich bin den maßgebenden Persönlichkeiten allzu nothwendig und werde dafür sorgen, daß diese Nothwendigkeit bestehen bleibt, trotz meiner ‚Willkür‘ und meiner ‚Uebergriffe‘. Ich kenne am besten die Schwierigkeiten meiner hiesigen Stellung;

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