Seite:Die Gartenlaube (1878) 136.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

allein die volle Kenntniß der Tagesgeschichte, sondern eine wirkliche Enträthselungsgabe von der Seite des betreffenden Redacteurs erfordert. Sehr selten jedoch kommt es vor, daß eine Depesche wegen Unverständlichkeit in den Papierkorb wandert. In den meisten Fällen gelingt es, die Wortungethüme auseinander zu trennen und die verrenkten Sätze grammatikalisch gerade zu richten. Wenn es die Zeit zuläßt, werden sie auch noch zur Noth stylistisch gestriegelt und gebürstet und wandern nach dieser Procedur in die Setzerei. Die Telegramme genießen vor den übrigen Manuscript die Bevorzugung, daß sie knapp vor Schluß des Blattes einlangen dürfen. In diesem Falle beschränkt sich die Fürsorge der Redaction auf die äußerliche Toilette. Die Kritik des Inhaltes bleibt verschoben bis zum Erscheinen des nächsten Blattes, und um diesen Unterschied auch dem Leser kenntlich zu machen, erhalten diese Spätlinge die Aufschrift: „Nach Schluß der Redaction“ oder was dasselbe heißen soll: „Nachtrag“.

Sobald die Formen des Satzes „umbrochen“, das heißt in die dem Format des Blattes entsprechenden Seiten verwandelt sind und in der Maschine liegen, ist die Aufnahme selbstverständlich auch für die Depeschen geschlossen. Nur bei ganz außerordentlich wichtigen Nachrichten entschließt man sich zu einer neuen Auflage. Es braucht deswegen der begonnene Druck nicht eingestellt zu werden, sondern es wird nur die letzte Seite mit der Einschaltung der neuen Nachricht neu zusammengestellt und sodann die früher hergestellte Platte gegen die neue Platte ausgetauscht.

Der Herstellungsproceß ist der gleiche, ob ein Morgen- oder ein Abendblatt zusammengestellt wird. Der Unterschied liegt in der Zeit des Erscheinens, und darnach richtet sich auch der Umfang des Plattes. Ein Abendblatt, das in den frühen Abendstunden ausgegeben werden soll, muß bei den schnellsten Maschinen mindestens um zwei Uhr druckfertig sein. Da aber die Posten spät eintreffen, da Parlament, Börse etc., die erst gegen Mittag ihre Thätigkeit beginnen, berücksichtigt werden müssen, so drängt sich die Hauptmasse des Manuscripts in der Mittagsstunde zusammen. Die Redaction muß sich auf die knappe Mittheilung der Thatsachen beschränken und das Raisonnement für das Morgenblatt aussparen. Dadurch schon wird das Morgenblatt zum Hauptblatt, abgesehen davon, daß zwischen der Herstellung und dem Erscheinen eine ganze Nacht liegt, daher die Zeit zur Redaction und zum Druck viel reichlicher zugemessen ist. Die Redactionsarbeit kann unmittelbar nach dem Erscheinen des Abendblattes begonnen, und bei schnellen Maschinen kann man mit dem Beginne des Druckes bis zu den ersten Morgenstunden warten und dennoch mit den letzten Nachrichten rechtzeitig für den Frühstückstisch erscheinen. Denn eine solche Walter- oder Howe-Maschine bewältigt in einer Stunde eine Auflage von acht- bis zehntausend Exemplaren. In den englischen Redactionen, welche technisch am besten ausgerüstet sind, werden in der That die Berichte aus dem englischen Parlamente noch in das Frühblatt aufgenommen. Bekanntlich tagen beide Häuser des englischen Parlaments in der Nacht, und der Bericht über eine Sitzung, die um vier Uhr Morgens geschlossen, ist in der „Times“ eine Stunde später vollinhaltlich zu lesen.

Auch auf dem Continent sind schon derartige Maschinen eingebürgert, aber die Leistungsfähigkeit derselben wird selten in solchem Umfange ausgenützt. Und in der Regel ist auch keine Nöthigung hierzu vorhanden. Das ganze öffentliche Leben spielt sich in den Tagesstunden ab. Um drei oder vier Uhr haben die deutschen und französischen Parlamente ihre Sitzungen geschlossen. Um fünf oder sechs Uhr kann der Bericht darüber in der Redaction vorliegen. Es kann nach den Angaben des Chefredacteurs der leitende Artikel darüber mit der größten Muße geschrieben werden. Von fünf bis acht Uhr Abends dauert die Ankunft der Posten. Um neun Uhr etwa findet eine Depeschenausgabe statt, und es ist das Zeichen eines besonderen Fleißes, wenn diese Neun-Uhr-Telegramme noch als Artikelstoff benützt werden. Die letzten Depeschen, welche das Depeschenbureau aussendet, treffen meistens in der Mitternachtsstunde ein. Um diese Zeit ist aber die Redaction ausgeflogen; die Berichterstatter aus den Abendversammlungen haben ihre Berichte bereits abgeliefert und die Nachtvögel der Journalistik, die Theaterkritiker, ihre Recensionen schon in die Druckerei befördert. Zurückgeblieben ist nur noch der Nachtredacteur, und diesem fallen die Mitternachts-Depeschen, sowie alle später einlaufenden Privattelegramme zur Verwendung zu. Er sichtet sie, richtet sie ein und übergiebt sie den zurückgebliebenen Setzern, den sogenannten Postsetzern, zum Setzen. Etwa um zwei ober drei Uhr beendet auch der Nachtredacteur seine beschwerliche Amtsthätigkeit. Das Blatt ist für die gewöhnlichen Ereignisse geschlossen. Es müssen ganz außerordentliche Vorfälle sein, welche den zurückgebliebenen Druckereileiter bestimmen können, sich selbst zum Setzkasten zu stellen. Abgesehen von solchen außerordentlichen Ereignissen, bezeichnet die Entfernung des Nachtredacteurs den Schluß des Blattes und den Beginn des Druckes. Ueberall sind dann die Lichter erloschen, nur im Maschinenraume herrscht Leben und Bewegung; die Dampfmaschine stöhnt und ächzt; die Räder drehen sich in fieberhafter Schnelligkeit, und aus den Walzen fließen die weißen Bogen mit denn zahllosen schwarzen Zeichen, das geistige Brod des dämmernden Tages.

Sehr wichtig, aber auch eine besonders kritische Aufgabe für das Redactionsgeschäft sind neben der großen Zahl verschiedenartigster lithographirter Correspondenzen vor Allem die von den Bureaus für telegraphische Nachrichten ausgehenden Depeschen. Die betreffenden Unternehmer stehen leider meistens mit der Regierung in mehr ober weniger intimer Beziehung, und das ist ein Uebelstand, unter dem die ganze continentale Presse zu leiden hat. Denn die Kritik und Sichtung erfolgt nicht nach denn Grade der Wichtigkeit derselben für das Publicum, sondern nach jeweiligen Regierungsanschauungen. Die Zeitungen erfahren durch solche Bureaus nicht dasjenige, was vorgeht, sondern dasjenige, was die Regierung ihnen mitzutheilen für gut findet. Alle Blätter erhalten dadurch denselben officiösen Anstrich, und ein unabhängiges Blatt hat alle Hände voll zu thun, sich nur der bedientenhaften Ueberfluthung durch byzantinische Hofdepeschen zu erwehren. Hohe und höchste Herrschaften namentlich können nicht aus denn Bette steigen, ohne den elektrischen Draht in fieberhafte Bewegung zu setzen, und über irgend ein nichtssagendes Hofcermoniell werden wichtige Nachrichten vernachlässigt. In England und noch mehr in Amerika sind die Depeschenbureaus im Großen und Ganzen unabhängig von Regierungseinflüssen. Sie sind eben Privatunternehmungen, die sich mit dem Vertrieb von Zeitungsnachrichten befassen.

In Amerika haben die Zeitungen aus eigenen Mitteln ein Bureau zur Versorgung mit telegraphischen Nachrichten gebildet. Der Eintritt in diesen Verband kostet allerdings derzeit für jede neu eintretende Zeitung mehrere Tausend Dollars, aber die Leistungen des Unternehmens sollen nach den veröffentlichten Schilderungen großartig sein. Wie vor einiger Zeit in amerikanischen Blättern zu lesen war, besitzt dieses Unternehmen seine eigenen Dampfboote, welche den in New-York etc. einlaufenden Schiffen meilenweit entgegenfahren, um Briefe, Zeitungen, Nachrichten für die Redaction entgegen zu nehmen. Es sind dies der Beschreibung nach kleine Schiffe von großer Fahrgeschwindigkeit, welche nach Uebernahme ihrer Ladung an Nachrichten sofort bei der nächsten Telegraphenstation anlegen und die Essenz des Empfangenen allsogleich allen Verbands-Redactionen telegraphisch zukommen lassen. Lange bevor das Schiff in den Hafen eingelaufen, sind daher die Neuigkeiten, die es gebracht, auf den ganzen amerikanischen Continent bekannt. Wie Grant in seiner „Geschichte der englischen Presse“ erzählt, ist es schon vorgekommen, daß die Botschaft der Königin von England durch die Vermittelung jenes Verbandes in New-York früher bekannt und veröffentlicht war, bevor sie im englischen Oberhause verlesen wurde. – Die meisten unserer continentalen Telegraphenbureaus stehen im Wechselverkehr mit einander und bilden zusammen den internationalen Markt für Zeitungsnachrichten. Alle größeren Zeitungen haben für ihren speciellen Bedarf noch einen eigenen Depeschendienst eingerichtet.

Ist nun mit der Redactionsarbeit von den zahlreichen Zeitungssetzern zugleich das Geschäft des Satzes und Umbrechens, und

durch die Stereotypeure und Maschinenmeister sodann auch die Manipulation des „Zurichtens“ für den Druck beendigt (dies Alles wird sich in den demnächst erscheinenden Büchlein ausführlich beschrieben finden), so können bei guten Rotationsmaschinen schon eine Viertelstunde später einige Tausend Exemplare fertig gedruckt sein. Diese werden von der Maschine weg durch den Aufzug in die Expedition befördert, und nun erst beginnt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_136.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)