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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

beobachten könnte. Und in der That gehört denn auch unsere heutige Zeitung, von dieser Seite ihrer Herstellung und Aussendung betrachtet, zu jenen staunenswürdigen Leistungen und Spenden, wie sie nur die moderne Cultur durch die streng organisirte und genau ineinandergreifende Vereinigung hingebender Geistesthätigkeit mit den gewaltigen Mächten technischen Fortschrittes hervorzubringen vermag. Einige Blicke in diese Vielen noch so geheimnißvolle Werkstatt dürften daher den Zeitungsfreunden einen nicht geringeren Reiz gewähren, als dem Theaterfreunde ein kurzes Verweilen hinter den Coulissen des Schauspielhauses. Der Eintritt in die Geburtsstätten der Zeitungen steht nicht Jedermann offen, aber eine Schilderung einzelner Vorgänge wird uns doch ein annähernd deutliches Bild gewähren von dem complicirten und so überaus bewegten Getriebe, dessen begehrte Erzeugnisse an jedem Morgen und Abend fix und fertig in der Familie und den öffentlichen Localen auf den Tischen liegen.[1]

Der eigentliche Lesestoff oder der geistige und durch schriftstellerische Thätigkeit geschaffene Inhalt einer großen Zeitung wird von einem Redactionspersonale hergestellt, das, außer dem Hauptredacteur, dieser das Ganze übersehenden, leitenden und organisirenden Kraft, aus einem Generalstabe von Ressort- oder Abtheilungsredacteuren besteht. Die Zahl derselben hängt von der Organisation des Blattes ab; in der Regel sind nur die Hauptabtheilungen besetzt, nämlich die Politik, der locale und der volkswirthschaftliche Theil. In einem wohlorganisirten Bureau aber zerfallen diese Ressorts wieder in Unterabtheilungen. Der politische Theil hat da einen Redacteur für das Ausland und einen für das Inland; im volkswirthschaftlichen Theile werden die Waaren- und Marktberichte von dem Börsen- und Bankdepartement getrennt und haben ihre Unterchefs. Der Localredacteur gebietet dann selbstständig über eine kleine Armee von Mitarbeitern, und es stehen unter ihm ein Redacteur der Gerichtsberichte, ein Chef des Theaters, ein oder mehrere Polizeireporter. Ferner hat meistens auch das Feuilleton seinen eigenen Redacteur. Hiermit sind jedoch noch nicht alle einzelnen Fächer aufgeführt, weil jede besondere Specialität, die von einem Blatte gepflegt wird, einen besonderen Redacteur bedingt. Naturwissenschaftliche Beilagen, gewerbliche, Assecuranz-, Marine-Fachblätter erfordern einen Gelehrten oder Fachmann, wenn auch nicht immer als ständigen Redacteur, doch wenigstens als Redactionsconsulenten. Der Redacteur der Parlamentsberichte aber gehört nothwendig zum Redactionsverband, und er hat wieder seinen eigenen Stab von fixen Stenographen. Unter den sonstigen Beamten des Bureaus ist eine wichtige Persönlichkeit der sogenannte „Verantwortliche“, der am besten auch das Amt des Nachtredacteurs oder Revisors ausfüllen kann, weil er für Alles verantwortlich ist und Alles lesen soll. Daß der Theaterrecensent nicht der Letzte auf der Stufenleiter der Redaction ist, versteht sich wohl von selbst. Auch dem Redactionssecretär gebührt sein bescheidenes Plätzchen, nicht weniger sodann dem Manne, der mit flinker Hand auf der Börse die Course, oder auf denn Viehmarkte die Zahl des aufgetriebenen Schlachtviehes notirt. Der größere Theil aller dieser publicistischen Arbeiter versammelt sich nun beim Beginne der Geschäftsstunden in den geräumigen (neuerdings vielfach sehr elegant ausgestatteten und aus langen Zimmerreihen bestehenden) Redactionslocalitäten.

Zwei Umstände bestimmen nun die täglichen Arbeitsstunden einer Zeitungsredaction: die Ausgabezeit des Blattes und die Post. Ein Frühblatt wird in der Nacht, ein Abendblatt in den Vormittagsstunden gemacht. Beim zweimaligen Erscheinen giebt es also auch zweimalige Arbeit. Was die Schicht in den Fabriken, die Wacht auf dem Schiffe ist, das ist die Post in einer Redaction, der Regulator der Arbeit. Diese Verhältnisse sind wohl in allen großen Städten die gleichen, und so darf vorausgesetzt werden, daß so ziemlich in der ganzen Welt die Arbeit für das Abendblatt etwa um zehn Uhr Vormittags beginnt; denn um diese Zeit trifft die Frühpost ein. Die Redactionsdiener schleppen Berge von Zeitungen herbei, die sie von der Post mit oder ohne Wagen oder auch direct von den Bahnhöfen geholt haben. Andere bringen in großen Ledertaschen die eingelaufenen Briefe herbei. Die Zeitungen werden entweder in dem Lesezimmer – wo ein solches vorhanden ist – ausgelegt, oder von den Dienern kurzweg an die verschiedenen Abtheilungsredacteure vertheilt. Die erstere Methode ist aber die vernünftigere. Wo es geht, soll ein gemeinsames Lesezimmer eingerichtet und wenigstens die Lectüre der Hauptblätter gemeinsam vorgenommen werden. Es erleichtert dies wesentlich die Arbeit, indem ein Mitarbeiter den anderen auf das in sein Gebiet Einschlagende aufmerksam machen kann. Der Localredacteur findet eine politische Nachricht in einem Provinzblatte; er streicht sie für den Politiker an, und umgekehrt macht der Redacteur des Auslandes den Anderen auf ein interessantes Localereigniß, auf eine Theaternachricht und dergleichen in einem französischen oder englischen Journal aufmerksam. Hierdurch wird auch der Ideenaustausch gefördert und die erste Sichtung der vorliegenden Zeitungsnachrichten wesentlich erleichtert, indem gleichzeitig in collegialer Berathung entschieden wird, ob dieser oder jener Ausschnitt neu oder interessant genug ist, um ihn zum Abdruck zu empfehlen.

Die eingelaufenen Briefe wandern meistens auf den Tisch des Chefredacteurs, der sie öffnet, schnell durchfliegt und sie je nach dem Inhalte den verschiedenen Ressortredacteuren zuweist. Es ist dies eines der wenigen Routinegeschäfte des Chefredacteurs, das er sich übrigens auch ersparen kann. In diesem Falle werden die Briefe mit den Zeitungen vom Redactionsdiener den einzelnen Redacteuren direct übergeben, die Localbriefe dem Localredacteur, die inländischen dem Inlandredacteur, die ausländischen dem Auslandredacteur. – Die nächste Zeit nach der Lectüre der Briefe und Zeitungen ist sodann der Sichtung des Materials gewidmet. Die allgemeine Ansicht, daß die Zeitungen den Stoff mühsam zusammensuchen müssen, ist eine falsche. Die täglich wiederkehrende Calamität ist im Gegentheil Ueberfülle des Stoffes. Jeder der Mitarbeiter möchte gerade heute einen größeren Raum zur Verfügung haben, um all dasjenige unterzubringen, was nothwendig hinein muß. Und im engen Raume stoßen sich nun die Artikel. Eine hochwichtige Circularnote will dem gleichfalls hochinteressanten Einsturz eines Gerüstes nicht weichen, und der „Gerichtssaal“ macht sich über Gebühr breit und will den Leitartikler gar nicht zum Wort kommen lassen. In diesem Kampf um’s Dasein der verschiedenen Aufsätze ist der Chefredacteur die letzte und entscheidende Instanz. Der Metteur-en-pages, dieser gebietende Lenker des Satzgeschäfts, legt ihm den sogenannten „Spiegel“ vor, jenen Bogen Papier, auf welchem er die Rubriken oder auch die einzelnen Aufsätze mit ihrem jeweiligen Raumanspruch in Zeilen ausgedrückt verzeichnet hat. Der Vergleich der Summe seiner Zeilen mit der feststehenden Ziffer, welche das Blatt aufzunehmen vermag, ergiebt den Ueberschuß. Der Chefredacteur wägt und vergleicht nun die relative Wichtigkeit der verschiedenen Aufsätze, und was vor dieser Prüfung nicht als absolut unentbehrlich bestehen kann, wird unbarmherzig gestrichen und ist mit diesem Strich aus der Welt geschafft. Es führt als „Uebersatz“ eine stille Existenz in den Räumen des Setzersaales, bis es durch den Machtspruch des Redacteurs entweder auf’s Neue auf den Spiegel eines nächsten Blattes gestellt und nicht mehr gestrichen oder, als durch die Ereignisse überholt, „abgelegt“ wird. Das „Ablegen“, nämlich das Auseinandernehmen des Satzes, ist erst der wirkliche Tod des Manuscripts. Es verschwindet für immer aus der Welt, als ob der Aufsatz nie existirt hätte.

Die Richtigstellung des „Spiegels“ ist der Abschluß der Redactionsarbeit. Vorher hat sich bei jeder inzwischen neu einlaufenden Post die Zuweisung der einlaufenden Zeitungen und Briefe einige Male wiederholt. Dazwischen treffen Berichte aus dem Parlamente, aus dem Gerichtssaale, von der Börse etc. ein, die in der Regel keiner weiteren Redaction bedürfen, es sei denn, daß sie wegen Mangels an Raum gekürzt werden müssen. Die einlaufenden Telegramme aber müssen immer redactionell ergänzt und verbessert werden. Sie kommen meist in höchst bedauernswerthem Zustande an. Der Absender hat in der Regel, um in den begrenzten Rahmen einer einfachen Depesche so viel wie möglich einzupressen, den Worten Gewalt angethan. Der telegraphirende Beamte hat aus Unverstand oder Nachlässigkeit einige Verstümmelungen aus Eigenem hinzugefügt, und die Depesche langt in der Form eines Orakelspruches an, dessen Entzifferung nicht

  1. Die hier nachfolgenden Schilderungen und Mittheilungen sind mit einigen durch die Verpflanzung gebotenen Aenderungen den freundlich uns zur Verfügung gestellten Aushängebogen eines von J. H. Wehle verfaßten kleinen Buches entnommen, das in den nächsten Wochen unter dem Titel „Die Zeitung“ (bei A. Hartleben in Wien) erscheinen und eine ganze Reihe von interessanten und ausführlichen Aufschlüssen über den Gegenstand bieten wird.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_135.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)