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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


reichen, warum wollen Sie nicht jetzt noch thun, was zu allseitiger Beruhigung gereichen muß? Werner wird sich am Ziele seiner Wünsche sehen. Sie werden als seine Frau hier ganz an Ihrer Stelle sein, und Irmgard wird das nächste Hinderniß ihrer Vereinigung mit Robert hinweggeräumt sehen; die Zeit und ihre tiefe Neigung werden das Uebrige thun. Vergessen Sie nicht Ihre Mutterpflicht!“

Elise mußte ihm zustimmen, und sie that es ohne Vorbehalt.

Als der Entschluß feststand, wurde schleunigst zur Ausführung geschritten. „Ich habe nicht darum zu bitten gewagt,“ sagte Werner, als er darüber verständigt wurde, „aber daß es nun ohne meine Bitte geschehen soll, macht mich unendlich glücklich.“ Der Rath besorgte alles Erforderliche bei den Behörden; ein würdiger Geistlicher erklärte sich bereit, die kirchliche Trauung zu vollziehen, auch wenn nicht alle Formalitäten erledigt werden konnten. So kam die bestimmte Stunde heran.

Sie brachte einen unerwarteten Hochzeitsgast. Irmgard hatte ihre Unruhe nicht länger bezwungen. Ohne ihre Ankunft zu melden, hatte sie in der Gesellschaft einer alten Dame ihrer Verwandtschaft, die der Arzt an den Genfer See schickte, die Reise angetreten, um ihrer Mutter bei der Krankenpflege Beistand zu leisten. Es war ihr eine unverhoffte Freude, so zur rechten Zeit einzutreffen und Zeugin des feierlichen Actes sein zu können.

Am Krankenbett sank sie nieder und küßte des Malers Hand. „Können Sie mir verzeihen?“ fragte sie sehr bewegt.

Er streichelte ihr seidenweiches Haar und sagte nur wieder und wieder: „Mein liebes gutes Kind –“

Als der Trauungsact vorüber war, wandte sich Elise, nachdem sie ihren Mann lange umarmt gehalten hatte, an Irmgard und flüsterte ihr zu: „Nun bin ich gebunden, und Du bist frei.“

Sie wollte antworten, aber Werner, der die leisen Worte verstanden hatte, hob die Hände und winkte ihr und Robert näher zu treten. „Frei,“ sagte er, „um Dich binden zu können für’s ganze Leben. Gebt mir in dieser ernsten Stunde euer heiliges Versprechen, einander mit Leib und Seele angehören zu wollen für alle Zeit! Was sich liebt, soll Eins werden aus Zweien. Lernt von uns, wie das Leben verkümmert in unerfüllter Sehnsucht! Zwar kennt die Liebe kein Zuspät, aber ihr glücklichstes Loos ist frühes Vereinen und langes Halten. Euch schenkt es der gütige Himmel – seid dankbar!“

Er fügte ihre Hände zusammen und sank dann ermattet in die Kissen zurück. Sie bückten sich zu ihm nieder, um ihm Mund und Stirn zu küssen, und dabei berührten ihre Wangen sich. Er legte den Arm um ihren Leib und zog sie an sich, sie aber litt es nun ohne Widerstreben. So standen sie eine Weile neben dem Kranken, der freundlich zu ihnen aufsah. Dann fiel Irmgard ihrer Mutter, die hinzugetreten war, um den Hals und rief: „Mutter – er will es, daß wir glücklich sind.“ – –

Die nächste Nacht war schlecht, der Zustand des Kranken mußte die größte Besorgniß erregen. Der Arzt, der am Abend gekommen und nicht fortgegangen war, verbarg den Freunden nicht, daß dieses Leben vielleicht nur noch nach Stunden zähle. Sie machten sich auf den traurigsten Ausgang gefaßt.

Aber eine jener wunderbaren Wendungen, die mitunter bei schweren Krankheiten auch den fachkundigsten Heilkünstler in Staunen setzen, vollzog sich auch hier am andern Tage. Es war, als ob das befreite Gemüth alle Plage des Leibes bändigte. Das Fieber hatte den Höhepunkt erreicht und nahm nun rasch ab. Nach einigen Tagen konnten die Aerzte die beruhigende Versicherung geben, daß baldige Genesung zu hoffen sei.

Nach zwei Wochen durfte die Uebersiedelung nach Interlaken erfolgen. Dort machte die Besserung des Kranken rasche Fortschritte. Den Herbst und Winter brachten die Ehegatten in Italien zu. Irmgard begleitete sie dahin, während Robert in die Heimath zurückkehrte, dort für sein neues Hauswesen vorzusorgen.

Der Bau des Hospitals wurde aufgegeben, aber Elise vermachte mit ihrer Tochter freudigster Zustimmung in ihrem Testament einen sehr ansehnlichen Theil ihres Vermögens ihrer Vaterstadt zu dem gleichen wohlthätigen Zweck. Hoffentlich vergehen noch viele Jahre darüber, bis es einmal nach ihrem Tode zu eröffnen sein wird; die Armen werden ihr ein langes Leben wünschen.

Im Frühjahr hat das junge Paar seine Hochzeit gefeiert. Den schönsten Sommermonat genoß es in dem stillen Rauschen, das sein Glück begründete. Max Werner und Elise aber wohnten in der einsamen Villa am Thuner See, die nach Robert’s Anweisungen wohnlich hergerichtet war. Sie fühlten sich nicht einsam darin.



Ritters Heimkehr.
Mit Abbildung.

Im Burghof blühte der Schlehdornbusch;
Die Brunnen plätscherten leise;
Es zogen die Tauben in Hui und Husch
Um Giebel und Thurm ihre Kreise.

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Ringsum auf der Gärten blühendem Kranz

     Lag Sonnenglanz,
Und droben, als blickt’ sie aus rosiger Wolke,
Im Blumenfenster die Burgfrau stand,
Brosamen streuend dem Taubenvolke

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Mit ihrer jungen, weißen Hand.


Nun schwirrten sie alle, die flinken, daher;
Es rauschten im Fluge die Schwingen.
„Du weiße, es grämt mein Herz sich so sehr –
Auf! fliege, ihm Grüße zu bringen!

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Du silberschimmernde, flatt’re geschwind,

     Wie der Frühlingswind!
Und schlicht und farbig, ihr Täubchen alle,
Schweift über die Berge und Flüsse weit
Und schmeichelt ihn her in des Schlosses Halle

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Aus dem wilden, heldenzerschmetternden Streit.“


Da plötzlich vom Thurme Wachthornstoß!
Der schreckt die Tauben von hinnen.
Und Hufschlag naht, und Halloh bricht los
Und hallt in Nischen, um Erker und Zinnen.

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Es sprengen die Reiter mit Kling und Klang

     Die Brücke entlang – –
Wie lächelt so sonnig der Burgherr heute,
Wie sitzt er so herrlich auf schäumendem Roß!
Heim kehrt er als Sieger – und um ihn die Beute

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Und Ritter und Knappen ein glänzender Troß.


Er winkt hinauf zu dem trauten Gemahl.
„Gott grüß’ Dich, Frau Adelgunde!“
Und die Treppen hinab, von Saal zu Saal,
Durch der Zimmer prunkende Runde

35
In den Burghof eilt sie in athmender Luft

     An des Gatten Brust.
Er küßt sie – sie reicht ihm mit glühender Wange
Des Willkomms prächtigen, güld’nen Pokal –
In der Halle dann lauschen dem Sänger sie lange;

40
Der Abend sinkt dämmernd herab auf das Thal. –


Nun aber – was stiehlt sich die Treppen hinan
In der heimlich dunkelnden Stunde?
Wo um’s Fenster die wilde Rose sich spann,
Weilt wieder Frau Adelgunde.

45
Sie neigt sich hinaus durch Rosenduft

     In die Abendluft:
„Ihr Täubchen ihr treuen, verkündet im Thale,
Daß Wonne mir blühte aus sehnendem Harm!
Es sonnt sich mein Herz in des Glückes Strahle,

50
Wenn mich stürmisch umfängt sein Heldenarm.“


          Ernst Ziel.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_132.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)