Seite:Die Gartenlaube (1878) 115.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Wenige Tagereisen nördlich von Nyangwe wendet sich der Lualaba nach Nordost. Hohe Zacken der Ureggahügel starren in die brausende Fluth; wilde Scenerien von Katarakten und schäumenden Wogen schrecken das Auge. An beiden Flußufern wohnen Wilde: die Wainya, feige, verrätherisch, listig und absolut unzugänglich, weiter nördlich ein mächtiges Volk höheren Muthes, die Wabroiro, am linken Ufer die Wainya, weiter westlich die kriegerischen Bakusu, – lucullische und sybaritische Menschenfresser.

„Auf dieses Volk,“ bemerkt Stanley, „würde die Ankunft eines ganzen Concils von Bischöfen und Missionären nur wie eine Zufuhr landesüblichen Beefsteaks wirken …“

Hier muß der Reisende zu jeder Stunde ein Mann der That sein.

In seinem letzten Briefe aus Innerafrika hatte Stanley von diesen schweren Thaten berichtet, von den Kämpfen mit den tückischen, verrätherischen Kannibalen und von der blutigen Züchtigung, die er ihnen ertheilte, was, wie erinnerlich, die Gelehrten der afrikanischen Entdeckungs-Societäten an den grünen Berathungstischen mit großer sittlicher Entrüstung erfüllt hatte. Glücklicher Weise blieb diese Entrüstung ohne Einfluß. Der willensstarke, muthige Mann drang unaufhaltsam vorwärts. Und schon waren neun lange, bange Monate vergangen, ohne daß Kunde von ihm oder über ihn gekommen; schon hatte sich schwere Besorgniß um ihn verbreitet – da brachte endlich der „Daily Telegraph“ die freudige Botschaft: „Stanley ist am 8. August 1877 in Embomma an der Westküste Afrikas angekommen. Er hat den ganzen Lualabafluß befahren und seine Identität mit dem Congo festgestellt.“

Stanley hat sonach Afrika vom November 1874 bis August 1877 von Bogamoyo bei Zanzibar westwärts bis Embomma nahe der Congomündung in seiner ganzen Breite durchwandert.

Es ist hier nicht der Ort, auf den Verlauf und die Resultate der Reise näher einzugehen, auch ist bis jetzt nur Summarisches bekannt geworden und Stanley selbst erst gegen Ende Januar in London wieder eingetroffen.

Die Bedeutsamkeit der Entdeckung des Congo- oder Lualabastromes muß uns aber schon jetzt frappirend entgegentreten, wenn wir einige Größenverhältnisse desselben mit denen des Rheins vergleichen. Nach uns geläufigen Maßen in Zahlen ausgedrückt ist:


  des Congo:   des Rhein:  
die Stromlänge 000000650 geogr. Meilen, 0156 geogr. Meilen,
das Stromgebiet 50–60,000 „ Q.-Meilen, 3600 „ Q.-Meilen.


Und wie charakterisirt Stanley Strom und Land? „Für die Schiffbarkeit des mächtigen Stroms,“ schreibt er, „bestehen die unüberwindlichen Hindernisse der Katarakte. Hier muß der Landtransport an die Stelle des Flußtransports treten. Sobald dagegen die ersten großen Wasserfälle passirt sind, liegt halb Afrika vor uns, und zwar nicht wie die unteren Nilgegenden als Sandwüsten, sondern als eine reiche, stark bevölkerte Ebene. Kein Theil von Afrika, mit Ausnahme von Ugoge, ist so reich bevölkert. Die gewöhnliche Bezeichnung Dorf ist eigentlich unrichtig für diese Menge von Häusern in den Ortschaften. Es sind wirkliche Städte, oft an manchen Plätzen zwei Meilen lang. Schon oft wurde in letzter Zeit die Befürchtung ausgesprochen, daß Elfenbein bald eine Seltenheit werden müsse, allein ich kann versichern, daß dies in den nächsten zwei bis drei Generationen nicht der Fall sein wird. Die ganze Ebene ist reich an ungeheuren Wäldern, welche Massen von Palmöl liefern können. Auch Baumwolle, Guttapercha, alle Nüsse, Copal, Palmfrüchte. Durch den Fluß ist auch eine Reise nach den Gold- und Kupferdistricten von Katange leicht gemacht.“ So wird der tausendjährige weiße Fleck auf unseren Landkarten von Afrika durch die Entdeckung des größten Stromes mit zahlreichen Nebenflüssen, mit zahlreichen Namen bisher ganz unbekannter Völker, mit Namen von Fundstätten werthvoller Producte ausgefüllt.

Und was war der Mann, der so Außerordentliches geleistet?

Nur ein Journalist – ein Zeitungsschreiber – „eine verfehlte Existenz“. –

Henry Stanley, 1840 in Wales von armen Eltern geboren, heißt eigentlich John Rowlands und wurde in einem Armenhause erzogen. Autodidact, wollte er Lehrer, Seemann, Kaufmann werden und fand in New-Orleans bei einem Kaufmann, Namens Stanley, Beschäftigung und Gelegenheit zu weiterer Ausbildung. Der Kaufmann gewann den anstelligen, fleißigen Knaben lieb und adoptirte ihn, versäumte aber ein Testament zu machen, sodaß der junge Mensch nach dem Tode seines vermeintlichen Wohlthäters bis auf den neuen Namen fast leer ausging. Soldat im Secessionskriege, zeigte er in allen Lebenslagen Charakter und Energie, in allen Aufträgen Umsicht und Geschick. Er bereiste dann die europäische und asiatische Türkei und begleitete 1867 die englische Expedition gegen König Theodor nach Abyssinien als Correspondent des „New-York-Herald“. Seine Berichte zeichneten sich so vortheilhaft vor allen anderen aus, daß er 1868 während der Karlistenunruhen nach Spanien als Reporter geschickt wurde.

Und als bald darauf F. Bennett, der Besitzer des „New-York-Herald“, für seine große, weit verbreitete Zeitung überraschende, sensationelle Berichte brauchte, als es galt, den verschollenen Livingstone in den Wüsten Afrikas aufzusuchen, als es galt, Jemand zu gewinnen, der reisen, schildern, berichten könnte, da wurde wieder Stanley auch mit dieser Mission betraut. Zunächst sollte er nach Aegypten gehen und über Land und Leute, den Khedive, die Eröffnung des Suezcanals, über den Nil, seine Katarakten und Denkmale berichten, dann nach Jerusalem und Constantinopel und über Sultan und Osmanenthum, über Personen und Zustände schreiben, ferner über die Krim, über Sebastopol, den Kaukasus, das Kaspische Meer, Persepolis, Bagdad, Persien nach Indien und von allen Orten interessante, packende Berichte für die Spalten der New-Yorker Zeitung schicken, und endlich sollte er, – was die Hauptsache war – nach Afrika gehen und Livingstone suchen.

Und so geschah es. Im October 1869 erhielt er den Auftrag; im Januar 1871, also nach nur fünfviertel Jahren, war er an der Küste von Zanzibar. Alles war bestens erledigt; überall ist er gewesen; von allen Orten hat er interessant berichtet, und am 26. März brach er von Zanzibar auf, um in den unbekannten Wüsten den Verschollenen zu suchen.

Schon waren zweihundertsechsunddreißig arbeitsvolle Tage vergangen mit beschwerlichen Wanderungen auf Kreuz- und Querzügen, da wiederholte sich das seltene Glück, das einst Eduard Vogel zwischen Kuka und Kano begegnete. Wie Vogel in der afrikanischen Waldwildniß den kranken, hülfsbedürftigen Heinrich Barth ganz unerwartet gefunden, so fand auch Stanley den eifrigst gesuchten Livingstone in Udjidji am nordöstlichen Ufer des Tanganyikasees. Was hierbei größer gewesen, der Spürsinn, das Combinationstalent, die unermüdliche Arbeitskraft des Amerikaners oder sein Glück, das zu entscheiden bleibe dem Scharfsinn unserer Leser überlassen.

Stanley hatte seine Aufgabe gelöst – er hatte Livingstone gefunden. Es galt nunmehr die Kunde hiervon heim zu bringen.

Aber der erste Verkehr beider Männer gestaltete sich alsbald zur innigen, hochachtungsvollen Freundschaft. Livingstone sah in Stanley seinen hoffnungsreichen Nachfolger, der seine Arbeiten vollenden, zum Abschluß bringen werde; Stanley erkannte in Livingstone sein ideales Vorbild, dem er nachzustreben habe. Beide Männer trennten sich nicht sobald. Als sollte Stanley unter den Augen Livingstone’s noch Proben ablegen für die Fähigkeit seiner großen Mission, wurde das Nordende des Tanganyika umschifft und kartirt. Erst im März 1872 trennte sich Stanley von Livingstone,[1] und am 6. Mai war er in Zanzibar.

Telegraphische Blitzboten trugen alsbald die Kunde so glücklicher Thaten in alle Welt, aber auch schnell wie der Blitz erhob sich Zweifel, Neid und Verdächtigung. „Barnum!“ „Humbug!“ „Zeitungsreclame!“ erschallt es hüben und drüben. Wie sollte so ein journalistischer Vagabund, so eine „verfehlte Existenz“ das ausgeführt haben, was gelehrte Fachmänner, wissenschaftliche Reisende nicht ausführen konnten? Nicht lange – Stanley kam. Seine Persönlichkeit, sein Werk „Wie ich Livingstone gefunden“ (How I found Livingstone) zerstreuten alsbald alle skeptischen und kritischen Nebel und der Geschmähte galt als Heros geographischer Forschung.

Was Stanley zum zweiten Male nach Afrika geführt, und was er auch diesmal geleistet, ist bereits erzählt worden. Er schied von den Freunden mit dem Todesmuth der römischen Kämpfer: moriturus vos saluto!


  1. In unserer Nr. 12, 1875, gaben wir unsern Lesern ein Bild der letzten Tage des Jahrzehnte ausharrenden Forschers.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_115.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2022)