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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

verfaßte eine Erwiderung, die ich dem Redacteur schickte. Aber ohne Erfolg. Er antwortete mir sehr höflich, sagte aber dann, das ginge nicht. Ich war äußerst empört darüber, daß Jemand das Recht haben sollte, die Jäger anzugreifen, ohne sich eine Widerlegung gefallen lassen zu müssen. Aber das war damals so.“

Wieder ein ander Mal war von der Verhaftung Jacoby’s in Königsberg die Rede, und der Kanzler äußerte, man werde die Paßlichkeit der Maßregel bezweifeln können. Das Recht der Militärbehörde, Leute, welche der Kriegführung und somit der baldigen Erreichung des Friedens in den Weg treten, zeitweilig unschädlich zu machen, lasse sich nicht bestreiten, was er dann weiter ausführte und mit Beispielen belegte. Einer der Tischgenossen sprach seine Freude darüber aus, daß man „den faulem Schwätzer eingespunden“. Der Chef aber erwiderte recht bezeichnend für seine Denkart: „Ich freue mich darüber ganz und gar nicht. Der Parteimann mag das thun, weil seine Rachegefühle dadurch befriedigt werden. Die Politik kennt solche Gefühle nicht. Sie fragt nur, ob es nützt, wenn politische Gegner mißhandelt werden.“

Eines Abends kam man, ich weiß nicht wie, auf Wilhelm Tell zu sprechen, und der Minister bekannte, den habe er schon als Knabe nicht leiden können, und zwar erstens, weil er auf seinen Sohn geschossen, dann weil er Geßler meuchlerisch getödtet habe. „Natürlicher und nobler wäre es nach meinen Begriffen gewesen,“ setzte er hinzu, „wenn er, statt auf den Jungen abzudrücken – den doch der beste Schütze statt des Apfels treffen konnte – wenn er da lieber gleich den Landvogt erschossen hätte. Das wäre gerechter Zorn über eine grausame Zumuthung gewesen. Das Verstecken und Auflauern gefällt mir nicht, das paßt sich nicht für Helden.“

Am 3. November war beim Diner unter Anderem die Rede von den Berliner Wahlen, und Delbrück meinte, sie würden besser ausfallen als bisher, wenigstens würde Jacoby nicht wiedergewählt werden. Graf Bismarck-Bohlen war anderer Ansicht. Der Chef sagte: „Die Berliner müssen immer Opposition machen und ihren eigenen Kopf haben. Sie haben ihre Tugenden – viele und sehr achtbare; sie schlagen sich gut, halten sich aber für nicht gescheidt genug, wenn sie nicht Alles besser wissen als die Regierung.“ Es wäre das jedoch, fuhr er fort, nicht ein Fehler, den man bei ihnen allein fände. Alle großen Städte hätten diese Eigenthümlichkeit, und manche wären sogar schlimmer als Berlin. Sie wären überhaupt unpraktischer als das platte Land, welches mehr mit dem Leben, directer mit der Natur verkehre und sich auf diese Weise ein natürliches, der thatsächlichen Entwickelung der Dinge angepaßtes Urtheil bilde und bewahre. „Wo so viele Menschen zusammen sind,“ sagte er, „entstehen aus der Lust, aus Hörensagen, Nachsagen allerlei Meinungen, die wenig oder gar nicht auf Thatsachen begründet sind, die sich aber in Zeitungen und Volksversammlungen verbreiten und dann feststehen – unausrottbar. Es ist eine zweite, falsche Natur neben der ersten, ein Massenglaube, Massenaberglaube.“ – „Man redet sich ein, was nicht ist, hält es für Pflicht und Schuldigkeit, dabei zu bleiben, begeistert sich für Bornirtheiten, Absurditäten.“ – „Das ist in allen großen Städten so, in London, wo die Cockneys auch eine ganz andere Race sind, als die übrigen Engländer, in Kopenhagen, in New-York und vor Allem in Paris. Die Pariser sind mit ihrem politischen Aberglauben ein ganz besonderes Volk in Frankreich, befangen und beschränkt in Vorstellungen, die Herkommen sind, aber nichts als Phrasen und Flausen.“

Einmal, als Herr v. Werder, der preuß. Militärbevollmächtigte in Petersburg, beim Kanzler zu Gaste war, kam das Gespräch auf Wrangel und von diesem auf den alten General von Möllendorff. „Da erinnere ich mich,“ sagte der Chef, „eines scherzhaften Vorfalles nach den Märztagen, wie der König und die Truppen in Potsdam waren. Da kam ich auch hin, und es war Berathung, was jetzt zu thun wäre. Möllendorff war dabei und saß mit schmerzhafter Miene auf einem Stuhle nicht weit von mir. Er konnte nur mit der einen Hälfte sitzen, so hatten sie ihn zerprügelt. Der Eine rieth dies, der Andere das, aber Niemand wußte recht, was zu machen. Ich saß neben dem Pianoforte und sagte nichts, schlug aber ein paar Töne an – Dideldum Dittera. (Dudelt den Anfang des Infanterie–Sturmmarsches.) Da erhob sich der Alte freudestrahlend plötzlich von seinem Stuhle, humpelte auf mich zu, umarmte mich und sagte: ‚Das ist das Rechte – ich weiß, was Sie wollen. Das ist’s – marschiren – nach Berlin.‘“

Einige Tage später, wo Fürst Putbus und der schlesische Graf Frankenberg mit uns aßen, erzählt Ersterer von allerlei energischen Maßregeln der Baiern gegen widerspenstige Dörfer. Der Chef lobte dieses Verfahren und fügte dann hinzu: „Man muß die Leute entweder so rücksichtsvoll behandeln wie möglich, oder unschädlich machen. Eins von beiden.“ Und nach einer Weile fuhr er fort: „Höflich bis auf die letzte Galgensprosse, aber gehenkt wird er, der Kerl. Grob darf man nur gegen seine Freunde sein, wo man überzeugt ist, daß sie’s nicht übelnehmen. Wie grob ist man zum Beispiel gegen seine Frau!“

Am 1. December kam der Kanzler noch nach halb elf Uhr zu uns, als wir beim Thee saßen. Nach einer Weile sagte er: „Die Zeitungen sind unzufrieden mit dem baierischen Vertrage (wegen Zutritt zum Bunde Norddeutschlands). Es mißfällt ihnen, daß gewisse Beamte baierische heißen, die sich doch ganz nach unseren Gesetzen richten müssen. Die Biersteuer ist ihnen auch nicht recht; als ob wir das nicht Jahre lang im Zollverein gehabt hätten.“ – „Sie thun, als ob wir den Krieg gegen Baiern geführt hätten, wie 1866 gegen die Sachsen, während wir doch diesmal Baiern als Bundesgenossen gehabt haben.“ – „Ehe sie den Vertrag gutheißen, wollen sie lieber warten bis sie die Einheit in der ihnen genehmen Form erhalten. Da können sie lange warten. Sie sind nicht zufrieden mit dem Erreichten, wollen mehr Einförmigkeit; wenn sie doch fünf Jahre zurückdächten – womit wären sie damals zufrieden gewesen?“ – „Constituirende Versammlung! Wenn der König von Baiern nun nicht dazu wählen läßt? Das baierische Volk wird ihn nicht dazu zwingen, und ich auch nicht.“

Denselben Abend nahm er Goldstücke heraus, mit denen er dann eine Weile spielte. „Auffällig ist,“ sagte er dabei, „wie sehr man hier auch von anständig gekleideten Leuten angebettelt wird. Schon in Reims kam das vor, hier aber ist’s viel schlimmer.“ – „Wie selten man jetzt Goldstücke mit Ludwig Philipp oder Karl dem Zehnten zu sehen bekommt! Ich erinnere mich, wie ich jung war, in den zwanziger Jahren sah man noch manche mit Ludwig dem Sechszehnten und dem Achtzehnten, dem Dicken. Selbst der Ausdruck Louisd’or ist nicht mehr gebräuchlich; will man bei uns vornehm sein, so redet man von Friedrichsd’or.“ – Er balancirte dann einen Napoleond’or auf der Fingerspitze, als ob er ihn wägen wollte, und fuhr fort: „Hundert Millionen doppelte Napoleonsd’or, das wäre jetzt ungefähr die Kriegsentschädigung – später kostet’s mehr – viertausend Millionen Franken.“ – „Vierzigtausend Thaler in Gold werden ein Centner sein, dreißig Centner gehen auf einen tüchtigen zweispännigen Wagen; ich weiß – ich habe einmal vierzehntausend Thaler in Gold von Berlin nach Hause tragen müssen – was das schwer war! – das wären etwa achthundert Wagen.“ – „Die werden sie eher beschaffen, als die für die Munition zum Bombardement,“ meinte Jemand, dem wie den meisten von uns die Geduld in Betreff dieser Maßregel ausgehen wollte.

Am 5. December beim Thee hatte Hatzfeldt uns vom Großherzoge von Weimar erzählt, und von dem war man auf Radowitz und zuletzt auf Humboldt gekommen, als der Chef das Wort nahm. „Bei unserm hochseligen Herrn,“ so erzählte er, „war ich das einzige Schlachtopfer, wenn Humboldt die Gesellschaft in seiner Weise unterhielt. Er las da gewöhnlich vor, oft stundenlang – eine Lebensbeschreibung von einem französischen Gelehrten oder einem alten Baumeister, die keinen Menschen als ihn interessirte. Dabei stand er und hielt das Blatt dicht vor die Lampe. Mitunter ließ er’s fallen, um sich mit einer gelehrten Bemerkung darüber zu verbreiten.“ – „Niemand hörte ihm zu, aber er hatte doch das Wort. Die Königin nähte fortwährend an einer Tapisserie und hörte gewiß nichts von seinem Vortrage. Der König besah sich Bilder – Kupferstiche und Holzschnitte – und blätterte möglichst geräuschvoll darin, in der stillen Absicht augenscheinlich, nichts davon hören zu müssen. Die jungen Leute seitwärts und im Hintergrunde unterhielten sich, kicherten und übertäubten damit förmlich seine Vorlesung. Die aber murmelte ohne abzureißen fort wie ein Buch.“ – „Gerlach, der gewöhnlich auch dabei war, saß auf einem kleinen runden Stuhle und schlief, daß er schnarchte, sodaß ihn der König einmal weckte und zu ihm sagte: ‚Gerlach, schnarchen Sie nicht!‘“ – „Ich war Humboldt’s einziger geduldiger Zuhörer, das heißt, ich schwieg, that, als ob ich

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