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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Jahre 1805 verdichtete Northmore das Chlorgas zu einer grüngelben Flüssigkeit, und dies war der erste einfache Stoff, der, bis dahin nur in luftförmiger Gestalt bekannt, in die flüssige Form gebracht wurde. In den nächsten Jahrzehnten folgten Ammoniakgas, Kohlensäure und andere Gase.

In den vierziger Jahren erregte die Verflüssigung des moussirenden Gases unserer Mineralwässer, Biere und Champagner, der Kohlensäure, großes und allgemeines Aufsehen, namentlich seitdem der französische Naturforscher Thilorier (1834) einen Apparat construirt hatte, in welchem die Verflüssigung größerer Massen leicht und schnell bewerkstelligt werden konnte. Es ist eine dem Apparate der Selterwasserfabriken ganz ähnliche Vorrichtung, die, wie dieser, aus zwei starkwandigen, durch eine Röhrenleitung verbundenen Behältern besteht, dem Generator und dem Recipienten. In dem ersteren werden durch eine brausepulverartige Mischung große Massen Kohlensäure erzeugt, die sich in dem zweiten bei mittlerer Temperatur (fünfzehn Grad) zu einer wasserhellen Flüssigkeit verdichten, sobald der Gasdruck auf fünfzig Atmosphären gestiegen ist. Natürlich erfordert dieses Verfahren, wenn es gefahrlos sein soll, einen weit über jenen Druck erprobten sicheren Apparat, wie man sie jetzt in voller Zuverlässigkeit construirt, nachdem eine schlimme Explosion, die einem Assistenten des Herrn Thilorier das Leben kostete, auf die Gefährlichkeit unzureichender Vorrichtungen aufmerksam gemacht hatte.

Man hat die flüssige Kohlensäure seitdem sehr oft dargestellt, weil sie äußerst merkwürdige und schätzbare Eigenschaften besitzt. Sie verdampft, der freien Luft ausgesetzt, so schnell, daß sie in Folge der dabei stattfindenden Wärmebindung Kältegrade erzeugt, wie man sie bis dahin noch gar nicht kannte. Läßt man einen Strahl derselben aus dem Herstellungsapparate in ein vorgehaltenes offenes Gefäß strömen, so entsteht eine Temperaturerniedrigung von achtzig bis neunzig Grad, und der nachfolgenden Flüssigkeit wird soviel Wärme entzogen, daß diese in dem offenen Gefäße zu fester Kohlensäure – einem weißen Schnee – gefriert. Was man nur schwierig mit andern Mitteln erreicht hätte, besorgt die einmal flüssig gewordene Kohlensäure selbst, als wollte sie das alte Sprüchwort bestätigen: „Nur der erste Schritt in einer Sache ist mühsam.“ Die „fixe Luft“, wie die alten Chemiker die Kohlensäure nannten, weil sie in so vielen harten Körpern – Kreide, Magnesia, Potasche, Soda etc. – festgebannt liegt, ist damit wirklich fix geworden und verdampft nunmehr in diesem neuen Zustande verhältnißmäßig langsam, nämlich wegen ihres schlechten Wärmeleitungsvermögens. Man kann sich ein Flöckchen der lockern Masse in die offene Hand legen lassen, ohne daß es schmilzt und ohne daß man eine besondere Kälte empfindet. Würde man aber mit der Fingerspitze das Flöckchen zusammendrücken, so würde man einen brennenden Schmerz empfinden, und eine augenblicklich entstehende Frostblase würde das unvergleichliche Wärmeentziehungsvermögen dieser Substanz an Ort und Stelle besiegeln.

Gießt man auf diese schneeförmige Masse eine Flüssigkeit, die sich mit derselben nicht verbindet, und an sich eine starke Kälte ertragen kann, ohne zu gefrieren, z. B. Aether, so kann man durch die beschleunigte Verdunstung dieses Breies Kältegrade erzeugen, die noch unter hundert Grad hinausgehen, namentlich, wenn man das Gemisch unter eine Luftpumpe bringt und durch schnelles Auspumpen die Verdunstung noch beschleunigt. Dieses einfache Mittel ist in den Laboratorien sehr häufig angewendet worden, um schwer gefrierbare Flüssigkeiten (wie z. B. die oben erwähnnten Spirituosen) zum Erstarren zu bringen oder ihren Gefrierpunkt für wissenschaftliche Zwecke zu bestimmen. Wenn man in einen rothglühenden Platintiegel eine Quantität jenes Breies und schnell darauf ein bis zwei Loth Quecksilber hineinschüttet, so gefriert das Letztere, wie Faraday zeigte, inmitten einer fußhoch aus dem Tiegel emporschlagenden Aetherflamme und kann bei einiger Geschicklichkeit jedesmal als fester Klumpen, wie eine Silbermünze, auf eine bereitstehende Schale geworfen werden, woselbst es allerdings in einigen Secunden wieder schmilzt. In Parenthese mag erwähnt werden, daß die flüssige Kohlensäure in den letzten Jahren von den amerikanischen Technikern Barber und Hill als das zuverlässigste Mittel zur Löschung von Schiffsbränden empfohlen worden ist. Sie verlangen, daß jedes Schiff einige Stahlflaschen voll dieser im Großen zu mäßigen Preisen herstellbaren Flüssigkeit immer mit sich führen solle, um den Inhalt durch eine verzweigte Röhrenleitung sofort in den gefährdeten Raum spritzen zu lassen. Die dort verdampfende Kohlensäure würde nicht nur fabelhaft abkühlend wirken, sondern auch die Flammen sofort ersticken, weil sie aus dem geschlossenen Raume – um den es sich bei Schiffsbränden zunächst immer handelt – die der Flamme Nahrung spendende Luft verdrängt.

Da man mit Hülfe dieser Gemische nunmehr stärkere Kältegrade erzeugen lernte, als jemals vorher, so hat man damit Gase verflüssigen und Flüssigkeiten gefrieren lassen können, welche bis dahin allen Versuchen dieser Richtung Trotz geboten hatten. Allein mit einzelnen hartnäckigen Gasarten war dies bisher trotz alledem nicht gelungen, und bis vor etlichen Wochen mußte man immer noch die Gase eintheilen in solche, die sich bezwingen lassen, und unbezwungene (coërcible und incoërcible Gase). Erst in jüngster Zeit war es dem französischen Chemiker Cailletet gelungen, einige der ausdehnungslustigsten Gase, wie das giftige Kohlenoxyd unserer Oefen, ferner den Hauptbestandtheil der schlagenden Wetter und des Leuchtgases (Methylenwasserstoff), Stickstoffoxyd und ähnliche Gase in Fesseln zu schlagen. Das letztgenannte Gas blieb noch unter dem Drucke von zweihundertundsiebenzig Atmosphären bei acht Grad Wärme, was es war, aber auf elf Grad unter Null abgekühlt, genügte ein Druck von hundertsechsundvierzig Atmosphären, um es zu verflüssigen. Im Anfange des December 1877 bestand das Häuflein der Unbezwungenen nur noch aus den drei Gasen, welche die Hauptrolle im lebenden Körper spielen: Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff. Der Sauerstoff sollte sein Kränzlein zuerst verlieren; am 3. December übergab Herr Cailletet der Pariser Akademie ein versiegeltes Schriftpaket, in welchem, wie sich nun herausgestellt hat, die Bewältigung auch dieser letzten Spröden als, wenn nicht bereits gelungen, so doch nahe bevorstehend verkündigt wurde.

Dennoch sollte ihm ein völlig unabhängig mit demselben Problem beschäftigter Chemiker, Herr Raoul Pictet in Genf, in der wirklichen Verflüssigung des Sauerstoffes zuvorkommen. Der Letztere hatte sozusagen alle Schrauben und Hebel in Bewegung gesetzt, um dieses Ziel zu erreichen. Ein mit flüssigem Schwefeldampfe (schwefliger Säure) gefüllter Cylinder wurde beständig durch eine Luftpumpe von dem verdampfenden Gase befreit (welches, von Neuem verdichtet, dem Cylinder immer wieder zugeführt wurde), um damit eine Kälte von fünfundsechszig bis siebenzig Grad Celsius in diesem Cylinder zu erzeugen. Derselbe diente nur zur Kühlung eines zweiten inneren Cylinders, in welchem feste Kohlensäure durch eine Verdampfung unter der Luftpumpe eine Kälte von hundertundvierzig Grad Celsius erzeugte. Durch diesen Raum endlich war das starke Glasrohr gezogen, in welchem Sauerstoffgas unter einem Drucke von fünfhundertundsechszig Atmosphären hindurchströmen konnte. Am 22. December, als man dieses Experiment in den Laboratorien der Gesellschaft für die Fabrikation physikalischer Instrumente zu Genf anstellte, sah man aus dem innersten mit gefrorener Kohlensäure umgebenen Rohre einen dünnen Strahl flüssigen Sauerstoffs hervortreten, als man das unter einem Drucke von dreihundert Atmosphären befindliche, stark abgekühlte Sauerstoffgas frei ausströmen ließ. Wie die Kohlensäure in dem früher beschriebenen Versuche nur durch ihre eigene Wärmebindung den zurückbleibenden Theil zum Erstarren bringt, so verflüssigte sich auch der Sauerstoff nur erst in Folge der eigenen Ausdehnung; auch er kann sich mithin rühmen, nur durch sich selber besiegt worden zu sein.

Acht Tage später, am Sylvester des scheidenden Jahres, versammelten sich in dem Laboratorium der Pariser Normalschule die berühmtesten Chemiker Frankreichs, Berthelot, Boussingault, St. Claire-Deville, Maskart und viele Andere, um der Verflüssigung der beiden letzten Gase (Stickstoff und Wasserstoff) durch Cailletet beizuwohnen. Seine Methode beruht auf denselben Principien, aber sie geht einfacher auf ihr Ziel los. Die Gase werden mittelst einer hydraulischen Presse einem Drucke bis zu dreihundert Atmosphären ausgesetzt, dabei durch verdampfende, flüssige, schweflige Säure auf neunundzwanzig Grad unter Null abgekühlt und dann plötzlich in Freiheit gesetzt. Der Apparat wurde zuerst mit Stickstoffgas gefüllt, ein Druck von zweihundert Atmosphären ausgeübt und dann, nach vollendeter Kühlung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_081.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2020)