Seite:Die Gartenlaube (1878) 070.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Gläsern und das erste Hoch galt unserm Compagniehunde.

„Morgen wollen wir uns noch ein kräftiges Frühstück mitnehmen,“ hieß es. „Die Brodbeutel sollen bis obenan gefüllt werden – das wird uns der Hauptmann wohl erlauben.“ Es kam jedoch anders. Dem Jubel des Tages folgte eine aufregende Nacht. Die Fünfzehner hatten die ermüdeten Glieder frühzeitig auf die weichen Daunen der französischen Schloßbetten niedergestreckt und träumten süß von den Genüssen des Tages. Die Straßburger Gänseleberpasteten thürmten sich verlockend vor den schnarchenden Soldaten auf; der Rothwein perlte fort und fort in den anklingenden Gläsern, und dazwischen knallten die Champagnerpfropfen. Doch – war das Traum oder Wirklichkeit? Milo erhob seine laut schallende Stimme, und dazwischen knallte es auch. – Das waren aber nicht die geträumten Pfropfen des Brauseweines – das waren weit in die Nacht hinein schallende Flintenschüsse, die als Alarmsignal ertönten. Die ausgestellten Vorposten hatten einen umherschleichenden Trupp Franctireurs mit einer Gewehrsalve verscheucht, und in solchem Falle galt es immer Vorsicht. Mit der Nachtruhe war’s vorbei. Es wurde schleunigst aufgebrochen. Wer dachte wohl jetzt noch daran, die Brodbeutel zu füllen?

Man fand bald das ganze in der Nähe verstreut liegende Regiment auf den Beinen, da alle Vorzeichen zu einem bevorstehenden Gefecht eingetroffen. Noch ehe der Morgen graute, begann der Kampf. Die Westfalen befanden sich bald mitten im dumpfen Treffen. Das war ein heißer Tag. Und als der Abend mit unaufhaltsam strömendem Regen hereinbrach, da hatte man den überlegenen Feind zwar zurückgedrängt, viele aber der tapferen Fünfzehner lagen todt oder verstümmelt auf dem Schlachtfelde.

Der nächste Morgen bot ein trauriges Bild der Verwüstung. Milo’s Compagnie war, an der Spitze kämpfend, am härtesten bedrängt gewesen, und wer von denn völlig Durchnäßten mit heiler Haut davon gekommen, dem waren gewiß die Glieder von Kälte und Nässe sämmtlich steifgefroren. Wo in dieser Verwirrung Milo geblieben, das wußte von den sich nach und nach zusammenfindenden übriggebliebenen Mannschaften der ersten Compagnie Keiner zu sagen. Das arme Thier wird wohl auch hinüber sein, wie leider so viele unserer Cameraden, hieß es – sonst hätte er uns sicher wieder gefunden. Schon war der Befehl zum schleunigen Weitermarsch eingetroffen und deshalb keine Zeit zu verlieren. Mißmuthig und niederschlagen marschirte die Compagnie in langen Eilmärschen ohne ihren treuen Compagniehund weiter. Erst in Dôle, einem französischen Städtchen, gönnte man den Leuten wieder ein wenig Rast. Das sechszigste Regiment hatte hier bereits Quartier genommen, und bei der allgemeinen Ueberfüllung mußten die Fünfzehner, so gut es eben ging, Quartier suchen.

„Cameraden, ich habe unsern Milo gesehen,“ ertönte es mit einem Male aus dem Munde des Hornisten, „dort in jenem weißen Hause befindet er sich bei den Sechszigern.“

Fort war alle Betrübniß, alle Ermüdung; man dachte nicht mehr daran, das langersehnte Quartier zu finden; es galt vor Allem, sich davon zu überzeugen, ob der Trompeter recht gesehen hatte. Das bezeichnete weiße Haus wurde fast bestürmt, und kaum hatten die Fünfzehner sich vor denselben gezeigt, als sie auch das wohlbekannte Gebell ihres Milo vernahmen. Aber er kam nicht fröhlich zu ihnen herangesprungen, wie sie es sonst gewöhnt waren, die winselnden Töne des treuen Thieres verhallten hinter der sich schließenden Hausthür. Die Westfalen merkten bald, daß ihr Compagniehund wider seinen Willen festgehalten wurde. Die Sechsziger hatten das treue Thier auf dem Schlachtfelde aufgefunden. Von Hunger, Nässe und Kälte vollständig erschöpft, hatte der Hund trotzdem treulich Wache gehalten neben der Leiche eines gefallenen Fünfzehners. Nur mit Gewalt konnten sie denselben von der Stelle fort bringen, an welcher auch er sicherlich seinen Tod gefunden hätte. Aus diesen Grunde glaubten die Sechsziger einen berechtigten Anspruch auf den Findling zu haben und waren nicht dazu zu bewegen, denselben seiner alten Compagnie auszuliefern. Die Angelegenheit ging bis zum oberstcommandirenden General (Freiherr v. d. G.); soviel lag den beiden streitenden Theilen an dem Besitze des Hundes. Erst als von dieser Stelle aus ein bestimmter Befehl erging, erhielten die Westfalen ihren alten Compagniehund zurück.

Die nachtheiligen Folgen der letzten Erlebnisse blieben jedoch für Milo nicht aus. Er erkrankte bedenklich. Mann mußte seine Behandlung einem französischen Thierarzte überlassen, da ein deutscher nicht an Ort und Stelle war. Unter dessen sorgsamer Pflege, welche die Fünfzehner dem feindlichen Arzte heute noch nachrühmen, erholte sich Milo zwar nach und nach, seine bei Kissingen erhaltene Wunde am Kopfe war jedoch wieder aufgebrochen und blieb bis an sein Lebensende eine offene. Bei den ferneren Märschen mußte der Hund seiner Schwäche wegen vielfach gefahren werden. Dies geschah auch nach dem glücklich beendeten Feldzuge auf dem Rückmarsche nach Bar le Duc. In wollene Decken gehüllt, befand sich der Reconvalescent auf dem Victualienwagen. Der Unterofficier, welcher mit der Führung dieses Wagens betraut war, wurde persönlich für den Hund verantwortlich gemacht. Trotzdem passirte es eines Morgens, bei einem sehr eiligen Ausmarsche, daß der seiner Schwäche wegen viel schlafende Hund das Abrücken seiner Compagnie nicht bemerkt hatte und im Quartier zurückgelassen worden war. Erst am Abend vermißte man das Thier, als der Hauptmann sich nach dem Befinden desselben erkundigte. Der Unterofficier stammelte einige unverständliche Worte der Entschuldigung, wurde aber von seinem Vorgesetzten sehr hart angelassen. „Unterofficier, ich habe Sie persönlich für unsern Milo verantwortlich gemacht; entweder schaffen Sie mir denselben bis morgen früh, noch ehe wir weitermarschiren, ober ich stecke Sie drei Tage in Arrest.“

Es hätte wohl kaum dieser Strafandrohung bedurft. Mehrere der Leute meldeten sich freiwillig, denn vergessenen Liebling noch in der Nacht zu suchen. In gestrecktem Carrière fuhr der Unterofficier unter Begleitung der Mannschaften auf dem gekommenen Wege zurück. Sie hatten die Freude, schon unterwegs den Vermißten zu finden. Milo befand sich auf einem Protzkasten der heranziehenden Batterie „Schreiber“. Er hatte sich, als er von seinem ungewöhnlich langen Schlafe erwachte und bemerkte, daß seine Compagnie ausgerückt war, trotz seiner Schwäche auf den Weg gemacht, deren Spur ganz richtig verfolgend. Unterwegs traf er auf die desselben Weges marschirende Batterie. „Es ist der Milo von der ersten Compagnie der Fünfzehner,“ hieß es, „das arme Thier sucht seine Leute; wir wollen ihn aufnehmen; man sieht ja, er kann kaum noch weiter.“ Milo, als habe er diese Ausrufe verstanden, fügte sich willig, als man ihm ein weiches Lager auf dem Protzkasten zurecht machte. Nun aber war er nicht mehr zu halten. Mit heiserem Gebell verabschiedete er sich beim Erscheinen des bekannten Proviantwagens von den freundlichen Artilleristen und nahm denn altgewohnten Platz unter freudiger Begrüßung der in demselben schnellen Tempo zurückkehrenden Fünfzehner ein.

Von dieser Zeit ab betrachtete sich jeder Mann der Compagnie als persönlich verantwortlich für die Pflege des leidenden Compagniehundes. Auf dem Wege zur Garnisonstadt Minden hatte man ihm aus gesammelten französischen bleiernen Geschossen ein „Eisernes Kreuz“ gegossen. Geschmückt mit diesem wohlverdienten Ehrenzeichen zog er unter den wenigen Uebriggebliebenen der ersten Compagnie, welche vor Jahresfrist mit frischem, fröhlichem Muthe zugleich mit ihm in’s Feld gerückt waren, in die alte Festung wieder ein.

Milo erholte sich nach und nach von den vielfach erlittenen Strapazen dieses zwar siegreichen, aber blutigen Feldzuges. Wieder in altgewohnter Weise versah er seinen Dienst in dem ruhigen Garnisonleben. Er zog mit auf Wache, inspicirte die Kammerarbeiter und revidirte vor Allem die Menage, damit die Abfälle der Fleischportionen nicht in unbefugte Magen geriethen. Auf Posten vor der Caserne gestattete er nur Militärpersonen den Eintritt, die verhaßten Civilisten ließ der treugediente Soldatenhund niemals passiren.

Im Sommer 1873 wohnte Milo zum letztens Male einer längeren militärischen Uebung auf der in der Nähe befindlichen Haide bei. Von da ab betrachtete er sich als Pensionär. Die zwölfjährige Militärdienstzeit war mit Ehren beendet; eines besonderen Civilversorgungsscheines bedurfte es bei ihm nicht. Frau K., die ehrsame Casernenwärterin, übernahm seine Versorgung und Pflege. Unter ihrer treuen Fürsorge fristete der Pensionär sein Leben bis zum Beginn des Jahres 1876. Zuletzt schmecktet ihm auch die dargereichten leckersten Bissen, selbst der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_070.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)