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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

vor, worin er feierlich, für alle Zeiten, für sich und seine Nachkommen, verspricht, daß Ihr freie Leute sein sollt, keine Abgaben mehr an ihn zu entrichten und ihm keine Dienste mehr zu leisten habt! Und will er nicht unterschreiben, nun, so greift zu Eurer letzten Kraft!“

„Und unsere letzte Kraft ist?“ fragten die Bauern, die mit offenem Munde und leuchtenden Augen zugehört hatten.

„Wißt Ihr, was der rothe Hahn ist?“

Die Bauern wußten es und sahen sich doch unter einander erschrocken an. Der Bauernadvocat aber fuhr ruhig fort:

„Und was Euren Geistlichen betrifft, so habt Ihr mit dem noch kürzeren Proceß zu machen. Euer Gutsherr hat ihn eingesetzt, als der Patron der Pfarre. Ist der Edelmann Euer Gutsherr nicht mehr, so ist er auch nicht mehr der Patron der Pfarre. Die Gemeinde, Ihr Bauern selbst, seid der Patron, und also ist der Pfarrer hier kein Pfarrer mehr. Ihr schickt ihn einfach fort und setzet einen neuen ein. Das ist Euer Recht, ein Recht, das schon hundert Gemeinden ebenfalls ausgeübt haben. Und auch Ihr müßt es ausüben, schon um zu zeigen, daß Ihr den Muth habt, für Euer Recht einzustehen. Der Feige hat kein Recht. Jetzt habe ich Euch gesagt, was ich Euch zu sagen hatte. Daß ich es gut mit Euch meine, daran werdet Ihr nicht zweifeln können. Was Ihr beschließen und thun werdet, ist Eure Sache. Berathet Euch darüber als freie Männer – und jetzt verlasse ich Euch mit meinem Freunde. Niemand darf sagen, daß wir auf Euren Entschluß eingewirkt hätten. Der Ruhm muß der Eure bleiben, wenn Ihr keinen Muth habt, freilich auch – die Schande. Vergeßt nicht, die beiden Vertrauten zu mir zu senden! Sie finden mich in meiner Wohnung, die Ihr kennt.“

Hiermit endete der Bauernadvocat seine Ansprache und verließ die Versammlung mit seinem Freunde. Er hatte bei einem alten Ohm im Dorfe Quartier genommen. Dorthin gingen er und sein Freund.

Die Bauern sandten ihm die beiden Vertrauten nach, und er machte diesen seine geheime Mittheilung, welche die Männer mit Schrecken entgegen nahmen. Das hatte sich begeben am Abend vor dem Tage, von dem wir einzelne Scenen aus dem Schloßleben der Waltersburg mittheilten und an dem Rittmeister Ottokar von Waltershausen auf dem Sitze seiner Ahnen eintraf.

An diesem Tage ereignete sich dann auf dem Schlosse und im Dorfe Weiteres. Schon in der Nacht war im Dorfe Manches vorgefallen, aber es war im eigentlichen Sinne des Wortes hinter den Gardinen geblieben. Die Bauern waren am Abend mit der Ueberzeugung nach Hause gekommen, daß der Bauernadvocat ein guter Advocat sei und in Allem Recht habe; sie waren daher auch entschlossen, am andern Tage in Allem ihm zu folgen, dem Gutsherrn, wenn er ihnen nicht nachgebe, den rothen Hahn auf das Dach zu setzen, den Pfarrer aber mit den Seinigen, besonders mit der schlechten, falschen Tochter, ohne weitere Umstände die Thür zu weisen. Aber sie mußten am Abend nach Hause, und da kamen über Nacht andere Gedanken über sie; die Entschlüsse der Menschen sind veränderlich. Veränderlich freilich wie das Wetter, das an einem Tage drei- bis viermal umschlagen kann. Das wußte auch der Bauernadvocat Georg Hausmann, und er war gefaßt darauf, daß am andern Morgen Niemand zu ihm in den Krug kommen werde. Kommt der Berg nicht zu Mohammed, so kommt Mohammed zu dem Berge, dachte auch er als guter Prophet und suchte seine Bauern auf, die er kannte. Er fragte sie, ob sie alte Weiber und ihre Weiber die Männer seien, erinnerte sie an die gute alte Bauernregel, daß Buchweizensaat und Weiberrath alle sieben Jahre nur einmal gedeihen, und ehe im Dorfe die Mittagsglocke läutete, hatten die Bauern in einer neuen Versammlung in der Kegelbahn des Kruges sich feierlich wieder zu den Entschlüssen des vorigen Abends bekannt, die Ausführung auf den Abend festgesetzt und den Advocaten beauftragt, den Pfarrer zur gutwilligen Räumung der Pfarre aufzufordern, den Ueberfall des Schlosses aber heimlich vorzubereiten. Der Pfarrer konnte keinen Widerstand leisten; im Schlosse sollte man sich zu einem Widerstande nicht vorbereiten können.

Als die Mittagsstunde vorüber war, begab Georg Hausmann sich zur Pfarre, in Begleitung seines hochverehrten Reisegefährten und Freundes. Als die Beiden in der Pfarre ankamen, war die Pfarrersfamilie soeben von dem Mittagstische aufgestanden.

„Sie haben die Henkersmahlzeit gehalten,“ sagte lachend der Bauernadvocat zu seinem Begleiter.

Emil Brunn – denn dies war sein Name – erwiderte nichts darauf, wie er überhaupt eine ernste, stille und schweigsame Natur war oder spielte.

Der Pfarrer Reif war Wittwer. Er lebte in der Pfarre mit seinen vier Kindern, seiner ältesten Tochter Regina, zwei Knaben von vierzehn und zehn Jahren und einem Mädchen von drei Jahren. Die Geburt dieses jüngsten Kindes hatte der Mutter den Tod gebracht. Bald nachher war Regina zur Führung der väterlichen Wirthschaft aus der Hauptstadt zurückgekehrt, wo sie beim Tode der Mutter noch ihrer weiteren Ausbildung obgelegen. Die drei anderen Kinder unterrichtete der Pfarrer selbst, den ältesten Knaben, Johannes, der mit Gottes Hülfe dereinst sein Nachfolger werden sollte, auch im Lateinischen und Griechischen.

Der Pfarrer zog sich nach Beendigung des Mittagsmahles in seine Studirstube zurück. Die drei jüngeren Kinder waren in der Wohnstube geblieben, während Regine, nach dem Abtragen des Tisches durch die alte Magd Lisbeth, mit einem Buche sich in den Garten hinter dem Hause begeben hatte. Es war so die Gewohnheit des Hauses, und es mußte eine alte Gewohnheit sein. Auch Georg Hausmann kannte sie, theilte sie seinem Freunde mit und setzte hinzu:

„Ich gehe jetzt zu dem Pfarrer hinauf, suche Du Deine Schöne im Garten auf! Wahrscheinlich findest Du sie in der reizenden, verschwiegenen Laube von Jasmin.“

Sie trennten sich.

Emil Brunn schritt durch ein unverschlossenes Pförtchen in den Pfarrgarten, in welchem die Stille der Mittagszeit herrschte. Niemand war darin zu sehen. Aber die Jasminlaube war da, von der Georg Hausmann gesprochen hatte und zu ihr nahm er seinen Weg. Er ging langsam, ohne Geräusch, wie es seiner wahren oder angenommenen Natur angemessen war. Jemand, der in der Laube in ein Buch oder in seine Gedanken verlieft war, konnte sein Nahen nicht wahrnehmen. Er trat in die Laube – eine junge Dame saß darin. Bei seinem Eintreten blickte sie auf. Ihr Gesicht wurde weiß wie frischgefallener Schnee und sie schrie laut auf:

„Unglücklicher! Elender!“

Sie wollte aufspringen und die Laube verlassen. Er hielt sie.

„Nicht von der Stelle!“

Sie sank gehorsam auf die Bank zurück, von der sie aufspringen wollte.

Regine, die älteste Tochter des Pfarrers in Waltershausen, war eine schöne junge Dame. Sie mochte ein- oder zweiundzwanzig Jahre zählen. Auch Emil Brunn war ein schöner junger Mann und in diesem Augenblicke schöner als sie. Sein vornehmes Gesicht war zwar bleich, aber es trug nicht jene Kreidefarbe, und es war nicht durchfurcht von Schreck und Angst wie das seines Gegenüber; es wohnte eine stille Melancholie darin. Neben der Bank stand ein Gartenstuhl, den der junge Mann nahm, er setzte sich Reginen gegenüber. Dann sah er lange schweigend in ihr Gesicht, in ihre Augen, die sie nicht aufzuschlagen wagte.

„Mein Fräulein,“ sprach er darauf, „wir sahen uns zuletzt unter anderen Umständen, in einer anderen Lage, als heute.“

Sie blickte nicht auf, sie hatte keine Antwort.

„Die Erinnerung daran,“ fuhr er fort, „wird Ihnen keine angenehme sein, ich muß mir dennoch die Erlaubniß nehmen, sie in Ihrem Gedächtnisse aufzufrischen. Nicht zu einer Genugthuung, die für mich eine berechtigte wäre, aber um Sie auf eine Katastrophe vorzubereiten, die unvermeidlich ist, und um Ihnen zugleich die Ueberzeugung Ihrer Mitschuld, vielleicht gar Ihrer ausschließlichen Schuld an dieser Katastrophe zu verschaffen. Hierin könnte nun freilich auch eine Genugthuung für mich zu finden sein. Indessen Sie werden sie mir ja nicht mißgönnen.“

Er sprach mit einer so entsetzlichen Kälte und Ruhe, daß man sie eine teuflische hätte nennen können, wenn das bleiche Leidensgesicht nicht einen solchen Gedanken hätte zurückweisen müssen. Die junge Dame wand sich unter der Wucht seiner Worte, als ob sie sich unter den Krallen eines Ungethüms fühle.

Der junge Mann sprach weiter, kalt und ruhig wie vorher:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)