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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

geboren, in dem Hause, das vor Jahren die „Gartenlaube“ schon zur Anschauung gebracht hat. Und als der damals ungebeten gekommene Erdengast längst von der Welt geschieden, ist das Häuschen „zu mehreren Malen in großer Feuersgefahr gewesen, aber immer wunderbarlich daraus gerettet worden“. Zum Exempel Anno 1653, wo fast zweihundert Häuser und Scheunen rund um genanntes Häuslein im Feuer darauf gegangen, ist dasselbe auch durch göttliche Schickung erhalten geblieben. Aber Anno 1689 ist es doch durch das grausame Element zerstört worden, und da hat sich denn der gottesfürchtige Rath zu Eisleben entschlossen, unter Mithülfe anderer Städte (wir besitzen noch den Rathsbrief, unterzeichnet von dem Stadtvoigt, den Richtern und dem Rathe, an die Stadt Rostock in dieser Angelegenheit), „solches Haus als ein ewiges Gedächtniß nicht allein zu conserviren, sondern auch eine Schule für die gar kleine Jugend darinnen anzurichten.“

Das damals erbaute Haus wurde eine Freischule für arme Waisen, die freilich im Lauf der Zeiten nur nothdürftig ihr Leben fristete, bis Friedrich Wilhelm der Dritte die Schule in seinen Schutz nahm und sie zur Luther-Freischule erhob. Jetzt steht ein gar stattliches Gebäude, das Lehrer-Seminar, hinter dem alten Lutherhause.

Das las unser Vater uns jeden Luthertag vor, das wurde für uns die lebendige Irmensula Lutheri. Die einfache Erzählung wurde die Grundlage für unsere Kenntniß der Reformationsgeschichte, sie umhegte unsern Katechismus wie ein immergrüner Zaun, an dem wir zu jeder Zeit Blüthen und Früchte pflücken konnten. War die Lectüre beendet, dann öffnete der Vater die graue Mappe, die wir Alle kannten, darin lag, sorgfältig zwischen Seidenpapier verwahrt, das Bild der Mutter unseres Luther, das mein Vater schon von seinem Großvater ererbt hatte und das nun in meinen Besitz übergegangen ist. Damals hatte ich keine Idee, daß es mir eines Tages leid sein würde, die vergriffenen Enden und Ränder des Bildes durch Abschneiden des ausgefranzten Papieres „ordentlich“ gemacht zu haben: der Name des Malers und des Kupferstechers sind dadurch verloren gegangen. Es mag wohl aus einem Druckwerke stammen; denn es war im 18. Jahrhundert gebräuchlich, schöne werthvolle Stiche aus den Büchern herauszuschneiden und sie zum Zimmerschmuck zu verwenden. So sind aus dem mir von der königlichen Bibliothek in Berlin wohlwollend übersandten Werke: „Das Leben Hans Luther’s und seiner Ehefrau Margarethe Lindemännin etc.“ (herausgegeben von Friedrich Sigmund Keil, Rev. Min. Cand. Leipzig, verlegt von Michael Blochberger, Buchhändler, 1752), dessen Titelblatt ausdrücklich sagt: nebst ihren Bildnissen, und in dem von der Universitätsbibliothek in Bonn freundlich zur Benutzung überlassenen „Leben, Meinungen und Schicksale des Martin Luther, mit Kupfern von Joh. Friedr. Wilh. Motz“ (Halle, Joh. Jac. Gebauer 1796), die Bildnisse herausgeschnitten. In keines der beiden genannten Bücher paßt jedoch das Format des Bildes, das ich hiermit der Veröffentlichung übergebe. Vielleicht gehörte es zu dem Erinnerungsblatt, das in Nürnberg im Verlage des Balthasar Caymex von Ludwig Lochner auf einem Regalbogen gedruckt und „zu unseres Luther’s Eltern allerseligem Gedächtniß“ herausgegeben wurde; leider kann ich nicht vermelden, in welchem Jahre solches geschehen. Vielleicht weiß einer der gelehrten Herren Kupferstichsammler, woher unser in der Schabmanier oder Schwarzkunst gearbeitetes Bild eigentlich stammt.

Bei jeder künftigen Wiederkehr des Reformationsfestes aber und des Geburtstages Luther’s sollte eine Erinnerung an die Mutter des großen Mannes eine bescheidene „Irmensul Lutheri“ werden, als Festzugabe für jene Tage.

Zwischen Salzungen und Eisenach liegt das kleine Dorf Möhra. Dort lebte in dürftigen Verhältnissen ein rechtschaffener Bergmann und Schieferhauer, Hans Luther, unseres Martin’s Vater. Er stammte aus einer gar ansehnlichen Familie; schon in einer vom Kaiser Rothbart gestifteten Kirche in Ingingen in Kärnthen ist eine der in Stein gehauenen Figuren mit dem Namen Lutherus bezeichnet. Das will freilich nicht viel sagen, da man ja auf diese Weise auch des frommen Ludwig Sohn Lothar, im 9. Jahrhundert, als den Ahnherrn des Reformators ansehen müßte. Sicherer ist, daß seine Familie mit dem alten Siegel Derer von Luther siegelte , welche durch Kaiser Sigismund im 14. Jahrhundert Adel und Wappen erhalten hatten, ja, daß selbst unser Martin sich dieses Siegels bediente, bis er in seines Herzens tiefer Noth, als alle Welt ihm nach Leib und Leben gestanden, sich eines neuen Siegels bediente, das symbolisch sein Vertrauen und seine Gläubigkeit ausdrückte: die aus des Vaters Siegel beibehaltene Rose im himmelblauen Felde, „mit einem grünen Kränzlein umgeben, und mitten in der Rose ein Herz, und auf dem Herz ein golden Kreuz, dazu geschrieben stand: des Christen Herz auf Rosen geht, wenn’s mitten unter Dornen steht.“ – Vermeine übrigens, der Martinus Luther wird’s mit den Ahnen gehalten haben, wie der Kaiser Napoleon, der seinen mühsam von schmeichlerischer Hand zusammengestellten Stammbaum in Stücken zerriß, weil mit ihm selbst ein neues Geschlecht beginne.

Wie der Vater unseres Luther die Bekanntschaft seiner späteren Eheliebsten gemacht, wird uns nirgends berichtet. Wir wissen nur, daß er zur Führung seiner Haushaltung zu seiner Gehülfin Jungfer Margarethen, aus dem alten Geschlecht der Lindemänner zu Eisenach erwählte und sich mit derselben ehelich trauen ließ. Jahr, Monat und Tag, wann solches geschehen, können wir ebenfalls nicht mehr genau angeben; es mag um 1479 gewesen sein. Wie alt sie war, als sie in den Ehestand trat, ist auch nicht in Erfahrung zu bringen gewesen. Wohl aber wissen wir, daß ihre Eltern sie zu aller Gottesfurcht, Haushaltung und anderen Tugenden erzogen, sodaß, „obgleich sie ebenfalls kein großes Vermögen besessen, Hans Luther doch seine eheliche Liebe auf sie warf“. Abweichend von anderen Berichterstattern erzählt Magister Nicolaus Rebhahn in seiner Kirchenhistorie, daß sie bei Luther’s Geburt bereits von Möhra nach Mansfeld gezogen waren. Sie waren recht arm, Hans und Margarethe; „Gott hatte ihnen aber Beiden einen festen Körper gegeben, sodaß sie ihren Beruf sorgfältig und unverdrossen in Acht nehmen konnten.“ Der Vater arbeitete unermüdlich im Bergwerk, die Mutter trug ihr Holz auf dem Rücken heim; ihr großer Sohn berichtet uns selbst, daß sie „sich’s haben blutsauer werden lassen, wie es zu seiner Zeit fürwahr die Leute nimmer thäten“. Und wie sie hart und streng gegen sich selbst sein mußten, so waren sie’s auch gegen ihre Kinder, deren sie eine große Zahl hatten, denn gegen die gewöhnliche Annahme von sechs Kindern spricht Luther selbst in seinen Briefen, indem er neun Schwäger, die Männer seiner Schwestern, erwähnt.

Die uns mit Namen bekannten Kinder sind, außer zwei an der Pest verstorbenen Söhnen: unser Martin, Jacob, Barbara, Dorothea, Maria, Katharina. Die Mutter mag wohl ein hart Stück Arbeit bei der Erziehung der vielen Kinder gehabt haben, da der Vater viel aus dem Hause sein mußte, und unser Luther preist noch in späten Jahren der Eltern große Strenge an ihm, wenn er auch nicht verkennt, daß, obgleich sie es gut meinten, sie doch nicht die Charaktere zu unterscheiden wußten, nach welchen Strafen einzurichten. Er wurde gar hart gehalten, die Mutter stäupte ihn einst wegen einer geringen Nuß bis auf’s Blut. Und als sie ihn in die Schule brachten, er war damals so klein, daß der Vater ihn auf den Armen dahin tragen mußte, da wurde er auch nur der Strenge, nicht der Nachsicht des Lehrers empfohlen, und der gebrauchte das ihm verliehene Recht in vollem Maße; fünfzehnmal hat er den armen Martin in einem Vormittag „gestrichen“. Er wurde schüchtern, der arme Knabe, und bekennt selbst, daß ihn die übergroße Strenge später in’s Kloster getrieben habe.

Aber der große Sohn hielt die Eltern doch bis an’s Ende ihrer Tage hoch und werth, denn er wußte eben, sie meinten es herzlich gut, auch als sie ihm anfänglich die Erlaubniß zum Eintritt in’s Kloster verweigerten und später nur halbe Einwilligung zur Verheirathung mit seiner lieben Käthe gaben.

Was hatten die Eltern nicht um ihn zu leiden gehabt! Als Luther’s Lehre den alten bösen Feind mit Macht und viel List gegen ihn in die Waffen rief, da griff Unverstand und böser Wille auch die Ehre der Mutter an. Man lebte ja in der Zeit des Dr. Faust, der da in Verbindung mit dem Bösen seine Werke vollbrachte, wie das Volksbuch jener Tage uns berichtet, und der Böse, so glaubte die Menge, zog um unter jeglicher Gestalt und verführte die Herzen thörichter Jungfrauen, sodaß sie der teuflischen Buhlschaft sich hingaben, und dies Entsetzliche dichtete der Aberglaube ober vielmehr der böse Wille auch der Mutter Luther’s an. Vor ihrer Verheirathung, so habe sie selbst einer Freundin berichtet, sei ihr der Böse als ein junger Gesell in

rothen Kleidern erschienen, und sie sei die Seine geworden, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_046.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)