Seite:Die Gartenlaube (1878) 035.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Wir werden sie im Parke finden,“ erwiderte er.

Der Schloßherr, der Baron, wie er ohne Hinzufügung seines Taufnamens genannt wurde, zeigte Verwunderung über diese Antwort.

„Wer sagte es Dir?“ fragte er.

„Ihre Kammerfrau, als ich sie in ihrem Zimmer suchte, um sie zu der Promenade abzuholen.“

„Sie war nicht in ihrem Zimmer?“

„Sie sei schon vorausgegangen, theilte die alte Lene mir mit.“

„Sonderbar!“ sprach der Baron für sich. „Konrad,“ wandte er sich dann zu seinem Kammerdiener zurück, „rufe den Friedrich hierher!“

Konrad ging zu dem alten Friedrich, der noch wartend an dem Portal stand, und kehrte mit ihm zurück.

„Ging meine Frau aus?“ fragte der Baron den alten Diener.

„Die gnädige Frau,“ antwortete dieser, „befand sich nicht ganz wohl, bedurfte der frischen Luft und suchte den Park auf.“

„Allein?“

„Allein, Euer Gnaden! Wenn die gnädige Frau ihre Migräne hat, so fühlt sie das Bedürfniß, sich von jeder Gesellschaft zurückzuhalten.“

„Ja, ja! Ertheilte sie Ihnen keine Befehle?“

„Sie befahl mir nur, wenn der gnädige Herr nach ihr fragen werde, zu berichten, daß sie den Park aufgesucht habe. Sie hoffte aber vor der Promenadenzeit schon zurück zu sein.“

Um drei Uhr Nachmittags wurde im Schloß die Tafel aufgehoben, und um vier Uhr fand eine gemeinschaftliche Promenade der Herrschaft statt, welche etwa eine Stunde zu dauern pflegte. Das Leben im Schlosse war ein nach der Uhr geregeltes.

„Um welche Zeit,“ fragte der Baron noch, „ging die gnädige Frau aus?“

„Es ist noch nicht sehr lange her.“

Die Antwort wurde mit einer gewissen Befangenheit gegeben, wie denn das Benehmen des alten Kammerdieners von Anfang an nicht ohne Befangenheit gewesen war. Mit bekümmertem Gesicht zog er sich wieder auf seinen Posten am Schloßportale zurück.

„Mich wundert nur,“ nahm Baron Kurt das Gespräch wieder auf, „daß es noch immer so still bleibt.“

Der ältere Bruder antwortete darauf nicht.

„Die Bauern,“ fuhr der Andere fort, „sind doch schon seit dem Morgen versammelt, und zum Abend soll es losgehen. Da müßte man etwas von ihnen hören.“

„Wenn es losgeht, werden wir es schon hören,“ entgegnete der Baron.

„Mögen wir es nur nicht zu spät hören!“

Der Baron schwieg darauf wieder.

„Ja, ja,“ meinte der jüngere Bruder, „Du bist immer so ruhig. Ich kann es nicht sein.“

„Sei auch Du ruhig, Kurt!“

„Bei der Gefahr, die uns droht?“

„Ja! Du bist nicht der Mann, darin zu handeln, und auch ich bin es nicht. Ueberlassen wir Alles Emma und dem alten Bannhart! Emma ist klug und muthig, und unser Haushofmeister hat schon manchen Krieg mitgemacht und in blutigen Schlachten gekämpft; er wird den Kopf nicht verlieren.“

Der Baron hatte mit einer Energie gesprochen, die um so mehr auffallen mußte, je mehr sie gegen sein sonstiges schlaffes, apathisches Wesen abstach.

„Was nur Emma in dem Parke macht?“ fragte Baron Kurt. „Gerade jetzt?“

„Sie wird Anordungen zu treffen haben,“ meinte der Baron.

„Allein?“

„Mit Bannhart, der schon vor längerer Zeit das Schloß verließ.“

„Ja, sie hat Muth.“

„Machen wir jetzt unsere Promenade!“ forderte dann der Baron den Bruder auf.

Kurt hatte auf einmal Bedenken.

„Hm, lieber Adalbert, auch heute die Promenade? Bleiben wir doch lieber im Schlosse!“

„Warum?“ fragte der Baron.

„Dem Schlosse könnte Gefahr drohen.“

„Welche Gefahr?“

„Ein Ueberfall der Bauern.“

„Wir Beide könnten ihn nicht abwenden, Bruder Kurt.“

„Nein, nein! Aber draußen sind wir noch weniger sicher. Wir könnten bei jedem Schritt überfallen werden.“

Es lag wohl keine Logik in dem Einwande des guten Baron Kurt. Der Baron Adalbert dachte dennoch über ihn nach.

„Gehen wir doch!“ sagte er. „Zu Emma! Sie könnte in Gefahr gerathen. Sie ist allein mit Bannhart fort.“

„Könnten wir ihr helfen?“ fragte jetzt Kurt.

„Wir müssen doch den Muth haben.“

Der jüngere Bruder sann einen Augenblick nach.

„Ja, Adalbert!“ sagte er dann entschlossen. „Wir wollen den Muth haben. Es ist ein Ritterdienst gegen eine Dame. Die Chronik unseres edlen Hauses –“

Er schwieg.

„Gehen wir!“ forderte der Baron Adalbert ihn auf.

„Wohin?“

„In den Park.“

„Ah, und wo finden wir sie in dem Park? Er ist groß.“

„Wir suchen sie.“

Der Baron sagte das, indem er nach dem Parke hin sich in Bewegung setzte, und Kurt konnte nicht zurückbleiben. Beiden folgte der Kammerdiener Konrad.

Schloß Waltersburg war ein Prachtgebäude. Ausgeführt in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, trug es nicht den Baustil jener Zeit und war dadurch zu einem einfachen, edlen und großartigen Bau geworden, bestimmt für die Dauer von Jahrhunderten, für jedes Jahrhundert ansprechend. Es lag auf einer vorspringenden Anhöhe, die lange Façade frei, mit einem weiten Blick über den größten Theil des Parkes hinweg, in ein längeres Thal, auf das Dorf Waltershausen, auf Fluren und Weiden, auf den hohen Wald hinter dem Dorfe, auf die blauen Berge, die hinter dem Wald am fernen Horizont sich erhoben. Seine drei anderen Seiten waren von dichter Waldung umgeben, und ein geräumiger vergitterter Hof umzog das Schloß mit seinen Nebengebäuden nach allen Seiten.

Die beiden Brüder hatten den Park betreten; sie gingen schweigend weiter, den Diener immer in der gemessenen Entfernung von zehn Schritten hinter sich. Rings um sie her herrschte tiefe Stille, in der Nähe, wie in der Ferne, in dem Schlosse hinter ihnen, in dem Dorfe, das vor ihnen im Thale lag. Wühlte da unten der Bauernadvocat, so war es bis jetzt nur ein stilles Wühlen, das freilich um so gefährlicher werden, um so größeren Lärm, um so dringendere Gefahr nach sich ziehen konnte.

Die beiden schweigenden Spaziergänger lenkten ihre Schritte dem Dorfe zu. Sie kamen an Alleen, an grünen Rasenplätzen, an blauen Weihern, an dunklen Bosquets vorüber. An der Mündung einer Allee machte der Baron plötzlich Halt, er hatte hineingeblickt; ein einzelner Mann kann darin näher.

„Bannhart!“ sagte der Baron verwundert. „Allein? Ohne Emma? Erwarten wir ihn!“

Sie warteten auf denn Nahenden. Der Mann ging langsam, in Gedanken, wie es schien, aber auf einmal stand er still, er hatte die beiden Brüder gesehen – er stutzte.

„Was hat Bannhart?“ fragte sich der Baron.

„Gehen wir ihm entgegen!“ meinte Kurt.

„Wir erwarten ihn,“ entschied der Schloßherr.

Der Haushofmeister setzte sich wieder in Bewegung und erreichte bald die Herrschaft. Er war eine ganz eigene Persönlichkeit. Daß er nahe an siebenzig Jahre zählen mußte, konnte man ihm nachrechnen, wenn auch Niemand, er selbst vielleicht eingeschlossen, sein Geburtsjahr kannte. Bei der Husarenschwadron, in welcher der Freiherr von Waltershausen, der Vater der auf der Waltersburg lebenden Brüder, als Lieutenant gestanden hatte, diente Bannhart als Unterofficier. Der tüchtige und erfahrene Mann wurde der Unterweiser des jungen, unerfahrenen Lieutenants. In den vielen blutigen Kriegen jener Zeiten hatten sie manche gemeinschaftliche Gefahr zu bestehen, und bald hieb der Unterofficier den Lieutenant, bald der Lieutenant den Unterofficier heraus. Der Unterofficier wurde Wachtmeister, und der Lieutenant

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_035.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2017)