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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

wie sich der Tapfere nach Lenz ruhmeswerth im Kampfe mit der wohlbewaffneten Otter benahm.

„Am 30. August,“ sagt unser Naturforscher, „ließ ich eine große Kreuzotter in die Kiste des Igels, während er ruhig seine Jungen säugte. Ich hatte mich im Voraus davon überzeugt, daß diese Otter an Gift keinen Mangel litt, da sie zwei Tage vorher eine Maus sehr schnell getödtet hatte. Der Igel roch sie sehr bald, erhob sich von seinem Lager, tappte unbehutsam bei ihr herum, beroch sie, weil sie ausgestreckt dalag, vom Schwanze bis zum Kopfe und beschnupperte vorzüglich den Rachen. Sie begann zu zischen und biß ihn mehrmals in die Schnauze und in die Lippen. Ihrer Ohnmacht spottend, leckte er sich, ohne zu weichen behaglich die Wunde und bekam dabei einen derben Biß in die herausgestreckte Zunge. Ohne sich beirren zu lassen, fuhr er fort, das wüthende und immer wieder beißende Thier zu beschnuppern, berührte sie auch öfters mit der Zunge, aber ohne anzubeißen. Endlich packte er schnell ihren Kopf, zermalmte ihn, trotz ihres Sträubens, sammt Giftzähnen und Giftdrüsen zwischen seinen Zähnen und fraß dann ruhig weiter bis zur Mitte des Leibes.“

Von einer andern Otter erhielt derselbe Igel zehn Bisse in die Schnauze. Dennoch wich er nicht und besiegte die Wüthende. „Seitdem,“ so berichtet Lenz weiter, „hat der Igel oftmal mit demselben Erfolge gekämpft, und dabei zeigte es sich, daß er den Kopf jedesmal zuerst zermalmte, während er dies bei giftlosen Schlangen ganz und gar nicht berücksichtigte.“

So ist’s recht: gerade dem gefährlichsten Gegner zeigt man offenes Visir. und der Angriff in’s Gesicht ist allein wahrhaft ritterlich. Harmloser Igel, du trägst deinen Panzer mit Ehren.

Karl Müller. 


Auf Waltersburg.
Novelle von J. D. H. Temme.


1. In Schloßhof und Park.

Auf dem Schloßhofe der Waltersburg standen zwei Männer beisammen, die man auf den ersten Blick für Herren aus dem Schlosse hätte halten können, die sich aber bei näherer Betrachtung als Diener desselben darstellten. Sie befanden sich beide in vorgerücktem Alter; dem Einen war, wie von der Bürde des Alters, der Rücken bereits gekrümmt, und sein Haupt glänzte silberweiß; dem Anderen war das blonde Haar, das er gescheitelt und hinter den Ohren sorgfältig geringelt trug, nur erst grau gemischt; bei gerader Haltung hatte er ein behäbiges Ansehen, während an Jenen die den Körper austrocknenden Tage des Alters schon seit ein paar Jahren herangetreten sein mußten. Die Kleidung Beider war eine sorgfältige, schwarz vom Kopfe bis zu den Füßen, nur die Halsbinden waren weiß, schneeweiß, wie die baumwollenen Handschuhe, mit denen ihre Hände bekleidet waren. In dem Gesichte des Aelteren gewahrte man nur die stille Ergebenheit des Dieners, dem die Treue ein Lebenselement, der Gehorsam zur Lebensgewohnheit geworden. Er war der Diener der Schloßherrin, der Jüngere der des Schloßherrn.

Das Schloß Waltersburg hatte in früheren Zeiten der Stein von Waltershausen geheißen; bis in diese alte Zeit leitete der gegenwärtige Besitzer des Schlosses seinen Stammbaum zurück, wie auch seine Gemahlin einem alten Geschlechte angehörte. Die Ehe war kinderlos.

Die beiden Diener standen in lebhafter Unterhaltung wartend vor dem Portale des Schlosses. Sie waren die einzigen lebenden Wesen, die man auf dem weiten Schloßhofe sah. Auf diesem und in dem großen Prachtschlosse, wie in den Nebengebäuden herrschte die tiefste Stille, und diese Einsamkeit und Stille bildeten den Gegenstand der Unterhaltung der Beiden.

„Lange wird es hier nicht so bleiben,“ bemerkte der Jüngere.

Der Aeltere schwieg.

„Heute Abend schon,“ fuhr Jener fort, „vielleicht noch früher, wird es hier unruhig genug aussehen.“

Der Aeltere hatte auch darauf keine Erwiderung.

„Es war immer so still und ruhig hier, und nun auf einmal dieser Lärm, diese Angst –“

„Immer?“ unterbrach ihn der Aeltere. „Es gab auch Zeiten hier –“ Er brach ab.

„Ja, ja,“ stimmte der Andere bei, um sofort doch zu widersprechen. „Es gab hier wohl Zeiten, in denen kein rechter Friede da war –“

„Um den Unfrieden im Hause darf der Diener sich nicht kümmern,“ fiel der Aeltere ein, „am wenigsten aber soll er davon sprechen.“

Er sprach strenge. Der Andere gab sofort nach.

„Ich wollte nur sagen, daß die Ruhe hier im Schlosse niemals gestört wurde. Das Leben ging immer seinen ruhigen Gang, den einen Tag wie den anderen. Und nun auf einmal soll das vorbei sein –“

Nochmals unterbrach ihn der Aeltere und diesmal strenger als vorher.

„Soll? Hast Du darüber zu bestimmen?“

„Aber,“ entgegnete der Jüngere, „Sie können doch nicht leugnen, Friedrich, daß die Bauern rund um uns her nahe daran sind, zu revoltiren, daß sie die Edelsitze stürmen und plündern und auch Schloß Waltersburg von ihnen bedroht wird. Der Bauernadvocat wühlt schon seit drei Tagen unten im Dorfe, macht die Bauern unruhig, widerspenstig. Selbst der Pfarrer, der die Liebe Aller hat –“

Der alte Friedrich mußte doch noch einmal darein reden.

„Liebe!“ sagte er. „Liebe der Bauern! Der Bauer muß durch Furcht in Ruhe und Gehorsam gehalten werden, und wenn er die Säbel und Karabiner der Husaren sieht, so – und er wird sie hier oben finden.“

Der Jüngere mußte sein Recht behalten.

„Wir müssen,“ sagte er, „doch die Husaren haben, und da ist es mit der Ruhe hier vorbei.“

Die Unterredung der Beiden wurde abgebrochen, da ein Herr aus dem großen Portale des Schlosses trat. Er war ein hübscher Mann, vielleicht in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre, zart gebaut und von frischem, gesundem Aussehen. Sein feines, fast mädchenhaftes Gesicht zeigte Gutmüthigkeit in jedem Zuge. Er schien einen Spaziergang machen zu wollen, denn er blickte beim Heraustreten in den Schloßhof zum Himmel hinauf, wie um das Wetter zu prüfen, richtete dann den Blick in die Ebene hinunter, die weit ausgebreitet vor ihm lag, und stützte sich dabei auf ein spanisches Rohr, das ihm zum Spazierstock diente. Der stattliche Mann war der Schloßherr, Freiherr Adalbert von Waltershausen, auch Stein von Waltershausen genannt.

Bei seinem Erscheinen hatten die beiden Diener sich getrennt. Der alte Friedrich, der Kammerdiener der Schloßherrin, trat zur Seite nach dem Schloßportal zurück, wohl um seine Herrin zu erwarten, während Konrad sich zu seinem Gebieter, dem Schloßherrn begab, um dessen Befehle in Empfang zu nehmen. Es entstand dann auf dem Schloßhofe eine bewegungslose Stille. Der Baron rührte sich nicht, die beiden Diener rührten sich nicht, und erst nach einer Weile wurde die Stille unterbrochen.

Ein feingebauter, noch junger Mann trat aus dem Schlosse in den Hof. Auf den ersten Blick glaubte man, er stehe erst in den zwanziger Jahren, gar in deren Anfange, dann aber mußte man ihn älter finden. Die knabenhafte Röthe seines glatten Gesichts und eine kindliche Gutmüthigkeit in den weichen Zügen gaben ihm ein jugendlicheres Aussehen, einzelne Umrisse um den Mund und in den Augenwinkeln ließen freilich auf ein reiferes Alter schließen. Er war der Baron Kurt von Waltershausen, der jüngste Bruder des Schloßherrn. Alles an ihm war gewählt und elegant. Freundlich grüßend ging er an dem alten Diener Friedrich vorbei zu dem wartenden Schloßherrn.

„Hört man noch nichts?“ fragte er den Bruder.

„Es ist Alles ruhig,“ war die Antwort.

„Es wird schon kommen,“ versicherte mit einer eigenthümlichen Bestimmtheit und Wichtigkeit der Baron Kurt.

Der Schloßherr achtete auf die Worte nicht.

„Du kommst allein?“ fragte er. „Ohne Emma?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_034.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2017)