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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

zwischen der Alternative: Erstens, Einräumung eines Theiles der Befestigung von Paris, und zwar eines die Stadt beherrschenden Punktes, an uns und dafür Freigebung des Verkehres der Pariser mit der Außenwelt; zweitens, Verzicht auf jene Einräumung, aber Uebergabe von Straßburg und Toul. Das Letztere beanspruchten wir, weil es in den Händen der Franzosen uns die Zufuhr unserer Bedürfnisse erschwert. Ueber Abtretung von Gebiet sprach sich der Bundeskanzler dahin aus, daß er sich über die Grenzen derselben erst erklären könne, wenn sie im Princip anerkannt sei. Der Waffenstillstand sollte zum Zweck der Befragung der Volksrepräsentation abgeschlossen werden.

Am nächsten Tage, wo der Fürst Radziwil und ein Herr von Knobelsdorff vom Generalstabe mit uns aßen, äußerte der Minister in dieser Beziehung außer einigen anderen Bemerkungen noch: „Als ich etwas von Straßburg und Metz fallen ließ, machte er ein Gesicht, als ob das Scherz von mir wäre. Ich hätte ihm da erzählen können, wie mir einmal – wie heißt er gleich? – der große Kürschner in Berlin sagte. Ich ging mit meiner Frau hin, um nach einem Pelze zu fragen, und da nannte er mir für den, der mir gefiel, einen hohen Preis. ‚Sie scherzen wohl?‘ versetzte ich. ‚Nein,‘ erwiderte er, ‚in de Geschäfte, da scherze ich nich.‘“ Man sprach dann noch von der Einnahme Roms durch die Italiener, die wir Tags vorher erfahren, und vom Papste, der im Vatican zurückgeblieben. Der Kanzler äußerte über Letzteren unter Anderem: „Ja, Souverän muß er bleiben. Nur fragt sich’s: wie? Man würde mehr für ihn thun können, wenn die Ultramontanen nicht überall so gegen uns aufträten. Ich bin gewohnt, in der Münze wieder zu zahlen, in der man mich bezahlt.“ Beim Essen fehlte Abeken; er hatte einen Schlaganfall gehabt und lag zu Bette. Nach Tische kam der amerikanische General Burnside mit noch einem alten Herrn, der ein rothes Wollenhemd und einen Papierkragen trug. Der General, ein ziemlich großer, wohlbeleibter Mann mit dicken, buschigen Augenbrauen und auffallend hübschen weißen Zähnen, konnte mit seinem abgezirkelten, kurzgehaltenen Wilhelmsbarte für einen ältlichen preußischen Major gelten. Der Chef setzte sich mit ihm auf das Sopha links vom Fenster im Eßzimmer und unterhielt sich lebhaft mit ihm bei einem Glase Kirschwasser, während Fürst Radziwil mit dem Andern sprach. Nachdem der Minister dem General bemerkt, daß er etwas spät zu unserer Campagne käme, und dieser das erklärt, setzte er ihm auseinander, daß wir nicht entfernt den Krieg gewollt und, als wir mit der Kriegserklärung überrascht worden, nicht an Eroberung gedacht hätten. Unsere Armee sei vortrefflich für Vertheidigungskriege, aber zur Ausführung von Eroberungsplänen nicht zu verwenden; denn das Heer sei das Volk, und das Volk sei nicht ruhmbegierig; es brauche und wolle den Frieden. Eben deshalb aber, um der Erhaltung des Friedens willen, müßten wir jetzt einem ehr- und eroberungssüchtigen Volke, den Franzosen, gegenüber auf Sicherheit für die Zukunft bedacht sein, und die fänden wir nur in einer Defensivstellung, die besser wäre, als die bisherige. Burnside schien das einzusehen und lobte höchlich unsere vortreffliche Organisation und die tapferen Thaten unserer Truppen. Abends erfuhren wir noch, daß Straßburg sich unserer Belagerungsarmee übergeben habe.

Als der König am Mittwoch, den 28., früh zu einer Truppenbesichtiguung in die Cantonnements bei Paris gefahren, gingen der Chef, Moltke und Podbielski ein paar Stunden auf die Fasanenjagd „in den Wäldern im Norden und Nordosten außerhalb des Parks“; denn in letzterem hatte Seine Majestät alles Schießen und Jagen untersagt. Während der Minister fort war, frühstückte ein ältlicher Franzose in grauem Rocke und grauem Butterglockenhut, mit schneeweißem Haare, stark gebogener Nase und grauem Schnurr- und Kinnbarte mit uns. Es war, wie man später erfuhr, der nach dem Kriege von den Zeitungen viel besprochene Reynier, der in dieser Zeit – wie es schien, halb und halb auf eigene Hand – zwischen der Kaiserin Eugenie und Bazaine den Vermittler spielte. Bei Tische, wo der Adjutant des Königs, Graf Lehndorff, der Landrath Graf Fürstenstein in der Uniform eines hellblauen Dragoners mit gelbem Kragen und ein Herr von Katt mit uns speisten, von welchen die beiden Letzteren Präfecten in eroberten französischen Gebieten werden sollten, erzählte uns der Chef, daß er diesmal in Folge von zu schwachen Patronen auf der Jagd kein Glück gehabt, da er nur einen Fasan erlegt und drei oder vier zwar angeschossen, aber dann nicht gefunden habe. Früher sei es ihm hier besser ergangen, wenigstens mit den Fasanen. Mit anderem Wilde wäre das allerdings nicht der Fall gewesen, dagegen habe er bei Dietze in der Magdeburger Gegend einmal an fünf bis sechs Stunden hundertundsechszig Hasen geschossen.

Nach den Essen war der Großherzog von Weimar oben bei dem Bundeskanzler, dann Reynier und zuletzt Burnside nebst seinem Begleiter vom gestrigen Tage.

Ich überspringe wieder eine Woche und das, was ich von ihr aufzuzeichnen hatte, und komme zu unserer Abfahrt von Ferrières.

Wir verließen, nachdem am Tage vorher Lothar Bucher und der Chiffreur Wiehr als Verstärkung eingetroffen waren, das Schloß am 5. October früh nach sieben Uhr und fuhren, meist auf Dorfwegen, die aber vortrefflich waren, durch einen großen Wald, dann durch verschiedene, fast völlig von ihren Bewohnern verlassene Dörfer, auf die Seine im Südosten von Paris zu. Das wohl angebaute reiche Land war voll von Villen und Schlössern. In den Ortschaften war erst württembergische, dann preußische Einquartierung. Um acht Uhr waren wir, nachdem ein schrecklich steiler Weg passirt war, den man durch einen Weinberg geführt hatte, und auf welchem nur sehr geschicktes Laviren unsere Wagen vor dem Umschlagen bewahrte, in dem anmuthigen Städtchen Villeneuve St. George, in dessen Villen eine gräuelvolle Verwüstung herrschte. In mehreren derselben waren die Spiegel zerschlagen, die Polstermöbel zerbrochen und aufgeschlitzt, Wäsche und Papiere umhergestreut etc. Von hier ging es über einen Canal oder Nebenfluß hinaus auf’s Feld und dann auf einer Pontonbrücke über die klare, grüne, an der Mitte ziemlich tiefe Seine, die hier etwa so breit wie die Elbe bei Pirna ist.

Jenseits des Flusses kamen wir zunächst nach dem hochgelegenen Villeneuve Le Roi, wo die Insassen unseres Wagens in einem Bauernhofe vor dem Düngerhaufen das mitgebrachte Frühstück verzehrten. Aus der Mauer des Hauses fließt ein klarer Brunnen, über welchem eine Tafel besagt, daß der Sieur X. und Frau an dem und dem Tage dieses Wasser fanden und es durch eine Pumpe dem Publicum zugänglich machten. Darunter steht ungefähr: „Die Wohlthäter werden vergessen; ihre Wohlthaten bleiben“. Ein Weißbart in der landesüblichen Blouse und der hohen grauen Zipfelmütze des französischen Bauern humpelte auf Holzschuhen heran, klopfte mich auf die Schulter und fragte, ob das nicht hübsch gesagt sei, und ich erfuhr dann von ihm, daß er selbst die männliche Hälfte des Wohlthäterpaares war, welches die Tafel der Nachwelt zu dankbarem Andenken empfiehlt. „Man muß sein Licht nicht unter den Scheffel stellen,“ sagte der Franzose – da setzte er sich selber ein Denkmal.

Weiterhin durch ein Dorf, bei dem Infanterie, in Bataillonen neben dem Wege gelagert, den König zu einer Besichtigung erwartet. Ein Stück davon auf dem Felde, neben einem Wäldchen vier Cavalleriedivisionen, grüne, braune, rothe Husaren, Ulanen und Kürassiere. Schon lange hoffte ich auf einen Blick nach Paris hin. Aber auf der Seite rechts, wo es liegen muß, versperrt ein ziemlich hoher bewaldeter Hügelzug, auf dem dann und wann ein Dorf oder ein weißes Städtchen sich abhebt, die Aussicht. Endlich kommt eine Senkung in dem Höhenkamm, ein Thälchen, über dem eine gelbliche Erhöhung mit scharfem Rand, vermuthlich ein Fort, und links davon erheben sich über einer Wasserleitung oder einen Viaduct in Rauchsäulen, die aus Fabrikschornsteinen aufsteigen, die bläulichen Umrisse eines großen Kuppelbaues. Das Pantheon! Hurrah! wir sind vor Paris. Es kann kaum mehr als anderthalb Meilen von hier bis dahin sein.

Noch eine Stunde auf der großen gepflasterten Kaiserstraße, noch zwei Dörfer, und wir fahren durch ein eisernes Gitterthor mit vergoldeten Spitzen in eine breite Straße hinein, dann quer über eine noch breitere Allee mit alten Bäumen, darauf durch eine engere Gasse mit dreistöckigen Häusern und wieder über eine große Allee, um in eine Seitenstraße einzubiegen, wo für uns Quartiere besorgt sind. Wir sind in Versailles und zwar auf der Rue de Provence, wo wir dann fünf volle Monate verbleiben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_028.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)