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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

aushelfen müssen, und die achtundzwanzig Declinationen, die man früher hatte, waren auch etwas für’s Gedächtniß. Jetzt giebt’s zwar nur noch drei, aber dafür um so mehr Ausnahmen. Und wie werden die Stämme dabei verwandelt – von manchem Worte bleibt kaum ein Buchstabe.“

Wir reden von der Behandlung der schleswig-holsteinischen Frage beim Bundestage. Graf Bismarck-Bohlen, der inzwischen dazugekommen ist, bemerkt, das müsse doch zum Einschlafen gewesen sein. „Ja,“ sagt der Chef, „in Frankfurt schliefen sie bei den Verhandlungen mit offenen Augen. Ueberhaupt eine schläfrige, fade Gesellschaft, die erst genießbar wurde, als ich als der Pfeffer dazu kam.“ Er erzählt dann eine anmuthige Anekdote von Rechberg, die sich später einmal mittheilen lassen wird.

Ich frage darauf nach der „berühmten Cigarrengeschichte“. – „Welche meinen Sie?“ – „Die, wo Excellenz, als Rechberg Ihnen etwas vorrauchte, sich auch eine Cigarre ansteckten.“ – „Graf Thun, wollten Sie sagen. Ja, das war einfach. Ich kam zu ihm, als er arbeitete und dazu rauchte. Er bat mich, einen Augenblick zu verziehen. Ich wartete eine Weile, als es mir aber zu lange wurde und er mir keine Cigarre anbot, nahm ich mir eine und ersuchte ihn um Feuer, das er mir mit etwas verwunderten Gesichte auch gab. – Aber es ist noch eine andere Geschichte der Art zu erzählen. Bei den Sitzungen der Militärcommission hatte, als Rochow Preußen beim Bundestage vertrat, Oesterreich allein geraucht. Rochow hätte es als leidenschaftlicher Raucher gewiß auch gern gethan, getraute sich’s aber nicht. Als ich nun hinkam, gelüstete mich’s ebenfalls nach einer Cigarre, und da ich nicht einsah, warum nicht, ließ ich mir von der Präsidialmacht Feuer geben, was von ihr und den anderen Herren mit großem Erstaunen bemerkt zu werden schien. Es war offenbar für sie ein Ereigniß. Für diesmal rauchten nun blos Oesterreich und Preußen. Aber die anderen Herren hielten das augenscheinlich für so wichtig, daß sie darüber nach Hause berichteten und um Verhaltungsbefehle baten. Die ließen auf sich warten. Die Sache erforderte reifliche Ueberlegung, und es dauerte wohl ein halbes Jahr, daß nur die beiden Großmächte rauchten. Endlich begann auch Schrenth, der baierische Gesandte, die Würde seiner Stellung durch Rauchen zu wahren. Der Sachse Nostitz hatte gewiß auch große Lust dazu, aber wohl noch keine Erlaubniß von seinem Minister. Als er indeß das nächste Mal sah, daß der Hannoveraner Bothmer sich eine genehmigte, muß er, der eifrig österreichisch war – er hatte dort Söhne in der Armee – sich mit Rechberg verständigt haben; denn er zog jetzt ebenfalls vom Leder und dampfte. Nun waren nur noch der Württemberger und der Darmstädter übrig, und die rauchten überhaupt nicht. Aber die Ehre und Bedeutung ihrer Staaten erforderten es gebieterisch, und so langte richtig das folgende Mal der Württemberger eine Cigarre heraus – ich sehe sie noch; es war ein langes, dünnes, hellgelbes Ding – und rauchte sie als Brandopfer für das Vaterland wenigstens halb.“

Am nächsten Tage früh, bevor der Chef aufgestanden, Ausflug in den Park. In einem großen Gehege links ein starkes Rudel weidender Rehe. Weiter draußen eine prachtvolle Volière, in deren geräumigen Drahtkäfigen eine Menge ausländischer Vögel, darunter chinesische, japanesische, neuseeländische, seltene Tauben, Goldfasanen und dergleichen, auch eine Wachtelzucht. Zurückgekehrt, begegne ich Keudell im Corridor. „Krieg!“ ruft er. „Brief von Favre, der Alles ablehnt.“ Bei Tische, wo Tauffkirchen, der in Reims angestellt werden soll, und Oberpostdirector Stephan Gäste des Chefs sind, erzählt Letzterer, daß die Dörfer weiter nach Paris hin sammt den dortigen Schlössern und Villen alle verlassen und großenteils furchtbar verwüstet sind. In Montmorency, wo sich eine schöne Bibliothek und eine Münz- und Alterthumssammlung befunden, seien die Gold- und Silbermünzen gestohlen und nur die kupfernen zurückgeblieben, alles Uebrige zerfetzt, zerschlagen und herumgestreut. Der Chef sagt: „Das ist kein Wunder, wo die Regierung Leute, die sonst nur auf einen Tag weggelaufen und wiedergekommen wären, von den Mobilgarden und Chasseurs d’Afrique mit Säbelhieben hat fortjagen und zur Strafe für ihren Mangel an Patriotismus ihre Häuser hat verwüsten lassen. Unser Troupier stiehlt keine Münzen und zerreißt keine Bücher. Das haben die Mobilen gethan, die größtentheils Gesindel sind. Unser Troupier, der nimmt sich zu essen und zu trinken, wo man ihm nichts giebt, und das ist sein Recht, und wenn er beim Suchen darnach eine Thür oder einen Schrank zusammenschlägt, so ist auch nichts dagegen zu sagen. Wer heißt sie weglaufen?“

Am Sonnabend kam der Minister bei Tische unter Anderem auf die Prunksachen oben im großen Saale zu reden, die er sich erst jetzt angesehen hatte, und unter denen sich, wie man hört, auch ein Thron oder Tisch befindet, welcher einem französischen Marschall in China oder Cochinchina unversehens an den Fingern hängen geblieben und dann von ihm an unsern Baron verkauft worden ist – eine Merkwürdigkeit, die ich bei unserem Besuch des Zimmers unbilliger Weise nicht beachtet hatte. Das Urtheil des Chefs über diese Luxusentwickelung lautete ungefähr wie das vorhin abgegebene: Alles recht theuer, aber wenig schön und noch weniger behaglich. Er fuhr dann fort: „So ein ausgebautes fertiges Besitzthum, wie das hier, könnte mir keine Befriedigung gewähren. Es wäre von Andern gemacht, nicht von mir. Es ist zwar Vieles daran recht schön, aber es fehlt die Freude des Neuschaffens, des Umgestaltens. Auch ist es etwas ganz Anderes, wenn ich fragen muß: sollst du fünf- oder zehntausend Thaler auf diese oder jene Verbesserung verwenden? als wenn man nicht auf die Mittel zu sehen hat. Immer genug und mehr als genug haben, ist langweilig zuletzt.“ Wir aßen heute Fasanen (ungetrüffelt) und der Regisseur bethätigte in Betreff des Weins, daß die Besserung seines inneren Menschen guten Fortgang genommen. Ferner meldet der Oberproviantmeister des mobilen Auswärtigen Amtes, den dasselbe in Graf Bismarck-Bohlen verehrte, daß ein Berliner Wohlthäter dem Chef eine Liebesgabe von vier Flaschen Curaçao gewidmet, von dem dann eine Probe gereicht wurde. „Der Steinhäger aber wird alle,“ schloß der Graf seinen Bericht. Der Kanzler fragte: „Kennst Du (Name unverständlich)?“ – „Ja.“ – „Nun, dann telegraphire ihm doch: Alter Nordhäuser ganz unentbehrlich im Hauptquartier. Zwei Kruken sogleich.“

Am folgenden Tage nahm der Leibarzt des Königs, Dr. Lauer, am Diner theil. Man erfuhr dabei, daß das Lieblingsobst des Kanzlers die Kirschen sind, und daß er nächst ihnen „auf die blaue Bauernpflaume große Stücke hält“. Der Karpfen, welcher einen der Gänge bildete, bringt den Chef auf seine Stellung zur Welt der eßbaren Fische, über die er sich eingehend ausläßt. Unter den Flußfischen giebt er den Maränen, nicht mit den Muränen zu verwechseln, und den Forellen den Vorzug, von welchen letzteren er in den Gewässern bei Varzin sehr schöne hat. Sonst mag er die Seefische lieber, und unter diesen zieht er den Dorsch allen anderen vor. „Doch ist auch eine gutgeräucherte Flunder nicht übel, und selbst den ganz gemeinen Hering möchte ich, wenn er frisch ist, nicht verachtet wissen.“ Man geht zu dem Capitel Austern über, wobei der Minister sagt: „Ich habe mir um die Bewohner von Aachen in meinen jungen Jahren ein Verdienst erworben, wie Ceres durch Erfindung des Ackerbaues um die Menschheit. Nämlich dadurch, daß ich ihnen lehrte, Austern zu braten.“ Lauer erkundigt sich nach dem Recepte, welches ihm ausführlich mitgetheilt wird: wenn ich recht verstand, bestreut man die Thiere mit geriebener Semmel und Parmesankäse und bratet sie in ihrer Schale auf einem Kohlenfeuer. Alle Aeußerungen des Kanzlers waren und sind mir Evangelium und werden es bleiben. Hier bedauere ich, mit gebührender Bescheidenheit, aber fest, überzeugungstreu und gesinnungsvoll (man kann sich dazu Miene und Geberde des seligen Waldeck denken) einmal Protest erheben zu müssen. Hier ist nicht Ceres, sondern die Ferse Achill’s. Die Gründe findet man in meinem Büchlein: „Der gerechte und vollkommene Austernesser“ (Hannover, C. Rümpler), wie ich hoffe, überzeugend entwickelt. Frisch in ihrem Wasser und ohne Zuthat – das ist das einzig wahre Recept.

Abends mehrmals zum Chef hinaufgerufen, um Aufträge zu empfangen, erfahre ich unter Anderem, daß der Bericht Favre’s über seine Unterredungen mit dem Kanzler zwar das Bestreben wahrheitsgetreu zu sein bekundet, aber nicht ganz genau ist, was unter den obwaltenden Umständen und bei drei Besprechungen

nicht Wunder nehmen kann. Namentlich tritt darin die Waffenstillstandsfrage zurück, während sie doch im Vordergrunde gestanden hat. Von Soissons ist nicht die Rede gewesen, sondern von Saargemünd. Favre war zu einer erheblichen Geldentschädigung bereit. Die Waffenstillstandsfrage bewegte sich

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