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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und noch eine starke Artillerie- und Cavalleriemacht besaß. In derselben Zeit formirten sich die anderen der zwölf neuen Armeecorps, die er aufzustellen befohlen und welche zusammen nahe eine halbe Million Streiter mit 1400 Kanonen gezählt haben würden. Fast die Hälfte davon stand schon im November auch wirklich im Felde, gut und schlecht, sodaß seit Gambetta’s Herrschaft täglich 5000 Mann und 2 Batterien in die Reihen rückten. Fertig zumal war auch die Armee im Norden; Freischaarenmassen sammelten sich in den Vogesen und bei Dijon; schnell schritt auch die Anlage der großartig entworfenen Uebungslager an verschiedenen Punkten Frankreichs vor. So konnte Gambetta als Kriegsminister mit Stolz auf seine Leistungen blicken, und auch die erste Waffenthat seiner Legionen wurde durch ihre moralische Bedeutung wichtig. Die Loire-Armee unter General Aurelle de Paladines verdrängte die Baiern bei Coulmiers und nahm das verloren gegangene Orleans wieder in Besitz. Fehlte dem Siege auch ein kräftiger Nachstoß, so wußte Gambetta ihn doch klug auszubeuten, um durch den Hinweis auf einen Erfolg das Vertrauen des Volkes und der jungen Armeen zu heben. Gambetta trieb nun rastlos zu Thaten, zu Angriffen an und rieb sich fast auf in dem täglichen Kampf, den er deswegen mit den ihm zu bedächtigen Heerführern zu bestehen hatte. Nach ihm wäre von der Loire aus ein Siegesmarsch seiner Truppen bis nach Paris erfolgt, um hier die Deutschen zwischen zwei Feuer zu nehmen und zu vernichten.

Aber die dazu fähigen und willigen Generäle fehlten ihm. Es kam zu keinen Fortschritten im Felde, vielmehr ging Orleans unter einer schweren Niederlage wieder verloren und an eine Entsetzung von Paris war von der Loire aus nicht mehr zu denken.

Gambetta gab in seinem Zorn darüber dem General Aurelle die Entlassung und stellte neue Hoffnungen auf den jüngeren General Chanzy. Die Organisation ging unbeirrt weiter, aber das Glück der Waffen vermochte Gambetta mit all seinen Decreten, Kriegsgerichten und Schreckensmaßregeln die er jetzt verzweiflungsvoll aufbot, nicht an seine Fahnen zu locken; Unglück über Unglück zerstörte vielmehr alle seine Pläne, wie unerschöpflich er auch immer wieder neue ersann. Selbst Bourbaki, dessen Erscheinen vor Belfort allerdings einen Moment des Bangens in Deutschland – des einzigen in diesem Kriege – hervorrief, mußte in Elend nach der Schweiz flüchten; Garibaldi wurde lahm gelegt, Chanzy nach der Bretagne gedrängt, Faidherbe bei St. Quentin zurückgeschlagen, und Paris ergab sich endlich dem Sieger.

Trotzdem wollte Gambetta den Krieg fortsetzen. Er hatte neue Pläne; er wies jeden Kleinmuth zurück und hoffte noch, das Glück sich zu erzwingen. Aber die Pariser Regierung theilte sein Vertrauen nicht und schloß Frieden. Da rief er in einem neuen feurigen Manifest das Volk auf, bei den Wahlen zur Nationalversammlung nur Abgeordneten die Stimme zu geben, welche einen „so schändlichen Vertrag“ nicht billigen würden; sodann erließ er ein Decret, welches alle Anhänger Napoleon’s, wer sie auch immer seien, für verfehmt und unwählbar erklärte. Er war nahe daran, sich zum Dictator mit alleiniger Macht aufzuwerfen, doch er widerstand dieser Versuchung und legte am 6. Februar 1871 alle seine Gewalten nieder, nun wieder ein einfacher Bürger zu werden. Er hatte in der höchsten Noth seines Vaterlandes mit einer patriotischen Energie gehandelt, die ihn damals über Alle erhob, und nach Aufbietung des Aeußersten konnte er sagen, daß er Unmögliches zwar nicht möglich zu machen vermocht, aber als ein wahrhaft „glorreicher Besiegter“, anders glorreich als der von Sedan, in die Einfachheit des Privatlebens zurückgekehrt sei.

Kein Geringerer, als ein hervorragender preußischer Militär, Freiherr Colmax von der Goltz ist es, der in seinem Buche „Léon Gambetta und seine Armeen“ demselben als Organisator und als schöpferische Genialität eine gerechte Anerkennung gezollt hat, und dieser Autorität folgten wir in der obigen Darstellung der kriegerischen Bestrebungen des tapferen Volksmannes.

Als Abgeordneter zur Nationalversammlung fiel ihm vor Allem die Aufgabe zu, die Republik gegen ihre royalistischen Gegner und clericalen Intriguanten zu schützen; denn er war jetzt das anerkannte Haupt der demokratisch-republikanischen Partei. In all den Kämpfen, welche um Sein oder Nichtsein und um die neue Verfassung der Republik geführt wurden, warf er sein gewichtiges Wort in die Wagschale. Sein Ansehen wuchs dabei durch die kluge Zurückhaltung, die er als echter Parteiführer bewies, durch die staatsmännische Mäßigung, welche er seiner eigenen Leidenschaftlichkeit anlegte und die er den Radicalen offen predigte, um die Demokratie regierungsfähiger zu machen und sie durch Ueberwindung revolutionärer Neigungen im Vertrauen des Volkes erstarken zu lassen.

In solcher Weise stützte er Thiers, nachdem dieser sich zur conservativen Republik bekannt und deren Präsident geworden war. Von dem Momente an jedoch, daß Mac Mahon in Folge royalistischer und clericaler Intriguen an seine Stelle getreten, stand Gambetta auf Wache gegen all die verkappten Gegner der Republik hinter dem „ehrlichen Soldaten“, aus dem sie sich das Werkzeug ihrer Umsturzpläne machen wollten. Er sah vor Allem in dem Ultramontanismus den Feind, den man rücksichtslos bekämpfen müsse. Spreizte sich dieser doch jetzt unter der Sonne des Mac Mahon’schen Regiments mit herausfordernder Vermessenheit; machte er doch Frankreich zu einer Domaine seines jesuitischen Treibens, riß das Schulwesen bis zu den Universitäten an sich, verhöhnte offen im Cultus des Aberglaubens den Geist gesitteter Bildung, wühlte im Volke und in der Camarilla des naivsten aller Staatsoberhäupter für einen Krieg gegen Italien und für die Wiederherstellung der weltlichen Papstherrschaft. Da riß Gambetta in der glänzendsten aller seiner Reden am 4. Mai 1877 diesem Treiben der Jesuiten und der von ihnen gewonnenen französischen Bischöfe die Maske ab. Mit einer Wucht von trefflichen Gedanken fuhr er in die schwarze Verschwörung und rüttelte die Geister zur Gegenwehr gegen diese Gefahr auf. „Los von Rom kommen! Feindschaft dem ultramontanen Pfaffenthum!“ Mit dieser Parole sammelte er in Frankreich Alle um sich, die dem schleichenden Jesuitismus nicht die Errungenschaften der Bildung unserer Zeit ausgeliefert wissen wollten. Wieder einmal hatte er das befreiende Wort gesprochen, für das ihn enthusiastischer Beifall von Millionen seines Volkes lohnte, mit dem seine Partei und auch die große Mehrheit der Nationalversammlung ihm folgten, entschlossen zur That.

Lediglich aus Erbitterung hierüber geschah es, daß Mac Mahon, von den Römlingen aufgehetzt, nun mit dieser Mehrheit brach, das Ministerium Simon zum Rücktritte zwang, die Kammern auflöste und mit dem Ministerium Broglie-Fourtou jene nach Staatsstreich riechende Vergewaltigungspolitik einschlug, die sich bekanntlich als die des 16. Mai berüchtigt gemacht hat.

Nachdem Mac Mahon derart der republikanischen Partei den Krieg erklärt und das Land aufgerufen, zwischen ihr und ihm, dem „soldat de Dieu“ zu wählen, trat Gambetta von Neuem als ein Organisator auf, diesmal nun alle republikanischen Elemente als einen Wall gegen die jesuitische Reaction zu festigen. Er proclamirte mit seinen anderen Gesinnungsgenossen als Programm der Opposition die Wiederwahl der republikanischen Abgeordneten in der aufgelösten Kammer; er legte in seinem Journale „Republique française“ die Ränke der neuen Minister dar; er hob den alten Thiers nochmals als das Haupt der republikanischen Partei auf den Schild und erklärte ihn förmlich für den Nachfolger Mac Mahon’s, der abdanken müsse, falls er sich dem republikanischen Votum des Landes nicht unterwerfen wolle. Der große Besiegte von Wörth und Sedan antwortete darauf mit den in jenen Schlachten nicht gedachten Worten: J’y suis; j’y reste — hier bin ich obenauf und bleibe es — und mit der gerichtlichen Verfolgung Gambetta’s wegen Höchstihm angethaner Beleidigung. Die Pariser Gerichte beeilten sich auch, Gambetta, der sich darauf zu vertheidigen verschmähte, zu zweimal drei Monat Gefängniß zu verurtheilen. Sein Triumph jedoch war größer, insofern die neuen Wahlen in der That der republikanischen Partei trotz aller Maßregeln und Einschüchterungen der Broglie-Fourtou’schen Regierung fast die alte Mehrheit in der neuen Kammer verschafften und Gambetta damit, zwar nur ein Parteihaupt, als Sieger über den Marschall-Präsidenten hervorging. —

Selbst der schwere Schlag, welcher gerade im entscheidenden Augenblicke der Wahlen die Republikaner durch den Tod des alten Thiers traf, vermochte einen Mann wie Gambetta nicht vom festbestimmten Wege nach seinem Ziele abzulenken. Sofort trat er für Grevy, seinen entschiedensten Kampfgenossen, auf und siegte. Die diesem Wahlsiege folgenden Zeiten des republikanischen Widerstandes gegen die ultramontanen Umtriebe unter der

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