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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Ueberhaupt büßt dieses seltene und seltsame Waidwerk in der Jagdleidenschaft seinen stillen Charakter manchmal ein, wenn sich einzelne „Partien“ treffen und um strittige Interessen rechten. Dann setzt es wohl auch lärmenden Streit im winternächtigen Wasgenwald ab. Wären die Böhämmer nicht gar so dumm, dann könnten sie bei ihrer Heimkunft von den niedrigen Fichtenstrünken oben in Finnmarken beim Mitternachtssonnenlicht den rennthiermelkenden Lappenmädchen etwas vorpfeifen von Blaslanzen führenden Jünglingen „südlich am Rhein“ – wie die Edda sagt – die lungenkräftig und stark sind im Blasen und Schreien, wie denn die Bergzaberner von je zu den ärgsten „Pfälzer Krischern“ zählten. Im Ganzen halten sie jedoch streng auf Zucht, Schützengeist und Ehre bei den nächtigen Jagdzügen. Dies ist auch durchaus nöthig; übrigens ist selbst bei größter Vorsicht das Glück oft nicht günstig, der ganze Aufwand von Zeit und Mühe vergeblich. Denn die Böhämmer haben ihre Launen und vereiteln zuweilen alle Voraussicht. Dennoch läßt der Jagdeifer nicht nach, so lange überhaupt noch ein Erfolg zu erwarten ist.

Die erforderliche Anstrengung, Ausdauer, Uebung und Vorsicht, die am geringsten Versehen oder Zufall scheitern kann, erheben solche Jagd zum edleren Sport, der den wackeren Bürgern des pfälzischen Wasgaustädtchens wohl ansteht. Das Eigenthümliche, Ursprüngliche derselben, Zeit, Oertlichkeit, Ausrüstung und Ausführung geben ihr stets den Reiz der Neuheit und machen sie zur ersehnten Unterbrechung der winterlichen Eintönigkeit kleinstädtischen Lebens. Mit dem Fackellicht aber fällt noch ein besonderer romantischer Schimmer auf die nächtige Böhämmerjagd im Wasgenwald.




Das wissenschaftliche Martern lebendiger Thiere.


Um die Lehre von den Lebensthätigkeiten des thierischen Organismus zu begründen und durch analoge Schlüsse auf die Lebensfunctionen des Menschen zu übertragen, pflegen die Physiologen bekanntlich schon seit längerer Zeit Thiere bei lebendigem Leibe zu seciren, das heißt, lebende und in Bewegung befindliche Organe bloßzulegen. Dabei wird nicht allein dem betreffenden Thiere dieser oder jener Körpertheil geöffnet und nach der Bloßlegung das lebende Innere beobachtet, sondern es werden auch durch alle möglichen mechanischen, chemischen und physikalischen Reize die einzelnen Organe in eine höhere Lebensthätigkeit versetzt. Die jedesmalige wissenschaftliche Technik, welche an solchen „Versuchsthieren“ geübt wird, nennt man eine „Vivisection“. In den Bereich dieser Thätigkeit gehören aber nicht allein blutige Eingriffe, sondern auch Experimente chemischer Natur, in Form der Einverleibung von Arzneien und Giften. Aus solchen Versuchen wird in vielen Fällen ein Nutzen, erstens für das Wissen, in zweiter Linie auch für Wohl und Gesundheit des Menschen erzielt.

Es ist in den jüngsten Jahren mannigfach die Frage aufgeworfen worden, ob dem Menschen überhaupt das Recht zustehe, außer zu seinen Nahrungszwecken, Thiere zu tödten, und ob es zu gestatten sei, an Thieren die erwähnten Vivisectionen vorzunehmen, besonders solche, welche nicht direct einen Nutzen für das Leben und die Gesundheit des Menschen in Aussicht stellen.

In England bildete sich vor zwei Jahren gegen die bezügliche Thätigkeit der Physiologen eine sehr lebhafte Agitation, welche in der sogenannten Vivisections-Bill des englischen Parlamentes ihren Ausgangspunkt gefunden hat. Jenes Gesetz belegt mit Strafen bis zu hundert Pfund Sterling oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten jede Uebertretung der Bestimmungen: daß „schmerzhafte Experimente am lebenden Thiere nur in der Absicht unternommen werden dürfen, durch neue Entdeckungen das physiologische Wissen oder dasjenige Wissen zu fördern, welches zur Rettung oder Verlängerung des menschlichen Lebens oder zur Linderung menschlichen Leidens nützlich ist“; zweitens „dürfen solche Experimente nur an registrirten Stellen, und von Personen, welche die gesetzliche Licenz besitzen, vorgenommen werden“; drittens „muß das Thier während des ganzen Versuchs bis zur Gefühllosigkeit narkotisirt sein“; viertens, „falls der Schmerz voraussichtlich nach dem Erwachen fortdauern würde, oder das Thier ernstliche Verletzungen erlitten hat, muß es noch vor dem Erwachen getödtet werden“; fünftens „darf der Versuch nicht als Illustration medicinischer oder sonstiger Vorlesungen“ und sechstens „nicht zum Zwecke der Erlangung manueller Geschicklichkeit angestellt werden“.

In Ausnahmefällen können unvermeidliche Experimente an lebenden Thieren in Vorlesungen gezeigt werden, wozu aber eine besondere Regierungsermächtigung nöthig ist. Ebenso darf in Ausnahmefällen gegen einzuholende Erlaubniß ein Thier auch ohne vorherige Betäubung vivisecirt werden und zwar dann, wenn der Zweck des Versuches durch die Narkotisirung vereitelt würde. Dagegen dürfen schmerzhafte Versuche an Hunden und Katzen, außer wenn die gesetzliche Bescheinigung mit Specification der Gründe gegeben ist, nicht angestellt werden. Der übrige Inhalt der Bestimmungen bezieht sich nur auf Aeußerlichkeiten. Die englische Vivisections-Bill war das Resultat vielfacher Bemühungen der englischen Thierschutz-Vereine. Auch in Deutschland gehen die Vereinigungen, welche die gleichen Zwecke im Auge haben, damit um, dem auf den Universitäten und in den physiologischen Laboratorien überhandnehmenden Vivisectionsbrauch auf gesetzlichem Wege Fesseln anzulegen. Wenn wir uns die englische Gesellschaft betrachten, welche die Entrüstungsmeetings in’s Leben gerufen hat und welche sich immer noch bestrebt ein Verbot aller hierhergehörigen wissenschaftlichen Methoden zu erwirken, so können wir uns des Verdachtes nicht erwehren, daß man wenigstens von dieser Seite aus nur unter dem Vorwande, armen, hülflosen Thieren Schutz zu gewähren, gegen die physiologische Wissenschaft im Allgemeinen zu Felde zu ziehen sich bemüht.

Die Physiologie ist ja die Mutter des überhandnehmenden Materialismus, welcher den Gläubigen vom Wege zum Paradiese ablenkt und ihm alltäglich ein Stück von dem Apfel der Erkenntniß des Guten und Bösen zu kosten giebt. Die fromme Gesellschaft, welcher die Zugeständnisse der englischen Regierung noch immer nicht genügten, bestand aus Theologen, hohen Adeligen und Damen aus der höchsten Gesellschaft. Es waren darunter vier Erzbischöfe, zehn Bischöfe, sieben Decane, zehn Pfarrer, ein Prinz, drei Herzöge, fünf Marquis, sechszehn Grafen, vier Viscounts, eine große Anzahl Lords, Ladies und Sirs, fünfundzwanzig höhere Officiere, fünfundzwanzig Parlamentsmitglieder und einige Doctoren der Medicin. Die Begründung dieser Leute stützt sich auf Bibelsprüche und gipfelt in dem Satze: „Eine christliche Seele soll nicht mehr von der verbotenen Frucht des Baumes der Erkenntniß genießen, als ihr der göttliche Weltbeherrscher zugewiesen hat.“

Es ist ganz klar, daß die mit Humanität verbrämte Agitation des englischen Pharisäismus der Wissenschaft als solcher den Krieg erklärt, denn gerade dieselben Leute, welche hier der gequälten Thiere sich annehmen, scheuen sich dort durchaus nicht, ihr Schutzprincip für die wehrlose Thierwelt in schnödester Weise hintanzusetzen. Sie schämen sich nicht, um leiblichem Genusse zu fröhnen, auf ihren Gütern Thiere durch Castration in grausamster Weise zu verstümmeln, einzig und allein, weil nach jener schmählichen Operation das Fleisch zarter, schmackhafter und fetter wird. Für die Qualen, welche die Frösche in den physiologischen Laboratorien auszuhalten haben, finden sich seitenlange Entrüstungsergüsse in den Eingaben der frommen englischen Ladies, und die Krokodilsthränen der aristokratischen Lords fließen gleich Wasserbächen über die quakenden Sumpfdemokraten. Gegen die Grausamkeiten aber, welche bei der für den Gaumen jener Gourmands bestimmten Froschschenkelbereitung begangen werden, finden sich keine Worte, und kein Gesetz ist erlassen gegen jene haarsträubenden Schindereien. Ist es doch bekannt, daß die Landleute, welche Froschschenkel zu Millionen zu Markte bringen, die eingefangenen Thiere mit der Scheere halbiren, den obern Theil des Thieres, welcher noch tagelang lebt und sogar herumhüpfen kann, wegwerfen, nachdem sie den krampfhaft zuckenden Schenkeln die Haut abgezogen haben. Die zartfühlende Lady schlürft mit süßem Behagen ein Dutzend praller Austern, nachdem ihre eleganten Fingerchen das lebende Thier im wahren Sinne des Wortes vivisecirten. Oder sollte das übliche Abreißen des „Bartes“ –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_012.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)