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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Barnay hat das angeborene Feuer, welches keinem darstellenden Talente von Bedeutung fehlt, aber er hat jetzt gelernt, es maßvoll zu beschränken, während früher der wilde Lavafluß sich oft über die Schranken ästhetischen Maßes hinweg ergoß. Sein „Othello“ beweist die Leidenschaftlichkeit, zu der sein Talent alle Mittel besitzt, aber sie geht nur da zum Fieberhaften, zum Ueberschwänglichen fort, wo die Situation es verlangt. Maßvolleres Feuer beseelt seinen „Essex“ und „Uriel Acosta“; energisch giebt er den letzten Lord, mit aufflackernder Gluth den düsteren Denker. Gerade solche Charaktere mit überwiegender Reflexion sind seinem Naturell sehr entsprechend, am meisten diejenigen, die einen elegischen Grundton haben.

Er ist ein Meister der Rhetorik: darum bevorzugt er auch die Römertragödien, in denen die Beredsamkeit des Forums sich voll ergeht. Den „Volkstribun Gracchus“ Wilbrandt’s, ein Trauerspiel, gegen welches sich die norddeutschen Bühnen lange sehr spröde zeigten, hat er nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen Theatern zur Geltung gebracht. Dieser Tribun, der zugleich ein Gefühlsmensch ist, der von der Pietät gegen den getödteten Bruder fast noch mehr bestimmt wird, als von den revolutionären Ideen und von dem Bestreben, die Besitzverhältnisse Roms umzugestalten, findet in Barnay einen vorzüglichen Darsteller, dessen Naturell gerade für diese Aufgabe in seltener Weise geeignet ist. Als Volksredner im ersten Acte schlägt er nacheinander die verschiedensten Töne an, die im Herzen der Quiriten ein Echo finden, und bewährt sich als Meister kunstvoller Steigerung, in der Hauptscene des dritten Actes aber entfesselt er den ganzen Sturm der Leidenschaften in der eigenen Brust und in den Herzen des römischen Volkes.

Jene feinere Beredsamkeit, welche durch künstliche Gruppirung der Thatsachen und durch ihre ironische Beleuchtung wirkt, bewährt er in der Rolle des Mark Anton. Das Bild des Künstlers als Mark Anton, das wir bringen, da dasselbe die meiste Portraitähnlichkeit gestattet, zeigt uns das interessante Profil, den ausdrucksvollen Kopf, das seelenvolle Auge, die ihm eigen sind und ihn besonders zur Darstellung geistig bedeutender Rollen befähigen.

Dies ist die Signatur seines Talentes; Barnay war nie für lyrische Liebhaber geschaffen und hat in derartigen Rollen in seiner Studienzeit nur halbe Erfolge errungen, aber interessante Charakterköpfe entweder von classischem Adel oder mit dem Gepräge düsterer Melancholie und zersetzender Reflexion sind seine Domäne. Ja, auch scharf charakteristische Aufgaben weiß er zu bewältigen. Das hat sein König Heinrich der Achte in „Katharina Howard“ bewiesen.

Wenn wir Barnay als darstellenden Künstler schildern, so erschöpft solche Schilderung durchaus nicht seine Wirksamkeit für die deutsche Bühne. Nicht blos als Mark Anton und Cajus Gracchus bewährt er seine glänzende Rhetorik; er ist auch außerhalb der Bühne ein begabter Redner von seltenem Fluß und hinreißender Inspiration und außerdem mit der Feder nicht minder gewandt als mit dem Worte. Diese glänzenden Vorzüge hat er in den Dienst einer guten Sache gestellt und zur Hebung seines eigenen Standes verwendet. Schon in Mainz gründete er zu solchem Zwecke mit gleichgesinnten Genossen den „Rütli“, einen Schauspielerbund, dessen Zweck Wahrung der Standesehre und Streben nach echter erhöhter Erkenntniß der Kunst, ihrer Ziele und Musterbilder war; eine Filiale des Mainzer „Rütli“, der Baseler, ernannte Barnay zu seinem Ehrengenossen. Immerhin blieben diese schönen Bestrebungen an engere Kreise gebannt: es war in erster Linie Barnay’s Verdienst, denselben eine Ausdehnung über das ganze Deutschland hinaus zu sichern, eine Genossenschaft zu gründen, deren Mitgliederzahl jetzt nach mehreren Tausenden zählt. Sein Werk vorzüglich war die Einberufung des Bühnencongresses in Weimar; er wirkte mit Wort und Schrift, mit dem ganzen Feuergeiste, der ihm eigen ist, als unermüdlicher Agitator für denselben. Die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger, die an der Stätte unserer classischen Dichtung an der Ilm gegründet wurde, muß ihn als ihren intellectuellen Urheber betrachten. Sein „Offener Brief“ in der Leipziger Theaterchronik, welcher die Betheiligung der Schauspieler an der bevorstehenden Sitzung des deutschen Bühnenvereins und die Erweiterung desselben zu einem „Allgemeinen deutschen Bühnencongreß“ verlangte, warf den Funken in’s Pulverfaß. Er zündete in ganz Deutschland; als Herr von Hülfen, an den jener Brief gerichtet war, die Erfüllung dieses Verlangens auf Grund der Statuten des Bühnenvereins ablehnen mußte, veranlaßte Barnay die Bildung eines provisorischen Comités zur Einberufung eines „Allgemeinen deutschen Bühnencongresses“. In Kassel wurde mit den gleichstrebenden Collegen von ihm das Programm der allgemeinen Zwecke des Bundes entworfen, am 17. Juli 1871 der erste allgemeine Bühnencongreß in Weimar eröffnet, von mehr als hundert Schauspielern besucht, und am 18. Juli die Genossenschaft constituirt. Die Stimmung war eine gehobene und weihevolle; in würdiger und begeisterter Weise sprach Barnay am Eingange der Fürstengruft zu Ehren der Dichter, denen die darstellende Kunst die höchsten Impulse verdankte. Ueber ein Theaterconcessionsgesetz, ein Disciplinargesetz, allgemeine Contractsformulare, einen allgemeinen „Pensions- und Hülfsverein“ wurde in diesen Tagen verhandelt, und vieles ist seitdem in’s Leben gerufen worden, was damals Gegenstand der Berathungen war. Barnay’s Verdienste um das Zustandekommen der Genossenschaft wurden im Jahre 1872 durch eine Adresse mit viertausend Unterschriften deutscher Schauspieler anerkannt, darunter die gefeiertsten Namen wie Emil Devrient, Ernst Possart und Andere.

Auch sonstige Auszeichnungen wurden dem hochbegabten und edelstrebenden Künstler zu Theil: er wurde zum Ehrenmitgliede des vielgepriesenen Meininger Hofschauspieles ernannt. Emil Devrient hinterließ testamentarisch dem würdigen Jünger das goldene Vließ, das er als „Egmont“ getragen,

„Ein golden Vließ, das keines Fürsten Gunst
Und kein Capitel um die Brust ihm hängt,“

ein golden Vließ, womit der Künstler den Künstler ehrte, ein scheidender Grande der deutschen Kunst den aufstrebenden Nachfolger.

Rudolf Gottschall.





Die Rheingauer Glocken.

Wo’s guten Wein im Rheingau giebt,
Läßt man den Mund nicht trocken.
Drum, wer ein schönes Tröpfchen liebt,
Beacht’ den Klang der Glocken!
Merk’, ob du hörst den vollen Baß,
Ob dünn und schwach der Ton summ’!
Wo edle Sorten ruh’n im Faß,
Da klingt es: Vinum bonum!
     Vinum bonum! Vinum bonum!

Doch wo die Rebe schlecht gedeiht,
Muß man die Aepfel pressen;
Da wird gar klein die Seligkeit
Dem Zecher zugemessen.
Der Trank ist matt; das Geld ist rar.
Man spart’ an Glock’ und Klöppel -
Und von dem Thurm hört immerdar
Man Eins nur: Aeppelpäppel!
Aeppelpäppel! Aeppelpäppel!

Mein Sohn, wo du den Ton vernimmst,
Da kann dein Herz nicht lachen,
Da rath’ ich, daß du weiter schwimmst
In dem bekränzten Nachen,
Doch wo das Baßgeläut’ erscholl,
Da kehre nicht, mein Sohn, um,
Da labe dich, der Andacht voll,
Und singe: Vinum bonum!
     Vinum bonum! Vinum bonum!

Emil Rittershaus.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_007.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)