Seite:Die Gartenlaube (1877) 878.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


das auf die Veredelung des Gesanges gerichtet ist, als ein erziehliches Moment mit Freuden begrüßt werden.

In diesem Sinne erfüllt das Alumneum der Thomasschule in der That eine große Mission. Es bildet durch seine ausgezeichnete Kunstpflege nicht nur seine eigenen Zöglinge zu tüchtigen Musikern, die im späteren amtlichen Leben, weß Standes sie auch seien, die ihnen eigene Liebe zur Kunst auch in ihre Umgebung verpflanzen, sondern es erstreckt seinen Einfluß viel weiter auf Alle, die von ihm und seinen Leistungen Belehrung und Anregung erwarten. Und die Zahl Derer ist nicht klein.

Sowohl die sonntäglichen Kirchenmusiken wie besonders auch die Sonnabendmotetten (Nachmittag halb zwei Uhr) erfreuen sich neuerdings einer überaus lebhaften Theilnahme des Publicums. Man weiß die Gelegenheit, hier ältere und neuere Meisterwerke kirchlicher Tonkunst in vollendeter Ausführung kennen zu lernen, wohl zu schätzen. Erwägt man dabei, daß Leipzig fortdauernd von einer großen Anzahl Fremder besucht ist, die an der Universität, am Conservatorium der Musik und wie die Quellen für Kunst und Wissenschaft, an denen Leipzig so reich ist, alle heißen, ihr Wissen und Können zu bereichern suchen, so wächst die Bedeutung des Thomanerchors bis zu einer internationalen heran.

Möchte das Alumneum der Thomasschule, dieser Hort des evangelischen Kirchengesanges, sich dieser seiner hervorragenden Stellung stets bewußt bleiben und dieselbe alle Zeit auch durch die That zu rechtfertigen suchen! Denn es ist nichts trauriger, als beobachten zu müssen, wie ein Kunstinstitut an dem Ruhme vergangener Zeiten zehrt. An der zum guten Gedeihen erforderlichen Fürsorge der Stadt wird es hoffentlich nie fehlen.

Moritz Vogel.




Ein Apostel der Volksaufklärung.


Vor einigen Tagen, am 2. December, wurde zu Offenbach bei Frankfurt am Main das Denkmal eines Mannes enthüllt, den wir mit Recht als einen Apostel der Volksaufklärung bezeichnen können. Wir meinen den am 26. September 1876 verstorbenen Heribert Rau, über dessen Leben und Wirken die folgenden Daten nicht unwillkommen sein dürften. Es war ein in seinem äußeren Gange zwar einfaches, seinem inneren Gehalte nach aber um so reicher gestaltetes Leben, dessen Umrißlinien wir hier zu zeichnen beabsichtigen.

Ueber Heribert Rau’s Wiege ging der Stern der Befreiung des Vaterlandes vom Joche der Fremdherrschaft auf, und der Stern der Freiheit ward für ihn auch Symbol, ward zum Leitstern seines Lebens. Er ist geboren zu Frankfurt am Main am 11. Februar 1813. Als Sohn eines Kaufmannes wurde auch er zum Kaufmanne bestimmt. Der tiefinnerliche, unbezwingbare Trieb nach Höherem ließ sich indeß in dem jungen Manne wohl eine Zeitlang zurückdämmen, nicht aber völlig unterdrücken. Die Erstlingsspenden seiner schöngeistigen Production erschien zu Anfang der vierziger Jahre in Gestalt einiger Novellen, Romane und Operntexte.

Als dann 1844 in Folge des frechen Gaukelspiels der Ausstellung des sogenannten „heiligen Rockes“ in Trier und des gegen dasselbe geschleuderte Ronge’schen Briefes aus Laurahütte die religiöse Reformbewegung entstand, da schloß sich auch Rau mit Begeisterung derselben an, indem er zunächst aus der römischen Kirche, welcher er durch die Geburt bis dahin noch äußerlich angehört hatte, austrat und mit andern gleichgesinnten Freunden in Frankfurt am Main die noch jetzt dort bestehende deutschkatholische Gemeinde in's Leben rief. Unter außerordentlichem Zudrange hielt er populäre Vorlesungen über Kirchengeschichte, die dann unter dem Titel „Allgemeine Geschichte der christlichen Kirche von ihrer Entstehung bis auf die Gegenwart“ von der Literarischen Anstalt in Frankfurt verlegt wurden, und über die „Geschichte des alten und neuen Bundes“, welche später in zwei Bänden bei Groos in Heidelberg erschien.

Jene Tage und Ereignisse wurden nun entscheidend für seinen ganzen ferneren Lebensweg und Entwickelungsgang. Nach ernstem Kampfe mit sich selbst verbrannte er mit entschlossener Hand die Schiffe, welche ihn seither getragen, warf den kaufmännischen Beruf ganz bei Seite und bezog, obschon verheirathet und bereits Vater zweier Söhnchen, noch im reiferen Mannesalter die Universität Heidelberg, um dort unter Paulus’ Führung theologischen und geschichtlichen Studien obzuliegen und sich dann ausschließlich der Sache der religiösen Aufklärung als deutschkatholischer Prediger und Lehrer zu widmen.

Nach Ablauf seiner Studienzeit folgte Heribert Rau zunächst einem Rufe an die Gemeinde nach Stuttgart, welcher er von 1847 bis 1850 als Prediger angehörte, worauf er in gleicher Stellung nach Mannheim übersiedelte und daselbst sieben Jahre lang segensreich und allgemein hochgeachtet wirkte. Seine feurige, schwungvolle Beredsamkeit wußte hier wie in Stuttgart – wo er auch mit Künstlern und Schriftstellern in mannigfachen geselligen Verkehr trat – einen zahlreichen und anhänglichen Hörerkreis um sich zu sammeln.

Aus Rau’s zehnjähriger Stuttgarter und Mannheimer Periode erwuchs eine stattliche Reihe von Büchern und Schriften zumeist religiösen und populär-wissenschaftlichen Inhalts, deren einige ein wahrhaft epochemachendes Aufsehen erregten; so die zweibändige Predigtsammlung „Feuerflocken der Wahrheit“, der „Katechismus der Kirche der Zukunft“, welcher vier Auflagen erlebte, die „Apostelgeschichte des Geistes“ – vor Allem und ganz besonders aber die „Neuen Stunden der Andacht“, von welchem vierbändigen Werke der Verleger Otto Wigand in Leipzig eben die sechste Auflage zur Versendung bringt, und das zuerst in sieben Bändchen anonym erschienene, später zu einem umfangreichen Bande verewigte „Evangelium der Natur“, welches einen außerordentlichen, ja einen geradezu phänomenalen Erfolg hatte. Dieses vielgefeierte, von den Dunkelmännern aber auch glühend gehaßte Buch, das die Grundlehren der Astronomie, Geologie, Anthropologie, Physik und Chemie zum ersten Male in populärer und dabei doch anziehender Gesprächsform vorzutragen versuchte, ging in drei sehr starken deutschen Auflagen über die halbe Erde, und in einer zu Amsterdam erschienenen holländischen Uebersetzung massenhaft nach den niederländischen Colonien, namentlich nach Java. Auch die „Apostelgeschichte des Geistes“ und der „Katechismus der Kirche der Zukunft“ sind in’s Holländische übertragen worden, und diese drei Werke allein haben in unzählige Köpfe den ersten Funken des Nachdenkens und der religiösen Aufklärung geworfen.

Doch gerade Rau’s große Erfolge auf dem Gebiete der Volksaufklärung sollten zum Anlaß werden, daß er aus der ein Jahrzehnt mit Hingabe verfolgten Bahn gewaltsam wieder in die seiner ersten, belletristischen Periode hinübergedrängt wurde. Der um jene Zeit besonders mächtigen politisch-kirchlichen Reaction in Baden war der in Wort und Schrift kühn vorstürmende Prediger der Mannheimer deutschkatholischen Gemeinde längst ein Pfahl im Fleische: sein so entschieden mit den alten Anschauungen brechender „Katechismus der Kirche der Zukunft“ mußte zum Anlaß und Vorwand für das badische Ministerium werden, Rau, ohne daß er nur darüber vernommen, und ohne daß ihm eine Vertheidigung gestattet worden wäre, seiner Predigerstelle in Mannheim zu entsetzen.

Rau, von dem Felde seiner bisherigen Wirksamkeit hinweggemaßregelt, kehrte 1857 nach seiner Vaterstadt Frankfurt zurück, die er dann auch bis zu seinem neunzehn Jahre später erfolgenden Tode nicht mehr verlassen hat. Hier war es nun, wo in den folgenden acht Jahren jene Serie von „biographisch-culturhistorischen Romanen“ entstand, welche Rau's Name auch in Kreise eindringen ließ, die von seiner seitherigen literarischen Wirksamkeit auf religiösem Gebiete gar nichts wußten, vielleicht nicht einmal etwas wissen wollten. Es sind die in rascher Aufeinanderfolge – in der Regel jedes Jahr einer – erschienenen Romane: „Mozart, ein Künstlerleben“ (6 Bände), „Beethoven“ (4 Bände), „Alexander von Humboldt“ (7 Bände), „Jean Paul“ (4 Bände), „Hölderlin“ (2 Bände), „Theodor Körner“ (2 Bände), „Garibaldi“ (3 Bände), „William Shakespeare“ (4 Bände) und „Karl Maria von Weber“ (3 Bände).

Von allen diesen Romanen war es wieder der erste,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 878. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_878.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)