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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


alles Deutsche. Er sprach am liebsten englisch, und wo er deutsch sprechen mußte, wie mir gegenüber, die ich mich an die gurgelnden Stromstrudel der englischen Conversation schwer gewöhnen konnte, da that er es mit einem fast komischen englischen Accent und zahlreichen eingeflochtenen Redewendungen aus der Sprache Shakespeare's und Byron's. Gleichwohl eroberte er mit diesen in ein buntscheckiges Gewand gekleideten Empfindungen mein Herz, und ich durfte nicht zweifeln, daß auch ich ihm nicht gleichgültig sei.

Zu einer Erklärung, mit der er zögerte, kam es durch ein unerwartetes Ereigniß. Während eines Gesellschaftsabends hatte mich der Banquier unter einem Vorgeben in das Treibhaus gelockt, das an die Salons stieß, und hier in einem Myrthen- und Oleanderversteck, in einer durch seine Weine angeregten Stimmung, trotz meines Sträubens, in seine Arme geschlossen, Smith war uns, gefolgt; er hatte unbemerkt den Auftritt belauscht; er wußte, daß ich keine Schuld hatte, und ihn empörte die Unwürdigkeit, der ich hier preisgegeben war. Er erklärte mir, daß er mich aus dieser Stellung befreien werde, daß er mich von jetzt ab als seine Braut betrachte, und wiederholte diese Erklärung mir schriftlich am nächsten Tage in einem Briefe, der ein vollständiges Eheversprechen enthielt. Ich war überglücklich; nicht nur erfüllten sich die Wünsche meines Herzens, auch meine äußere Lebensstellung war für immer gesichert. Unser Verkehr wurde seitdem rückhaltloser, doch schien es mir oft, als ob ihn der Gedanke beunruhige, daß seine Familie die getroffene Wahl nicht billigen werde; es gab Augenblicke, in denen ich ihn kalt und herzlos finden mußte, und noch immer zögerte er mit der Anerkennung unseres Verhältnisses vor der Gesellschaft, als ob eine falsche Scham ihn zurückhielte.

Wiederum wurden jene Myrthen und Oleander verhängnißvoll für mich; denn als er mich eines Abends in demselben Versteck, in welchem der Banquier mir seine Neigung aufgedrungen, mit dem Recht des Bräutigams umarmte und küßte, da waren die Rollen getauscht; der schon lange eifersüchtige Hausherr war uns nachgeschlichen und bereitete uns eine Scene in der Gesellschaft, die meinen Ruf für immer vernichten mußte, wenn ihn Smith nicht augenblicklich wieder herstellte. Ich wurde schimpflich aus dem Hause gejagt; Smith schwieg. Ich schrieb am nächsten Tage an ihn; ich erhielt keine Antwort. Bald darauf erfuhr ich, er sei nach England zurückgereist – ohne nur ein Wort des Abschiedes, der Ermuthigung, ohne sein Versprechen einzulösen, ja nur einzugestehen. In tiefster Beschämung reiste ich zu meinen Eltern zurück; ihnen gegenüber konnte ich mich durch die Briefe des Bräutigams rechtfertigen, der Welt gegenüber aber konnte und wollte ich es nicht; noch hoffte ich mit verschwiegenen Wünschen auf eine spätere glückliche Lösung, die ich nicht durch unvorsichtiges Preisgeben des Geheimnisses verscherzen wollte. Diese Hoffnung hielt mich aufrecht; sie wurde lebendiger, als ich vor kurzem durch den Brief einer Freundin erfuhr, daß Smith nach unserer Residenz zurückgekehrt sei. Jetzt steht die Entscheidung bevor; er muß sich erklären oder ich rechtfertige mich, indem ich sein schriftliches Eheversprechen in jenen Kreisen bekannt mache, die mich verlästert haben. Der Brief, den ich an ihn schreiben will, ist der wichtigste meines Lebens. Ich will ihn englisch schreiben, weil ich weiß, daß dies auf ihn weit größeren Eindruck macht und sein vornehmes Achselzucken über die deutsche Sprache vom Hause aus abgelehnt wird. Das Concept dieses Briefes überreiche ich Ihnen, Herr Hauptmann, mit vollem Vertrauen; verbessern Sie nicht blos das Fehlerhafte, geben Sie ihm durch Wahl der bezeichnendsten Wendungen, die mir nicht zu Gebote stehen, wärmeren Hauch und größeren Nachdruck!“

Der Hauptmann hatte andächtig zugehört, und nur unwillkürlich streiften seine Blicke bisweilen hinüber, wo die heimgekehrte Hulda mit nachdenklicher Miene neben der Lautenschlägerin stand.

„Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, mein Fräulein,“ sagte er dann, „ich werde Ihre Empfindungen so gut retouchiren, wie ich irgend vermag. Mit diesem Patron müssen Sie freilich ein ernstes Wort sprechen – pox on him! Ich glaube, er wird sich sehr bessern müssen, wenn Sie mit ihm glücklich werden sollen. Kommen Sie morgen um die gleiche Zeit wieder. Ich werde den Brief verbessert in Ihre Hände legen.“

Gabriele erhob sich; sie war bleich geworden und stützte die Hand auf den Tisch. Die Bemerkungen des Hauptmanns hatten sie empfindlich getroffen: sie fühlte die Hoffnungslosigkeit aller ihrer Schritte, ihr ganzes zerstörtes Leben, mit der wilden Hast, die ihr eigen war, eilte sie auf den Hauptmann zu, drückte ihm die Hand mit dem Ausdruck herzlichen Dankes und stürmte dann zur Thür hinaus und die Treppe hinunter.

„Das ist ein Meteor,“ rief der Hauptmann, „von dem ich nicht wünschen möchte, daß es meine Bahnen kreuzte – wie ganz anders da drüben mein sanfter Abendstern!“

Klänge, von tiefster Empfindung getragen, wehten mit dem Abendwind herüber; sagten diese Töne vielleicht, was die Worte verschwiegen hatten? Der Hauptmann lauschte wie in Träumen verloren; längst war ihm seine Pfeife ausgegangen. Er hörte nicht, daß es sieben Uhr schlug, die Stunde, in welcher seine Wochen sich ablösten, doch schon stand Skarnikatis vor ihm mit der englischen Pfeife, auf welcher das Drachenbanner gemalt war. Der Hauptmann schlug den „Petrarca“ zu und griff nach Byron; er las den zweiten Gesang des „Don Juan“, denn die kindliche, anmuthige Haidi erschien ihm ein Abbild seiner Hulda. In der Morgenfrühe des nächsten Tages schmückte er den Brief der unglücklichen Gabriele mit den dichterischen Blüthen auf, die er im Herbarium seiner Vocabelhefte für stilistische Zwecke eingetrocknet hatte.

Der Tag, dessen Sonne sich verdrossen aus rothen Nebelschleiern erhob, sollte einer der unruhigsten werden, welche das Leben des Hauptmanns seit langen Jahren aufzuweisen hatte.

Er sah hinüber – noch regte sich nichts; es blieb still den ganzen Vormittag; auch keine Taste rührte sich. War Hulda unwohl? Hatte sie Gewissensbisse, daß sie ihn zurückgewiesen? Und war dies auch wirklich eine Ablehnung gewesen? Hatte er nicht zu schwarz gesehen?

Der Mittag kam heran; es blieb auffallend still. Da plötzlich – der Hauptmann wollte seinen Augen nicht trauen – er glaubte eine Vision zu haben. Ein Herr erschien drüben, der sich einen Stuhl neben die Statue rückte und behaglich darauf Platz nahm, indem er den Rauch einer Cigarre in die Luft blies. Skarnikatis wurde herbeigerufen, um das unerhörte Ereigniß mit Hülfe seiner in den litthauischen Urwäldern geschärften Sinne zu bekräftigen. Die Thatsache blieb unerschütterlich. Der Herr nahm seinen Hut ab – Gott sei Dank! er hatte graue Haare, über welche schon ein silberner Schimmer spielte. Der Vater konnte es nicht sein; Hulda hatte ja keine Eltern mehr. Doch vielleicht ein Bräutigam? Man hat diese Sorte auch in Grau – der Hauptmann sah in den Spiegel, um sich zu überzeugen, daß das herannahende Alter bei ihm selbst die Haare noch nicht abgefärbt hatte. Doch so gut wie er konnte ja auch ein anderer älterer Herr auf Freiersfüßen gehen; auf ein paar Jahre mehr oder weniger, auf ein früher oder später ergrautes Haar konnte es nicht ankommen. Er beruhigte sich bald wieder. Durch ein Augenglas sah er, daß die Züge des Fremden scharf geschnitten waren und einen grämlichen Ausdruck hatten; es war in ihnen keine Spur jener Unruhe zu bemerken, von welcher doch keine Leidenschaft frei ist, so lange sie nicht des gesicherten Besitzes theilhaft geworden.

Der Hauptmann warf nochmals einen Blick hinüber; er sah immer dieselben Rauchwolken sich um die Lautenschlägerin kräuseln. Da plötzlich – es war keine Doppelseherei – ein zweites Glühwürmchen am Epheu – der Feuerschein einer zweiten Cigarre! Da stand ein junger Mann, welcher seinen Arm um die Lautenschlägerin geschlungen hatte und sich mit dem ältern Herrn lebhaft unterhielt. Ein vornehmer Engländer in Haltung und Anzug; die Lord Byron’sche Schleife flatterte weltschmerzlich genial in der Luft; er hatte eines der stillen feinen Gesichter, die auf den ersten Blick etwas Mädchenhaftes haben, doch sieht man näher hin, da leuchten die Augen mit einem nixenhaften Glanze, und um die Lippen lagert sich ein Zug spöttischer Ueberlegenheit.

Was bedeutete das? Hier war kein Zweifel mehr – das war der glückliche Liebhaber! Darum Hulda’s Schweigen bei seinem Antrage. Er sann eben darüber nach, in welchen Kessel des höllischen Trichters er den aufdringlichen Nebenbuhler am liebsten hinwünschen, ob er ihn durch die Lüfte wirbeln lassen oder mit einem schweren Bleimantel belasten sollte, als Skarnikatis eintrat, welcher achselzuckend auf die Fremden deutete, die er bereits von der Hausthür aus entdeckt hatte.

„Es ist nicht geheuer da drüben,“ meinte er mit seinem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 851. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_851.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)