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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Nichts ist inniger Theilnahme unmöglich. Vertrauen Sie sich mir ganz an! Haben Sie Feinde, ich will Sie gegen dieselben in Schutz nehmen. Haben Sie irgend eine Neigung,“ fügte der Hauptmann zögernd hinzu, „so will ich – ja ich will die Hindernisse besiegen helfen, die Ihrem heißesten Wunsche entgegenstehen. Das will ich.“

Und nach diesen nicht ohne Selbstüberwindung gesprochenen Worten knöpfte er sich den Rock mit hastiger Entschiedenheit zu und nahm den Stock mit herausfordernder Miene in die Hand.

„Sie irren,“ sagte Hulda jetzt mit freundlichem Lächeln, „ich bin durch keine verhängnißvolle Neigung bedrängt. Was mich stört und bedrängt, ist meinem Herzen fremd. Aufrichten könnte mich eine innige Liebe.“

„Corpo di bacco!“ fuhr der Hauptmann plötzlich auf; „wenn’s Ihnen um’s Herz wäre wie mir, würde ich Sie fragen: Wollen Sie meine Laura, meine Beatrice sein?“

Hulda erhob sich und hielt die Hand an das klopfende Herz; sie wagte nicht, dem Hauptmann in’s Gesicht zu sehen. Die Sonne war untergegangen; die Mühle lag im Schatten; glanzlos schäumte das Wasser in eintönigem Fall über das langsamer arbeitende Rad.

„Träume der Dichtung!“ flüsterte sie.

Schon war der Hauptmann über seine Kühnheit erschrocken; er riß die Knöpfe seines Rockes wieder auf, wie um Athem zu schöpfen, und strich sich mit der Hand über die Stirn. In der abgewandten Haltung des Mädchens sah er eine zarte Ablehnung.

„Möge das Wort ungesprochen sein, da Sie es so wünschen!“ sagte er hastig; „es war eine Uebereilung, zu der mich mein volles Herz hinriß. Was könnte ich Ihnen bieten? Ein einförmiges Leben, abgeschlossen von der Welt, nach dem Stundenschlag geregelt, ohne Glanz, ohne Wechsel, ohne das Glück der Jugend. Alles Glück liegt in der Jugend – glauben Sie mir! Sie kennt nicht das verhängnißvolle Wort: ‚Zu spät!‘ Mich verfolgt es bei jedem Schritt, bei jedem Gedanken. Lasciate ogni speranza! Keine Beatrice führt uns zu lichten Höhen. Was sind unsere Hoffnungen, unsere Wünsche? Larven, keine Schmetterlinge, und wenn einer noch an’s Licht sich wagt, findet er keine Blume mehr und erfriert in der kalten Luft. Vergeben Sie, vergessen Sie, und bleiben Sie mir eine fleißige Schülerin! Es wirft doch etwas Sonnenschein in mein einsames Stübchen.“

Und der Hauptmann zog den Hut und ging mit raschen Schritten von dannen. Hulda wandte sich in hastiger Bewegung um; sie sah ihm nach; ihr war’s, als müsse sie ihn zurückrufen, ihm nacheilen; doch sie bezwang sich. Was konnte sie ihm sagen, ihm bieten? In welche Verwickelungen und feindliche Verhältnisse stürzte sie den braven, schlichten Mann, dessen Ruhe für lange Zeit gestört sein würde! War es nicht blos grenzenlose Gutmüthigkeit, ritterlicher Eifer, was ihn bestimmte, sich ihrer anzunehmen, ihr einen Schutz für’s ganze Leben zu verheißen? Und doch – es war, als ob er einen tiefen Schmerz empfände über ihr kaltes Schweigen. Hatte sie ihn gekränkt? Ihr selbst wäre es bitteres Leid gewesen. Von widersprechenden Gedanken bestürmt, welche ihr ein tiefes, inneres Ungenügen zurückließen, trat Hulda ihren Rückweg an.

Der Hauptmann war erstaunt, in der Abenddämmerung Gabriele auf seinem Zimmer zu finden. Sie hatte ihn lange erwartet, zuletzt ihr Strickzeug herausgenommen und sich häuslich eingerichtet.

„Herr Hauptmann,“ sagte sie aufstehend, „entschuldigen Sie meine Eigenmächtigkeit! Ich hätte es nicht gewagt, auf Ihr Zimmer Beschlag zu legen, wenn ich nicht an Sie eine sehr dringende Bitte hätte. Auch mußte ich eigentlich erwarten, Sie zu Hause zu finden; denn welches Datum in der Weltgeschichte steht fest, wenn Ihr Stundenplan sich verschiebt? Jetzt glaube ich auch nicht mehr, daß die Schlacht bei Sedan am ersten September geschlagen worden ist; man kann sich auf nichts mehr in der Welt verlassen.“

„Ein nothwendiger Ausgang!“ sagte der Hauptmann, nicht ohne Verlegenheit. Nicht blos die Lüge, die ihm fremd war, auch eine halbe Wahrheit, die er vorbrachte, erregte ihm Unbehagen.

„Es handelt sich um einen englischen Brief, den Sie mir corrigiren, dem Sie eine stilvollere Fassung geben sollen,“ sagte Gabriele; „doch es ist kein gleichgültiger Geschäftsbrief; es ist ein Brief, an dem ein Stück meines Lebens hängt. Ich schenke Ihnen alles Vertrauen, Herr Hauptmann.“

„Das dürfen Sie.“

„Sie wohnen in diesem Städtchen, aber Sie gehören ihm nicht an; Sie sind, Gott sei Dank, hier ein Wesen höherer Art. Sonst würde ich lieber mit zwanzig Grammatikfehlern die Post unsicher machen, als ein einziges Geständnis; auf meinem Gewissen haben. Sie geloben mir Schweigen?“

„Auf mein Wort, mein Fräulein!“

„So hören Sie! Der Brief hat seine Vorgeschichte. Wie Sie mich hier sehen,“ fuhr Gabriele fort, die sich auf einen Schaukelstuhl gesetzt hatte und sich bei ihrer Rede hin- und herwiegte, „ich bin armer Eltern Kind – und es ist kein sonderliches Glück, arme Eltern zu haben, die noch dazu durch einen kleinen Titel an handwerksmäßigem Nebenerwerb gehindert sind. Man ließ mir indeß mit großen Opfern eine anständige Erziehung zu Theil werden; ich lernte viel; wir aßen dafür oft trockenes Brod am Abend. Ich wurde, was ein gebildetes Mädchen werden kann: Gouvernante. Ich machte mein Examen; das ist doch etwas. Wie viele vornehme Damen würden durch das Examen in den Augen der Leute sinken, sagte ich mir, ich habe doch einigen Grund, auf sie herabzusehen. Wissen ist Macht – bei den Männern vielleicht; uns Mädchen giebt es ein Recht, höhere Domestiken zu werden. Ich bestand gut im Examen – Sie lächeln, Herr Hauptmann? Wie bösartig Sie sind!“

„Bewahre! Ich traue Ihnen alle möglichen Kenntnisse zu.“

„Nur nicht im Englischen, will Ihr Lächeln sagen. Sie haben Recht,“ fügte sie seufzend hinzu; „das Englische war meine schwache Seite und ist es leider Gottes später noch mehr geworden. Ich kam als Gouvernante in ein Banquierhaus in der Residenz; man behandelte mich menschlich; die Frau Commerzienrath schenkte mir ihr Vertrauen, womit nicht viel Staat zu machen war, und wenn ich mit dem Commerzienrath unter vier Augen war, so warfen zwei von diesen vier unter der Brille sehr vielsagende Blicke auf mich. Er sagte mir öfter, daß er mich geistreich und reizend finde; mich rührte das nicht, denn er hatte sonst einen schlechten Geschmack, und war auch selbst ein Beweis für die Geschmacklosigkeit, mit welcher die Natur oft angesehene Männer ausgestattet hat. Im Salon wurde ich geduldet; ich durfte Thee einschenken und Brödchen umherreichen; man stellte mich der Gesellschaft vor, aber immer mit einer gewissen Verschämtheit und sprach meinen Namen so leise aus, daß ich oft glauben mußte, es knüpfe sich ein Verbrechen daran, das man verheimlichen wolle. Sie wissen ja, was Ausschuß ist auf den Messen; man bringt solche Teller, die einen Riß haben, auch auf den Tisch; doch wünscht man nicht, daß genauer hingesehen werde. So fühlt’ ich mich als Gouvernante.“

„Es ist gut,“ warf der Hauptmann ein, „daß für mich diese Gesellschaft nicht vorhanden ist. Ich würde schlecht zu ihr passen, denn ich schätze die Menschen nur nach ihrer Bildung; jeder andere Maßstab ist mir verwerflich.“

„O, es giebt auch dort Ausnahmen,“ sagte Gabriele, „und ich lernte eine solche kennen. John Smith, ein junger und reicher Engländer oder vielmehr ein Deutsch-Engländer – denn er stammte von Deutschen, die sich in London niedergelassen hatten – zeichnete mich aus; er unterhielt sich gern mit mir, zum großen Aerger der jungen Damen, welche es nicht passend fanden, daß ein Mann von Welt Geschmack am weiblichen Gesinde fand. Ich wurde dann immer rasch abberufen; man wußte es so einzurichten, daß ein Kind über irgend eine Schwelle stolperte oder ein anderes zu Bett gebracht werden mußte. Es gab zwar noch eine Bonne, doch die war nur für’s Ausgehen und für’s Französische; alles Andere lag mir ob. Trotz dieser planvoll bereiteten Hindernisse wußte Smith es doch möglich zu machen, daß wir uns öfter sprachen; er kam zu einer Vormittagsstunde, in der ich meistens mit den Kindern im Garten war. Der junge Mann flößte mir bald Neigung und Vertrauen ein; er hatte die Welt gesehen, war in Calcutta und in New-York gewesen; er war ein Gentleman von feinen, vornehmen Manieren, und nur zuweilen befremdete mich anfangs ein etwas blasirter Ton, den er mir gegenüber mühsam in die Sprache der Empfindung umzustimmen suchte, und seine Abneigung gegen

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