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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Wie, das wäre Ancza (Antscha)?“ meinte Vorescu noch immer verwundert, während er jedoch mit sichtlichem Wohlgefallen das prächtige Mädchen betrachtete, welches, unter unsern Blicken erröthend, den irdenen Krug zur Erde setzte, darauf ein grobes, doch blüthenweißes Linnen über das Gras breitete und nun aus dem Korbe, den Nikola getragen, fetten Schafkäse, Mamaliga und hartgesottene Eier appetitlich ausbreitete.

„Bitte, bester Herr, nehmt vorlieb!“ sagte jetzt der gnomenhafte Alte freundlich. „Besseres haben wir nicht, aber das ist Euch vom Herzen vergönnt.“

„Was aber brachte Ancza so plötzlich über die Grenze herüber, zu Dir?" fragte Vorescu, während ich der Einladung ohne weiteres folgte und einen herzhaften Zug that aus dem mir von Ancza anmuthig gereichten Kruge, der jedoch nicht etwa Rebensaft, sondern frische Ziegenmilch enthielt, ein Getränk, das man im Gebirge gar sehr schätzen lernt.

„Was sie herbrachte?“ fragte Nikola zurück, „je nun, nichts Gutes, wie’s eben kommt in der Welt; die Mutter starb ihr schon, wie Du weißt, vor Jahren, der Vater aber fiel vorige Woche einen Felsen hinab, als er ein verlaufen Schaf suchte. Da stand das arme Mädel allein und kam, nachdem der Vater begraben war, herüber zu mir, wo sie gern gesehen ist.“

Ancza, welche noch immer vor uns stand, da es nach der Landessitte sich für ein Mädchen nicht geschickt hätte, in Gegenwart eines „Herrn“ bequem zu ruhen, blickte nachdenklich vor sich hin und wischte mit der kleinen braunen Hand eine Thräne aus den getrübten Augen, aber schon im nächsten Augenblicke flog wieder ein frohes Lächeln über die frühlingsheitern Mädchenzüge, als Vorescu schmunzelnd bemerkte: „Na glaub’s, Vetter, daß sie gern gesehen ist bei Dir, hat ja ein paar Arme, daß man sich fürchten könnte, wenn’s zum Streite käme.“

„Bei Gott, die hat sie, Vetter,“ bestätigte Nikola, „das Mädel spielt auch mit der Arbeit nur wie die Katze mit der Maus.“

„Eh, eh,“ machte jetzt Vorescu mit lustigem Augenzwinkern, „mir scheint, Du siehst sie schon so gern, daß es nächstens Hochzeit geben wird.“

Nikola schnitt ein süßsaures Rübezahlgesicht, Ancza aber lachte schelmisch auf und zeigte dabei zwei Reihen perlenweißer Zähne, die gleichwohl sicher noch mit keiner Zahnbürste Bekanntschaft gemacht hatten.

Nachdem die Alten noch mancherlei mit einander geplaudert und dabei dem Milchkrug wacker zugesprochen hatten, erhoben wir uns zum Aufbruche. Vorescu meinte scherzhaft, sein Pietru werde wohl erst später von der „Bärenschau“ zurückkommen, doch erschien dieser in demselben Augenblicke am Rande des schon erwähnten Tannenschlages und begegnete dort Ancza, welche, beladen mit dem Kruge und den Resten des Frühstückes, heimging. Die fremde weibliche Erscheinung schien den eifrigen Bärenjäger nicht sehr zu interessiren, um so mehr aber der Krug auf dem Kopfe.

„Holla, gerade recht für meinen Durst!“ rief er und griff dabei ohne Weiteres nach dem für den Erhitzten höchst verführerischen Gefäße.

Ancza jedoch that, als sähe und hörte sie den baumlangen Menschen an ihrer Seite nicht, und schritt gleichmüthig weiter.

„Oh – oh, verstehst Du nicht rumänisch?“ rief Pietru ärgerlich, indem er keck die schlanke Taille des Mädchens faßte.

„Bist Du mein Herr?“ tönte es jetzt stolz und drohend von Ancza’s Lippen.

„Was, Herr?“ erwiderte Pietru verdrießlich. „Durstig. bin ich.“

„Ei nun, dort ist die Schaftränke,“ gab die beleidigte Schöne kurz zurück, „und – jetzt die Hand weg!“

Ton und Art der Sprache mochten Pietru endlich doch zu näherer Beaugenscheinigung Ancza’s bewegen, denn statt der Aufforderung zu gehorchen, fügte er auch die zweite Hand zur ersten und beguckte das stattliche Mädchen mit großen verwunderten Augen.

„Herr Gott!“ rief aber dieses ungeduldig. „Du hast wohl Dein Lebtag noch kein Mädchen gesehen? Nochmals, Hände weg, oder –“

Die Drohung schien Pietru ohne Zweifel sehr komisch, denn er lachte laut auf und meinte: „Eh, wirst mich doch nicht ganz und gar verschlingen?“

„Verschlingen – nein, mich hungert nicht nach so derbem Braten, aber Dir die Wege zeigen,“ entgegnete Ancza spöttisch.

„Närrisches Ding, gieb mir den Krug, dann finde ich den Weg ohne Dich,“ versetzte Pietru unwirsch, indem er abermals und so rasch nach dem Verlangten griff, daß Ancza nicht mehr entweichen konnte.

Einige Secunden schwankte nun das Gefäß, von vier Händen gefaßt, hin und her, in dem Augenblicke aber, als die Palme des Sieges sich entschieden nach der Seite des Angreifers neigte, flog dasselbe unter Ancza’s zornigem Ausrufe: „Ei, so habe ihn denn!“ an Pietru’s Kopf und zwar mit solcher Gewalt, daß das Thongeschirr trotz seines soliden Baues dröhnend in Trümmer ging, der ansehnliche Milchrest aber sich über Gesicht und Brust des verblüfften Ringers ergoß. Der bombenartige Knalleffect dieser unleugbar „kraftstrotzenden“ Abfertigung ließ mich einen Augenblick für die Gehirnschale des Getroffenen fürchten, allein Vorescu’s heiteres Lachen sagte mir, daß Karpathen-Menschenschädel eben nicht nach gewöhnlichem Maßstabe beurtheilt sein wollen. In der That kam Pietru, nachdem er den weißen, süßen Platzregen aus den Augen gewischt und der enteilenden herben Maid einen ungleich achtungsvolleren Blick nachgesendet hatte, mit der Miene eines Mannes auf uns zu, dem zwar etwas Ungewöhnliches passirte, worüber ungehalten zu sein jedoch nicht der mindeste Grund vorlag.

„Nun, was ist’s mit dem Bären?“ fragte Vorescu, seine Heiterkeit bei Annäherung des Sohnes, wie mir schien, absichtlich verbergend.

„Es ist derselbe, Vater,“ antwortete Pietru, sich uns anschließend.

Und während wir nun in dem tiefen, harzdurchdufteten Schattenreiche kolossaler Tannenpyramiden aufwärts wanderten, erzählte Vorescu auf meine Frage, daß seine und seiner Nachbarn Herden seit längerer Zeit vorzugsweise von einem Bärenindividuum decimirt würden, dessen Fährte, durch eine fehlende Kralle an der Vordertatze kenntlich, auf eine ganz ungewöhnliche Größe schließen lasse, und daß bisher alle Bemühungen, dem Räuber beizukommen, an dessen Schlauheit und noch mehr an dessen dickem Pelze scheiterten, welch letzterer schon ein halb Dutzend Kugeln ohne besonderen Schaden für den Eigenthümer in Empfang genommen habe.

„Aber ich kenne jetzt sein Lager, Vater,“ sagte Pietru grimmig, „und heute Nacht soll er d’ran, müßte ich ihn auch mit der Hacke erschlagen.“

„Gut, Pietru!“ meinte der Alte ruhig, „nur gehe nicht wieder zu hitzig d’rein, kommt er Dir aber an den Leib, so vergiß nicht den Schafpelz nach vorn zu nehmen! So ’n Stück Schafhaut hat schon mancher Mutter Sohn vor schlimmen Schrammen bewahrt; und noch etwas, Junge: spiel Dich nicht mit dem Zottelmann, und denke, daß Bären bisweilen noch dickere Schädel haben als – andere Leute!“

Der, dem diese Rede galt, schien sich jedoch weder die guten Lehren noch die etwas anzügliche Bemerkung des Alten zu Herzen zu nehmen, sondern in tiefem Nachsinnen versunken zu sein. Ob an dieser sichtlich anstrengenden Gedankenarbeit das vergangene Abenteuer mit der kurz angebundenen Maid, oder das künftige mit dem dickhäutigen Meister Petz den Löwenantheil hatte, ließ sich aus den Zügen des Sinnenden nicht entnehmen, doch schien mir das pfiffig-frohe Lächeln des Alten darauf hinzudeuten, daß nach des Letzteren Ansicht das Mädchen mit seinem Kruge denn doch einen Eindruck, wenn auch nicht auf den harten Kopf des Karpathenjünglings, gemacht habe.

(Schluß folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 843. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_843.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)