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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Herr, mein Pietru war immer ein eigener Junge, dem stets das am besten gefiel, was zu erlangen ihm die größte Mühe kostete, waren es nun Käfer oder Blumen, Beeren oder Wild, und darum, meine ich, müßte die Dirne, die ihm es anthun sollte, eine Nuß sein, die dem tollen Jungen tüchtig zu knacken gäbe; dergleichen findet sich bei uns gar selten.“

Unwillkürlich wandte ich mich nach dem jungen „Hartherz“ um, der hinter meinen militärischen Gehülfen als der Letzte im Zuge einherschritt, trotz des beschwerlichen Aufsteiges wohlgemuth vor sich hinpfeifend und nach des Liedchens Tacte an einer jungen Eiche schnitzelnd, die er am Wege entwurzelt. Er trug das landesübliche grobe Hemd vom breiten Ledergürtel zusammengehalten, das eng anliegende Beinkleid von grauem Barchent und die den Fuß ebenfalls knapp umschließenden Kopanken, eine Tracht, welche Männern von hohem muskulösem Körperbaue gar wohl ansteht; zum Schutze vor des Wetters Unbill aber hing von den breiten Schultern der lange Schafpelz herab, während den braunlockigen Kopf ein mit Alpenrosen geschmückter, breitrandiger Filzhut deckte, unter dem die männlich offenen, gutmüthigen Züge und ein paar Augen sichtbar wurden, die so heiter und sorglos in die Welt blickten, als wäre sie wirklich die beste aller Welten und passire nie etwas darin, was ein Menschenherz betrüben könnte. In der That, dieser bei aller Wucht des Leibes in Bewegung und Haltung urwüchsig anmuthige rumänische Hercules war nach dem gewohnten Anblicke der melancholischen, verkommenen Gestalten des rumänischen Flachlandes eine gar erquickliche Augenweide, und nachdem ich den jungen Mann so gemustert, begriff ich sowohl die Vorliebe des weiblichen Geschlechtes für ihn, wie den zärtlich stolzen Blick des alten Vorescu, dessen Auge der Richtung des meinigen gefolgt war.

Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als wir endlich den kühlen Schatten des Buchenwaldes verließen und eine Lichtung erreichten, welche einen prächtigen Ausblick auf das tiefer gelegene, im frischesten Grün prangende Wald- und Wiesenland und auf einzelne der erhabensten Häupter des Hochlandes gewährte, deren Felsenkronen jedoch meist noch von dichten Nebelschleiern verhüllt waren.

Wir hatten einen tüchtigen Weg hinter uns, und in Anbetracht der uns noch erwartenden Strapazen schien mir eine kurze Rast wünschenswerth. In das schwellende Alpengras hingestreckt, die heiße Schläfe vom leichten Wehen der Lüfte gekühlt, das Auge ergötzt durch den Anblick der friedlich stillen Landschaft, ruhte es sich gar angenehm, und daß auch das Ohr nicht leer ausgehe, dafür sorgten die zahlreichen Leithammel der die Lichtung beweidenden Schafheerden mit ihren an den Hälsen baumelnden Glocken. Allein der holde Friede dieser Alpenbilder war doch nur eine süße Täuschung, denn kaum eine Stunde vor unserer Ankunft war einer der fettesten Wollenträger, der sich im Vertrauen auf den holden Schein der Waldschlucht zu sehr genähert hatte, eine leckere Beute Petzens, des brummigen Herrn des Karpathenwaldes, geworden.

So berichtete einer der Hirten mit trauriger Miene dem alten Vorescu, worauf der Erzähler zum Schlusse nicht versäumte, seine und seiner Hunde leider vergebliche Tapferkeit in das rechte Licht zu stellen und dem frechen Räuber die ehrenrührigsten Titel zu verleihen. Vorescu nickte zu alledem nur mit dem Kopfe und meinte gutmüthig: „Ja nun, da läßt sich nichts dagegen thun, auch der Zottelmann weiß, was gut ist.“

Pietru aber war schon bei den ersten Worten des Hirten emporgeschnellt und ging nach Beendigung des Berichtes, ohne ein Wort zu sagen, der Waldschlucht zu, an deren Rande die beraubte Heerde weidete. Lächelnd blickte ihm der alte Vorescu nach und sagte mir zunickend: „Seht, Herr, so ist er; gilt es einem Bären, da fängt er Feuer wie ein Holzschwamm, eines Mädchens wegen aber, und wäre es das schönste im Lande, würde er weder Hand noch Fuß rühren.“

„Laßt nur, Alter! Auch seine Stunde wird noch schlagen,“ tröstete ich, „doch sagt mir, wem gehören diese Heerden?“

„Mir, Herr,“ erwiderte Vorescu nicht ohne Selbstgefühl.

„Alle?“

„Alle bis auf jene, welche dort abseits weidet; diese gehört meinem Vetter Nikola, der die Stine gerade unter uns auf dem runden Kegel bewohnt.“

Erstaunt betrachtete ich den Sprecher, der harmlos in seiner dürftigen Hirtentracht neben mir saß. Nach oberflächlicher Schätzung repräsentirten die Heerden einen Werth von mindestens sechszigtausend Mark, und doch lebte der Mann, dem dieses Vermögen zu eigen war, bei seinem hohen Alter Tag für Tag unter Gefahren und Entbehrungen, Mühen und Anstrengungen, wie man sie unserem ärmsten Tagelöhner für reichen Lohn nicht zumuthen dürfte.

„Wetter,“ rief ich meinen Gedanken unwillkürlich Ausdruck verleihend, „da seid Ihr ja ein reicher Mann, der im fruchtbaren Flachlande ein prächtiges Gut kaufen, Diener halten, in einem schönen, bequemen Hause wohnen und leben könnte wie ein Bojar.“

Vorescu sah eine Weile still vor sich hin, als ob er meine Rede überdächte, dann aber sprach er mit seinem kaustischen Lächeln: „Möglich wär’ es, lieber Herr, doch Gott sei Dank bin ich schon zu alt zu solchen Streichen; ja als jungem Burschen, da kamen mir wohl öfter solche Gedanken, namentlich zur Winterzeit, wenn es stürmte, daß man selbst unter dem Schafpelze mit den Zähnen klapperte und ich mit der alten Frau, meiner Mutter, beim Herdfeuer saß und Spähne oder Dachschindeln schnitzte. Wenn ich aber von meinen närrischen Träumen schwatzte, dann schüttelte sie den Kopf und erzählte mir die Geschichte von dem Schäferhunde, dem das Frieren und Hungern in den Bergen, das Raufen mit Wölfen und Bären auch einmal zu viel wurde, und der hinab lief in eine schöne große Stadt, um sich dort einen andern Herrn zu suchen. Sein gutes Glück ließ ihn auch bald einen reichen mitleidigen Bojaren finden, der ihn zu sich in die Stube nahm, auf weichen Polstern schlafen ließ und ihm so viel Mamaliga (Kukuruzbrod) gab, als er nur immer fressen konnte. Das ging eine Weile so fort und gefiel dem Schäferhund gar wohl, endlich aber wurde es ihm doch gar zu langweilig hinter dem warmen Ofen, und er wollte zur Abwechselung wieder einmal hinter die Berge laufen, deren weißes Schneekleid so lustig herabglänzte. Doch seine Füße waren vom Faulenzen so steif geworden, daß er nicht weit kam; außerdem fror es ihn so jämmerlich, daß er bald mit eingezogenem Schweif hinter den Ofen kroch, aber lange hielt er auch die Ruhe nicht mehr aus, wurde bald darauf krank und nahm ein elendes Ende. – So erzählte sie, und als ich dagegen einwandte, daß doch viele Hunde vornehmer Herren alt werden, da sagte sie: ‚Junge, das verstehst Du nicht; das sind eben vornehme Hunde, die zum Faulenzen geboren sind, ein rechter Schäferhund aber – glaube mir mein Junge! – der wird nur alt in den rauhen Bergen seiner Heimath bei schmaler Kost und harter Arbeit‘. Und seht, Herr, ich denke, die gute alte Frau hatte so unrecht nicht.“

Während der Alte so sprach, waren aus der Stine, welche Vorescu’s Vetter gehörte, ein Mann und eine Frau herausgetreten und in den Wald hineingegangen, der den steilen Abhang zwischen uns und der Stine bedeckte; jetzt kamen sie in die Lichtung heraus und näherten sich unserem Ruheplatze.

„Wußte wohl, daß Vetter Nikola nicht lange auf sich warten lassen werde,“ sagte Vorescu, „aber wie kommt der alte Mann zu dieser Dirne, die zu ihm paßt, wie die Edelgeis zur Schildkröte?“

Vorescu’s drastisches Gleichniß war vollberechtigt, denn ein unähnlicheres Paar als das eben herannahende ließ sich kaum denken.

Vetter Nikola war mißgestaltet klein und häßlich und glich auf’s Haar den Gnomengestalten unserer Märchenbücher. Seine Begleiterin dagegen war ein merkwürdig hoch und kräftig gewachsenes Mädchen in vollster Jugendblüthe, und wie es in dem leichten, die prächtigen Formen nur wenig verhüllenden Nationalkleide, dem gestickten, vorn und rückwärts mit einem bunten Stück Zeuge geschmückten Hemde aufwärts schritt, mit der vollen nervigen Rechten einen schweren Krug auf den dicken schwarzen Haarflechten festhaltend, die Linke auf die runde üppige Hüfte stützend, bedurfte die stolze Gestalt keines historischen Zeugnisses, daß römisches Blut in ihren Adern rolle.

Nikola war übrigens bei aller Mißgestalt keineswegs blöde. Mit vergnüglichem Schmunzeln trat er näher, und nachdem er mich mit tiefem Bückling begrüßt, rief er heiter: „Eh, Vetter Vorescu, kennst Du meines Bruders Kind nicht mehr?“

„Deines Bruders Kind?“

„Wer sonst? War freilich noch ein kleines Ding, als sein Vater über die Grenze nach Siebenbürgen hinüber wanderte.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_842.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)