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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Ehe er aber eine Aufklärung geben konnte, wurde leise geklopft, und Mariens hübsches, erröthendes Gesicht erschien in der Thürspalte.

„Nur herein, nur herein!“ rief Kayser, der seinen Aerger bei ihrem Anblicke sogleich vergaß – „Aber was bringst Du denn da noch?“

Diese Frage galt den beiden Gestalten, welche hinter Marie in’s Zimmer geschlüpft waren – Paula und einem jungen, schlanken Dragonerlieutenant, von welchem seine Schwester nicht zu viel gesagt hatte, als sie ihn ein Bild jugendlicher Mannesschönheit nannte.

„Paula’s Bekanntschaft aus Baden-Baden!“ erklärte Marie, indem sie mit lächelnder Miene auf den jungen Officier deutete, „mein Bruder Richard!“

„Derselbe, von dem ich Ihnen bereits sprach,“ ergänzte Paula erröthend. „Ein anderer freilich als Ihr Heirathscandidat, – sein Bruder –“

„Ein Freier,“ nahm Richard selbst das Wort, „der Ihren väterlichen Segen erbittet!“

Sie standen Hand in Hand vor dem erstaunten Hausherrn und schauten ihn mit Blicken an, in denen neben einer ernsten Bitte ein froher, jugendlicher Muthwille funkelte. Kayser hatte ihnen lächelnd seine beiden Hände gereicht: „Kinder,“ sagte er, „löst sich das Räthsel so? Nun, seid glücklich miteinander! Aber eine hinterlistige kleine Hexe bist Du doch, Paula.“

Max aber war zu seiner Schwester getreten und hatte sie in seine Arme geschlossen.

„Möge es zu Deinem Glücke sein!“ sagte er, und seine ernste, männliche Stimme bebte vor Rührung.

„Das wird es. Ich bin sehr glücklich,“ entgegnete Marie, mit heiterem, klarem Blicke zu ihm aufschauend. „Und auch Du wirst es werden, geliebter Bruder. Sieh, vom ersten Augenblicke an war sie mein Liebling. Welch’ eine holde, liebliche Gattin wird sie Dir sein! Dir habe ich sie erwünscht – und Dein wird sie werden.“

„Du sprichst sehr sicher, Marie.“

„Du kannst es auch sein, denn Du wirst geliebt, wie Du es verdienst. Geh, und laß es Dir durch ihren Mund bestätigen! Ich aber will jetzt zum ersten Male erproben, wie weit mein Einfluß bei meinem künftigen Herrn und Gemahl reicht. Ich sehe an seiner gefurchten Stirn, daß die Beiden ohne mich einen schweren Stand haben würden. Sie sind aber zu jeder Concession bereit, und ich will mit mütterlichem Heldenmuthe für meinen lieben Jungen kämpfen.“

Während Max das Zimmer verließ, wandte Marie sich der Gruppe am Fenster zu, mit einem Lächeln, das bei aller Lieblichkeit und Freundlichkeit dennoch eine gewisse Zuversicht ahnen ließ.

Als Reinhard einige Augenblicke später die Thür des Gartensaales öffnete, sah er die, welche er suchte, am jenseitigen Ende des Gemaches stehen. Sie hatte der Thür, durch welche er eintrat, den Rücken zugewandt und beugte sich über einen Tisch, auf welchem Blumen in reicher Fülle lagen. Sie war so vertieft in die Beschäftigung, dieselben in hohen silbernen Tafelaufsätzen zu ordnen, daß sie den sich nahenden Schritt nicht hörte. Erst als seine Gestalt zwischen sie und das Licht trat, blickte sie auf. Ob es nun die Plötzlichkeit seines Erscheinens war, oder ob das junge Mädchen in seinem Gesichte den Ausdruck dessen wahrnahm, was seine Seele so stürmisch bewegte – dem plötzlichen Erbleichen bei seinem Anblicke folgte ein ebenso schnelles Erröthen. Ihre Hand stützte sich fester auf die Tischplatte und die silbernen Vasen auf derselben klirrten leise gegen einander.

„Verzeihen Sie! Ich habe Sie erschreckt,“ sagte Max, selbst erschrocken bei dem Anblicke des zitternden Mädchens. „Ich habe dem Wunsche, Ihnen eine Nachricht mitzutheilen, die mich beglückt, zu stürmisch nachgegeben.“

„Die beste Nachricht ist die, welche mir Ihr Erscheinen gewährt: Sie sind aus den Gefahren der Nacht unverletzt hervorgegangen.“

„Aber die, welche ich Ihnen setzt mitzutheilen habe, giebt dem mir erhaltenen Leben erst seinen Werth. Sie macht mich zum freien Mann – sie gewährt mir die Ausübung schöner menschlicher Rechte. Der Druck der Verhältnisse ist von mir genommen. Ich kann vor diejenige treten, die ich liebe seit dem ersten Augenblicke, da ich sie gesehen, und zu ihr sprechen: ich habe Dir kein glänzendes Loos zu bieten, aber so wie es ist – willst Du es mit mir theilen? Hanna, welche Antwort werde ich erhalten?“

Er stand vor ihr, das edle Haupt geneigt, die Augen, die sie so sehr liebte, in ernster Frage auf sie gerichtet. Waren es die Thränen in ihrem Blick, oder raubte ihr die Größe und Plötzlichkeit des über sie ausgeschütteten Glückes die Fähigkeit des klaren Sehens? Wie ein Nebel schwankte es vor ihrem Auge; was ferner geschehen war, konnte sie in späterer Zeit nie deutlich berichten. Aber sie pflegte lächelnd zu behaupten, daß ihr Gatte an jenem denkwürdigen Tage sehr eigenmächtig mit ihr verfahren sei. Er habe, so sagt sie, ihr zustimmendes Ja gar nicht abgewartet, sondern aus eigener Machtvollkommenheit sie in seine Arme geschlossen, sie geküßt und seine Braut genannt.

„Also auch das noch!“ sagte Kayser eine halbe Stunde später, als er mit Marien am Arm, hinter sich das andere Paar, in den Gartensaal trat, wo Max und Hanna Arm in Arm vor dem Tische standen, auf welchem die Vasen noch immer ihres Inhaltes harrten. „Also auch das muß ich noch erleben. Wenn ich mir die Sache recht überlege, so finde ich, daß ich auf schamlose Weise von Euch getäuscht worden bin.“

„Ich trage keine Schuld daran,“ sagte Max schnell. „Sie müssen zugeben, daß ich die Absicht hatte, ehrlich gegen Sie zu handeln. Sie selbst haben Confusion in die Sache gebracht. Sie haben mir Rathschläge gegeben, die ich nicht befolgen konnte, und Warnungen zugeflüstert, die sich durchaus nicht bewährt haben. Sie haben sich so böswillig gezeigt, daß ich die Angelegenheit in meine eigene Hand nehmen mußte.“

„Also ich werde sie an einem Tage los, die beiden Plagegeister meines Lebens, meine Nichte und meine Mündel. Gott segne Dich, Kind!“ fuhr er fort, Hanna in seine Arme schließend. „Es hat mir so wohlgefallen Dich in meinen Hause zu haben, daß ich Dich gern noch länger behalten hätte. Aber das Kind meines Hauses sollst Du auch fernerhin bleiben, mit allen Rechten desselben, hörst Du? Das Kind meines Bruders, die einzige Verwandte, die ich habe, soll unter meinem so spät errungenen Glücke nicht leiden. Und was ich mir stets vorgenommen hatte zu thun, soll jetzt um so lieber geschehen, als mein lieber Freund und Schwager mein Schwiegersohn wird. Und jetzt sind wir fertig, hoffe ich, und können zu Tische gehen.“

„Erst möchte ich noch einen Boten an Tante Siddy schicken, wegen der Einquartierung,“ sagte Paula.

„Ach, Tante Siddy!“ rief Kayser. „Die Einquartierung ist bereits da,“ fuhr er fort, seine Tasche untersuchend und einen Brief zu Tage fördernd, „und hier ist ein schriftlicher Jammerschrei darüber. Zehn Mann Dragoner nebst zehn Pferden und ein Officier noch außerdem angesagt! Ich, als Vormund, soll gegen solche Zumuthung energisch auftreten. Sie sträubt sich vorzüglich gegen den Officier – die Arme! Sie ahnt nicht, daß ihr der als eine Art Strafpreuße dauernd in das Haus rückt.“

„Ich hoffe die Dame mit diesem Arrangement bald auszusöhnen,“ sagte Richard lächelnd.

„Das soll mich freuen, mein Junge. Denn sobald Sie die Bedingungen erfüllt haben, die ich Ihnen gestellt –“

„Ja,“ fiel Richard ihm ins Wort, „ich will sie erfüllen, wie ein ehrlicher Mann. – Max,“ wandte er sich an seinen Bruder, „ich folge damit auch Deinem Rathe und Deinem Wunsche; ich quittire den Dienst und werde Landmann.“

„Schön,“ fuhr Kayser fort, während Max seinem Bruder zunickte, „wenn dies also geschehen ist, will ich meinem Versprechen gemäß Ihre Sache gegen alle äußere Anfechtung vertreten; die Tante Clemence nehme ich auf mich. Damit aber ist’s auch genug. Mit Ihren häuslichen Angelegenheiten will ich nichts zu schaffen haben. Sehen Sie zu, wie Sie Herr im Hause werden!“

Richard blickte lächelnd auf Paula nieder, die an seinem Arme lehnte.

„Ich hoffe dieser Aufgabe gewachsen zu sein,“ sagte er, seine Lippen auf ihre dunklen Locken drückend.

„Und ich weiß es ganz bestimmt,“ sagte Marie, ihre beiden Brüder mit stolzem Lächeln betrachtend. „Es geht eine alte Tradition durch unser Haus, welche sagt, daß ein Reinhard noch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_822.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)