Seite:Die Gartenlaube (1877) 782.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

das verschmähte Glas eben wieder zu seinem Besitzer zurückgekommen und abermals von diesem zu neuem Auslug benutzt worden, als ich in dessen Mienen eine auffallende Erregtheit wahrnahm, ja seine Hand zittern sah. Und mit einem: „Der Satan soll mir gleich einen Waidmann setzen, wenn dort die Teufelsbraten nicht stehen,“ reichte der Förster mir den Gucker, und beschrieb mir genau den Fleck, wo er das hohe Federvieh zu sehen geglaubt. „Da über den dürren Haidestreifen hin, genau in der Richtung des dort stehenden Kiefernkuschels, rechts von dem alten Stocke auf der kleinen fahlen Blöße, da stehen sie – ich will keinen Finger je wieder krumm machen, wenn’s nicht trifft.“

Rasch fand ich mich zurecht, schaute scharf hinauf nach dem mir bezeichneten, etwa fünfhundert Schritte entfernten Plätzchen – und wirklich! da standen und saßen die Vermutheten und endlich doch Gefundenen leibhaftig vor meinem erstaunten Auge. Wir waren gut gedeckt und zudem im besten Winde; diese seltsamen Gäste schienen keine Ahnung von ihren Beobachtern zu haben. Dennoch kauerten wir uns alle Drei vorsichtig auf den Boden hinter dichten Anflug nieder und beriethen hier, wie wohl am besten bis auf Schußweite, wenn auch nur für den Büchsenlauf unserer Doppelzeuge, an die Erschauten hinanzukommen sei. Nach Einigung der Ansichten hierüber, wobei der alte „Schneesieber Bienenlob“ ganz vortreffliche Taktik bekundete, schlichen der Förster und ich mit unsäglicher Vorsicht, jede irgend geeignete Deckung wahrnehmend, dem scheuen Wilde zu, während der Waldarbeiter mit dem Hunde auf dem Entdeckungsposten ausharren mußte, um für etwaige Vorkommnisse freien Ueberblick zu behalten. So kamen wir, und zwar zu unserem eigenen Erstaunen, wirklich bis auf ein paar hundert Schritte an die inzwischen ganz ruhig Gebliebenen hinan, als sie nun doch auf einmal rege wurden und zu enteilen sich anschickten. Da schossen wir, Alles auf’s Spiel, nämlich auf eine Kugel setzend, genau zugleich die Büchsenläufe unserer Gewehre den Flüchtigen über die Köpfe hinhaltend, nach den vor der Hand nur erst im Laufen Begriffenen ab, und zu unserer Freude blieb ein Stück der Trappen, nach vergeblichem Bemühen mit den anderen fortzukommen, zurück und verschwand bald hinter einem Haidebusche, während die Davongeeilten in die Höhe und zum Fluge kamen, dann aber ebenfalls schnell hinter Hügelland des nachbarlichen Grenzrevieres, wo sie wieder einzufallen schienen, unseren Blicken entschwanden.

Rasch ward nun der Hund herbeigeholt und, an der Leine behalten, auf den Anschuß gesetzt, von wo aus uns sehr bald das kluge Thier, nachdem wir ihn von der erst angenommenen Fährte der Entflohenen, die wir auf dem den Tag über weich gewordenen Boden nicht unschwer erkennen konnten, abgeführt hatten, auf die untrügliche Spur des Angeschossenen brachte und darauf fortleitete, bis er, die Nase herumwerfend, plötzlich seitwärts abbog und uns nun direct auf Schweiß brachte, der allenthalben an den langen Grashalmen und Schmälen sich zeigte. So konnten wir denn jetzt ohne Gefahr den Hühnerhund frei weitersuchen lassen, der auch, nur erst von der Leine gelöst, sogleich flüchtig auf der nicht mehr zu verfehlenden Spur fortschoß, in wenigen Minuten schon zurückkehrte und stolz, als wüßte er, was Hohes ihm zur Beute geworden, den glücklichen Fang – einen jungen Trapphahn! – herzubrachte.

Gern theilten wir unsere herzinnige Freude darüber mit dem getreuen, braven „Bienenlob“, dem anstelligen Anstifter der geglückten Jagd, der darob aber nicht wenig stolz war. Hatten wir doch in der That nur ihm allein unseren heutigen Waidmannsegen zu verdanken. Ein verabreichter doppelter Tagelohn brachte dem Genügsamen noch einen geschätzten materiellen Gewinn, der ihm schließlich doch noch weit über das Vergnügen ging, welches er unverkennbar an der Erlegung der von ihm so bezeichnend beschriebenen „langbeenigen Beester“ hatte.

Mir aber war an diesem Tage außer dem gehabten Hochgenuß der Jagd auch noch der geworden: zum ersten Male in meinem Leben Trappen in Freiheit gesehen zu haben. Nicht mindere Freude gewährte mir am andern Tage die Gelegenheit, an der prächtigen Jagdbeute, dem erlegten Trappen, direct nach der Natur studiren zu können, so daß ich die mir lebhaft im Gedächtniß gebliebene Gruppe, wie ich sie durch’s Fernglas beobachtet, darnach ausführen und sie nun, nach langen Jahren, an dieser Stelle meinen „Wild-, Wald- und Waidmannsbildern“ einverleiben konnte.




Aus dem Lehrerleben.
Nr. 1. Der falsche Schulrath.


Der Schnee knirschte unter den Füßen der beiden Wanderer, die rüstigen Schrittes auf der holprigen Straße zwischen den beiden Dörfern Bergen und Hammer dem letzteren Orte zueilten. Es war der Lehrer Rößler mit seinem Bruder, einem stattlichen Manne in den besten Jahren, der in einer Stadt der benachbarten Provinz gleichfalls ein Lehreramt bekleidete und nach jahrelanger Trennung gelegentlich eines freudigen Familienereignisses zu seinem etwas älteren Bruder auf Besuch gekommen war. Er hatte die Ferienzeit bei demselben zugebracht. Walter – das war der Name des jüngeren Bruders – hatte noch einige Tage über die Ferien hinaus Urlaub genommen, die er gleichfalls in Bergen bei der Familie seines Bruders Ernst verleben wollte. Letzterer hatte für heute den Unterricht seinem Adjuvanten überlassen, um vor der Abreise seines Bruders diesen noch mit dem Collegen Dreher in dem etwa eine Meile von Bergen entfernt liegenden Hammer bekannt zu machen. Zu diesem Zweck sehen wir die beiden Wanderer auf dem Wege nach Hammer.

Ernst erzählte seinem Bruder, wie Dreher ein ausgezeichneter Lehrer, gleichzeitig aber ein außerordentlich ängstlicher und schüchterner Mensch sei, der sich durch die geringfügigste Kleinigkeit in’s Bockshorn jagen lasse und dadurch schon vielfach Veranlassung zu heitern Scenen gegeben habe. Walter, ein lebensfroher, stets zum Scherzen aufgelegter Mann, hörte aufmerksam zu, und der Plan zu einem kleinen Ulk war bald in seinem Kopfe fertig. Nach R., der Regierungshauptstadt, war vor Kurzem aus einem entfernten Bezirke der Schulrath Bartsch versetzt worden.

„Hat Bartsch schon in Eurer Gegend die Schulen revidirt?“ So fragte Walter im Vorwärtsschreiten seinen Bruder. Als dieser verneinte, fuhr er fort: „Dreher kennt also den neuen Schulrath noch nicht – gut, dann giebt es einen Hauptspaß.“

Walter entwarf nun einen Schlachtplan, und Ernst erklärte sich einverstanden. Wohlgemuth rückten die beiden Brüder in Hammer ein, aus dessen Schule ihnen lauter Gesang der versammelten Schuljugend entgegenschallte.

„Ich bin der Schulrath Bartsch aus R.,“ – so redete der jüngere Rößler den beim Eintritt der beiden Männer in das Schulhaus aus der Schulstube ihnen entgegenkommenden Lehrer Dreher an, der bei diesen Worten ehrerbietig sein Käppchen zog und einen tiefen Bückling machte. „Ich habe,“ fuhr Walter fort, „die Schule in Bergen revidirt und nun zu gleichem Zwecke in Begleitung Ihres Collegen Rößler zu Fuß die kurze Strecke hierher zurückgelegt, da ich des ewigen Fahrens bei meinen Revisionen nachgerade müde geworden bin. Wie lange sind Sie schon auf dieser Stelle, und wie ist dieselbe dotirt?“

Dreher, dem bei der barschen Anrede des Pseudo-Schulraths alles Blut in’s Gesicht gestiegen war, erwiderte mit zitternder Stimme: „Ich bekleide die hiesige Lehrerstelle seit siebenzehn Jahren; das Einkommen derselben beläuft sich außer freier Wohnung und fünf Morgen Ackernutzung auf jährlich hundertundsechszig Thaler.“

„Hm, hm,“ meinte der Schulrath, „ein ganz bedeutendes Einkommen, eine vorzügliche Stelle, und dabei hört man nichts als Klagen über die unauslängliche Dotirung der Landlehrerstellen. Sie müssen ja gewaltige Ersparnisse machen, lieber Dreher.“

„Es reicht gerade zur Noth aus, Herr Schulrath,“ wagte Dreher einzuwenden. „Wenn man Frau und vier Kinder hat, so ist an’s Sparen nicht zu denken.“

„Also schon verheirathet,“ fuhr ihn der Schulrath stirnrunzelnd

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_782.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)