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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


für Liebe genommen, nicht eine ganz gewöhnliche, ganz nichtssagende Galanterie sein, die er jedem jungen Mädchen widmete? Hatte sie nicht wahrgenommen, daß auch Paula sich seiner Aufmerksamkeit zu erfreuen gehabt, und hatte ihr Onkel ihr nicht lächelnd erzählt, daß er die Sorge für seine Mündel bald in andere Hände niederzulegen hoffe? Und sie hatte so thörichte Gedanken gehegt – Gedanken, die hoffentlich Niemand ahnte, die sie selbst sich kaum eingestehen mochte.

Solche Gedanken beschäftigten sie auch wieder, als sie jetzt am Fenster ihres Wohnzimmers stand und in den regengrauen Morgen hinausblickte. Die Landschaft rings umher war wie in grauen Schleier gehüllt; kein Ton, als das Rauschen der Bäume im Winde und das monotone Tropfen des Regens auf den Fensterbrettern ließ sich hören. Eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich des jungen Mädchens. Es schien ihr, als sei das vor ihr liegende Leben schal und geschmacklos und der Mühe nicht werth, es zu durchleben. Dabei hatte sie Niemand, bei dem sie Trost suchen konnte – Niemand, von dem sie voraussetzen durfte, daß er eine innigere Theilnahme für sie hege.

Die Wehmuth wollte sie übermannen, aber sie kämpfte sie tapfer nieder. Entschlossen trat sie vom Fenster zurück – sie wollte arbeiten – sich beschäftigen. Sie fühlte dunkel, daß Arbeit der beste Tröster aller kummerbeladenen Seelen ist. – Aber wem schaffte ihre Arbeit Nutzen? Wenn sie einen Menschen hätte, für den sie sorgen könnte, für den sie nothwendig wäre! Anfangs hatte sie gehofft, sie werde sich ihrem Onkel nützlich machen können, aber sie hatte in seinem ganzen Haushalte keine Lücke entdecken können – die Dienerschaft war reichlich und wohlgeschult; sie war hier, wie überall, entbehrlich.

Es klopfte an ihrer Thür – man rief sie zum Frühstücke hinab. Hastig trat sie in ihr Schlafzimmer, um ihr in Unordnung gerathenes Haar zu glätten. Als sie in den Spiegel blickte, erschrak sie über ihr bleiches Gesicht, aber Niemand würde diese Veränderung bemerken, dachte sie, Niemand sich darüber beunruhigen.

Ihr Onkel hatte bereits am Tische Platz genommen als sie in’s Frühstückszimmer trat, und nickte ihr, von seinem Teller aufblickend, einen guten Morgen zu.

„Komm’, Kind!“ sagte er, „ich habe nicht Zeit, lange zu warten. Es wird bereits eingespannt, denn ich muß zu Reinhard und nach Elmsleben. Voraussichtlich werde ich in der Stadt lange aufgehalten werden – ich dürfte kaum vor Abend zurückkehren. Wenn Du willst, kannst Du mitkommen; ich habe ein paar bekannte Familien in der Stadt, bei welchen Du Deine Besuche machen kannst.“

„Ich danke, Onkel, ich möchte lieber zu Hause bleiben.“

„Auch gut – handle ganz nach Deinem Belieben! – Reich’ mir Dein Glas herüber! Du willst nicht Wein? Seltsamer Geschmack das! Dann nimm wenigstens ein Stück von diesem Rebhuhn! Auch keinen Appetit? Den Henker auch – Euch Mädchen lernt kein vernünftiger Mensch verstehen. Da lobe ich mir einen Jungen. Der würde hier in’s Geschirr gehen, daß es eine Freude wäre.“

„Es thut mir leid, Onkel, daß ich Dir diese Freude nicht machen kann,“ sagte Hanna lächelnd.

„Was issest Du denn eigentlich gern – Kuchen, Confitüren? Dort liegt mein Taschenbuch – notire mir’s! Dann bringe ich Dir was Du wünschest mit.“

„Du bist sehr freundlich, lieber Onkel, aber ich mache mir nicht viel aus Süßigkeiten.“

„Nun, wie Du willst. – Laß’ Dir übrigens die Zeit nicht lang werden, wenn ich fort bin! Vielleicht wird Fräulein Reinhard später kommen, das heißt, wenn es uns gelingt, sie zum Fortgehen zu bewegen. Ich fürchte, die Fabrik ist kein sicherer Aufenthaltsort mehr für sie.“

„Was sagst Du, Onkel?“ fragte Hanna mit bleichem Gesichte.

„Nun, zum Erschrecken und Bleichwerden ist gerade noch kein Grund vorhanden,“ sagte Kayser einlenkend. „Reinhard hat die besten Aussichten, wenn seine Lage jetzt auch etwas prekär ist. In einigen Tagen wird er hoffentlich aus allen Sorgen sein. Es wäre ein Glück sowohl für ihn, wie für unseren flotten Junker, wenn zwischen den Beiden erst Alles klar wäre.“

„Du glaubst also, Onkel, daß sie eine ernste Neigung für einander fühlen?“

„Neigung? – Nun, warum sollten sie nicht? Wenigstens scheint eine solche von ihrer Seite vorhanden zu sein, und nach meiner Erfahrung ist dies die Hauptsache. Denn wenn eine Frau Neigung für einen Mann empfindet, oder, was für den Erfolg gleichbedeutend ist, doch wenigstens Neigung, ihn zu heirathen, so wird sich die Sache viel leichter machen, als im umgekehrten Falle. Steht bei ihr erst fest: dieser soll es sein – dann geht sie mit einer Ausdauer und einer Verschlagenheit zu Werke, daß sie in neunundneunzig unter hundert Fällen das Wild stellen wird – darauf kannst Du Dich verlassen. – Bitte, sei so gut mir den Käse herüber zu reichen! – Nun, was sagst Du?“

„Du magst Recht haben, Onkel – es mag solche Frauen geben. Aber einige Ausnahmen wirst Du doch auch kennen gelernt haben?“

Diese Frage, verbunden mit dem Blicke, der sie begleitete, frappirte ihn augenscheinlich. Vielleicht regte sich sein Gewissen beim Anblicke des holden unschuldigen Gesichtes ihm gegenüber, vielleicht auch tauchte das Bild seiner liebenswürdigen Nachbarin vor den Augen seines Geistes auf.

„Nun, einige Ausnahmen mag es wohl geben,“ sagte er einlenkend, „und Du bist eine solche, wie ich glaube. Aber ich möchte wetten, daß Du in die Dreißig kommen wirst, ohne einen Mann zu bekommen. Fräulein Reinhard ist auch von der Sorte, und sie liefert gleichfalls einen Beleg für meine Behauptung. – Unser Junker Paul ist dagegen anderer Art – der weiß, was er will. Keck zugreifen, ohne lange Zeit zur Besinnung zu lassen, das ist bei ihm die Losung. Und damit kommt er zum Zweck – wir werden es erleben.“

„Und Du glaubst, Onkel, daß sie mit einander glücklich leben werden?“

„Gewiß glaube ich das, denn Reinhard ist ein verständiger Mann, der die Welt kennt und nichts Unmögliches verlangt. Und was sie betrifft, so muß sie sich sagen, daß sie einen Mann braucht, der sie ein Bischen in Ordnung hält. Außerdem binden solide Interessen fester und dauerhafter, als Neigung, Liebe und Sympathie oder wie alle diese Dinge heißen mögen.“

Hier entstand eine kleine Pause im Gespräch, während welcher Kayser sich sein letztes Glas Wein einschenkte. Als er es austrank, blickte er zu seiner Nichte hinüber und sah ihre Augen auf sich gerichtet. Vielleicht war es die Wirkung dieses Blickes, die ihn wieder einlenken machte.

„Ich bin durchaus nicht der Mann, der diese Regungen wegleugnen oder gar verdammen will,“ sagte er. „Aber heut’ zu Tage kommt ein Mann selten dazu, den Gegenstand seiner Anbetung zu heirathen, und wenn er es thut, dann gelangt er oft zu spät zu der Einsicht, daß Geld zu einer glücklichen Ehe nöthiger ist, als Liebe.“

Er hatte sein Frühstück beendet und stand auf.

(Fortsetzung folgt.)




Der Walter Scott Schwabens.
Von Schmidt-Weißenfels.

„Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod.“ Der dieses volksthümliche Lied sang, sah es an sich selbst erfüllt. Am 18. November 1827 starb zu Stuttgart Wilhelm Hauff (geboren am 29. November 1802) noch nicht fünfundzwanzig Jahre alt. In so jugendlicher Blüthe raffte der Tod ihn jählings dahin, als er eben erst die geistige Sprühkraft seines Lebens zu äußern begonnen. Sein Name erstrahlte eben zu einem Sterne dichterischen Ruhmes, das deutsche Volk aber begann zu ihm aufzuschauen wie zu einem Liebling, dem herrliche Hoffnungen winken. Alle diese Hoffnungen sanken mit ihm in’s Grab.

Fünfzig Jahre sind nun verflossen, und noch immer strahlt in keuschem Glanze sein Name, noch immer ist er einer der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_772.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)