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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


wie man so bald ein zweites nicht findet, liegt für Sie da, Sie dürfen nur die Hand ausstrecken, sich nur danach bücken – und Sie können auch nur einen Augenblick zögern, zuzugreifen?“

„Aber, lieber Freund, was muthen Sie mir zu!“ sagte Max ungeduldig. „Sie können doch nicht von mir verlangen, daß ich so alles Zartgefühl verleugnen soll, einer Dame einen Antrag zu machen nach einer so flüchtigen Bekanntschaft. Ein Heirathsantrag ohne vorhergegangene Werbung! Ebenso gut könnte ich Ihrer Mündel die Pistole auf die Brust setzen und das Leben oder die Börse fordern.“

„Zartgefühl! Werbung!“ sagte Kayser, die Unterlippe vorstreckend. „Wenn ich Ihnen aber sage, daß man Ihnen dergleichen subtile Präliminarien gern erläßt?“

„Ich aber kann sie mir nicht erlassen. Die Achtung, die ich mir selbst und meiner künftigen Gattin schuldig bin, würde mich von einer solchen Brutalität zurückhalten.“

„Schön gesagt! Wenn ich ihr diese Worte wiederhole, so ist die Eroberung noch sicherer, als sie jetzt schon ist. – Sie sind der stolzeste, unbeugsamste Bursche, den ich gesehen habe. Auch nicht das kleinste Zugeständniß kann man Ihnen abpressen. Ich glaube, wenn ich das schönste Gut der Gegend und noch so ein Hunderttausend dazu Ihnen entgegentrüge, Sie würden sich besinnen, sie mir abzunehmen.“

„Wer weiß?“ sagte Max lachend. „Wenn Sie der Geber sind, würde sich mein Zartgefühl vielleicht weniger sträuben.“

„So? Nun, wir wollen sehen, was sich machen läßt. – Adieu, mein Junge! Es bleibt bei unserer Verabredung.“

„Natürlich,“ sagte Max, ihn bis zur Thür begleitend.

Kayser’s Schritte waren kaum auf den Steinplatten des Hofes verhallt, als Kramer eintrat mit der Nachricht, daß eine Deputation der Arbeiter draußen stehe, welche bitte, vorgelassen zu werden.

„Es sind einige der besseren Leute darunter,“ fuhr Kramer in seinem Berichte fort, „vielleicht haben sie die Absicht, einzulenken. Sie mögen erfahren haben, daß Hülfe im Anzuge ist, und wollen versuchen, was noch von Ihnen in der letzten Stunde zu erpressen ist. Was werden Sie thun, Herr Hauptmann?“

„Meine Pflicht, Kramer – unter allen Umständen: meine Pflicht! Wenn ich es mit derselben hätte vereinbaren können, bei den jetzigen Zeitläuften eine Zulage zu bewilligen, so hätte ich es nicht bis zum Aeußersten kommen lassen. – Laß die Leute eintreten!“

„Aber ich werde auch dabei bleiben, Herr. Es sind einige Gesichter dabei, die mir nicht recht gefallen wollen.“

Durch die geöffnete Thür traten fünf Arbeiter in’s Zimmer, die mit der Mütze in der Hand in einiger Entfernung von Reinhard sich aufstellten. Zwei davon waren Männer, denen man es ansah, daß sie ihr Lebelang hart gearbeitet hatten, gebeugte Gestalten, auf deren sorgendurchfurchten Gesichtern es zu lesen stand, daß ihnen die Noth des Lebens nicht fremd geblieben war. Die anderen Drei waren von anderem Schlage – kecke Gesellen mit hochgetragenem Kopfe und trotzig blickenden Augen.

„Guten Morgen, Leute!“ sagte Max, mit seiner tiefen, klangvollen Stimme ihren leisen Gruß erwidernd. „Ihr wollt mich sprechen? Was wünscht Ihr von mir?“

Einer der Männer, den man augenscheinlich schon vorher zum Sprecher gewählt hatte, trat vor, und als er vor seinem Herrn stand in einer Bewegung, die ihn einige Minuten lang am Sprechen hinderte, die arbeitsharten Hände, in denen er unentschlossen seine Mütze drehte, zitternd in der Aufregung der ungewohnten Situation – da fühlte Max trotz des Conflictes, der zwischen ihm und jenen Männern herrschte, daß ein aufrichtiges Wohlwollen, der herzliche Wunsch, ihr schweres Leben ihnen leichter gestalten zu können, in seiner Brust sich lebhafter, als je zuvor, regte.

„Sprecht, Laßmann! Was habt Ihr mir zu sagen?“ fragte er, und sein Ton klang unter der Einwirkung jenes Gefühls weicher und freundlicher, als vorher. „Es ist ein guter Gedanke, daß Ihr gekommen seid, Ihr, den ich als einen meiner fleißigsten und zuverlässigsten Arbeiter kenne und schätze.“

„Ich danke Ihnen, Herr, daß Sie das sagen,“ antwortete der Mann tief Athem schöpfend. „Aber mein Fleiß hat mir nichts geholfen, Herr. Seit Monaten führe ich ein elendes Leben – es fehlt an Allem, und doch habe ich, wie Sie selbst sagen, fleißig gearbeitet.“

„Sprecht aufrichtig, Laßmann,“ sagte Max ernst, aber nicht unfreundlich, „könnt Ihr wirklich Eure Noth den niedrigen Löhnen schuld geben, die ich, wie Ihr behauptet, zahle?“

Es entstand eine Pause nach dieser Frage. Die Beantwortung schien dem Manne nicht leicht zu werden; denn ein einfaches Ja wäre eine schnell nachweisbare Unwahrheit gewesen, und gegen das Nein sträubte sich der Wunsch in ihm, aus der Unterredung mit Max einen möglichst großen Vortheil zu ziehen. Während er noch unentschlossen und zögernd dastand, nahm einer seiner Gefährten, einer der schlimmsten Köpfe, das Wort.

„Ein Mann, der fleißig arbeitet,“ sagte er mit heiserer, widerlicher Stimme, „muß, wenn es gerecht in der Welt zugeht, so viel verdienen, wie er und seine Familie braucht.“

„Ich habe nicht Euch aufgefordert, zu sprechen, Chartin,“ sagte Max scharf. „Wartet, bis Ihr gefragt werdet! Es wird auch die Reihe an Euch zu kommen. – Uebrigens ist ‚Brauchen‘ ein sehr relativer Begriff. Wo der Mann kein Säufer, das Weib keine liederliche Herumtreiberin ist und die Kinder zur Ordnung und Arbeit erzogen sind, da wird stets so viel vorhanden sein, wie zum Leben nothwendig ist. Im entgegengesetzten Falle aber – Ihr braucht nicht weit nach einer solchen Wirthschaft zu suchen – da wird die ganze Familie in Elend und Armuth verkommen, ohne daß man den geringen Löhnen die Schuld beimessen darf.“

Er hatte in seiner gewöhnlichen Weise schnell und mit kurzer, scharfer Accentuirung gesprochen. Seine Blicke, kalt und scharf wie Stahl, ruhten auf dem Gesichte des Arbeiters, den er mit dem Namen Chartin angeredet hatte, und der sich unter diesen Blicken augenscheinlich unbehaglich fühlte. Doch fand er bald seine gewöhnliche Unverschämtheit wieder, und während die Anderen unschlüssig zur Erde blickten, trat er plötzlich einige Schritte gegen Max vor und stellte sich ihm herausfordernd gegenüber.

„Derartige Beschuldigungen auszusprechen ist leichter, als sie zu beweisen,“ fing er grob an. Allein ein gebieterisches „Schweigt jetzt!“ seines Herrn und eine kräftige Handbewegung Kramer’s, die ihn wieder in die Reihen seiner Gefährten zurücktrieb, machte ihn plötzlich verstummen. Seine herausfordernde Haltung hatte augenscheinlich die Mißbilligung seiner besser gesinnten Cameraden erregt. Denn ohne auf seinen Zorn, den er deutlich zu erkennen zu geben sich bemühte, zu achten, wandte sich Laßmann wieder bescheiden an Max.

„Sie haben wohl Recht, Herr,“ sagte er, „der Verdienst könnte reichen für eine Familie, wo Jedes an Arbeit gewöhnt ist und wo Alles ordentlich zu Rath gehalten wird. Aber man kann doch auch auf unverschuldete Weise in Elend gerathen. Wenn Zeiten der Krankheit –“

„Da kommt Ihr zu dem richtigen Punkte, Laßmann,“ unterbrach Max die zögernde Anrede des Anderen. „Ihr habt es Euch aber selbst zuzuschreiben, daß Ihr diese bittere Erfahrung gemacht habt. Hättet Ihr meinen Rath befolgt, dann wäre Eure Unterstützungscasse jetzt in dem Zustande, Euch eine wirklich ausreichende Hülfe in Krankheitsfällen zu gewähren. Aber als Ihr meinen Vorschlag verwarft, dachtet Ihr nicht daran, welchen Schaden Ihr Euch selbst zufügtet. Ihr wolltet Opposition gegen mich machen um jeden Preis, selbst um den Eures eigenen Wohls. Das Mißtrauensvotum, das Ihr mir durch Eure Weigerung gabt, habe ich leicht verschmerzen können, denn es war ein ungerechtes. Auf Euer eigenes Haupt aber fallen die Folgen schwer genug. Nun müßt Ihr tragen, was Ihr verschuldet habt; ich kann Euch nicht helfen.“

„Sie sollten uns nicht so fortschicken, Herr,“ nahm jetzt der zweite der besseren Arbeiter, Jürgot, das Wort. „Wir gehören nicht zu denen, die wenig arbeiten wollen und viel Lohn dafür verlangen. Wir wollen nicht eine Verkürzung der Arbeitszeit. Aber Alles wird theurer –“

„Dieses Uebel, Jürgot, trifft mich ebenso, wie Euch.“

„Es mögen auch für Sie harte Zeiten sein, Herr, aber für uns sind sie härter –“

„Darüber kann ich besser urtheilen, als Ihr. Ich zweifele, daß Jemand von Euch mit gleich großen Sorgen zu kämpfen hat wie ich.“

„Wir würden mit einer kleinen Erhöhung des Lohnes zufrieden sein,“ fuhr Jürgot fort.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_770.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)