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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Trotz erheblicher Bedenken, welche aus den finanziellen Verhältnissen der Stadt Weimar sich ergaben, beschloß der Stadtrath den Ankauf des Hauses, „um (wie es in den Acten lautet) unserem deutschen Vaterlande ein bleibendes Andenken an einen seiner größten Dichter zu erhalten, den Weimar seinen Mitbürger nannte“. Der Stadtdirector Hase war es namentlich, welcher diese patriotische Sache mit allem Eifer verfolgte; er glaubte mit Recht, „nicht allein im Sinne aller gebildeten Bewohner Weimars, sondern auch derer unseres deutschen Vaterlandes zu handeln“. Im öffentlichen Verkauf, am 29. Juni 1847, erwarb der Stadtrath für 5025 Thaler das zum Theil baufällige Gebäude und ging sofort an die Wiederherstellung desselben. Außer Reparatur und Schieferdachung des Hauses und der Schaffung einer von Angelika Facius kunstvoll gearbeiteten Medaille, zum Andenken an den Aufenthalt und das Wohnhaus Schiller’s in Weimar (mit der Umschrift: „Ist der Leib in Staub zerfallen, lebt der große Name noch.“), betrieb der Stadtrath die Begründung eines Schiller-Museums durch Sammlung von Schiller-Reliquien in den ehemaligen Wohnräumen des Dichters. Die Verehrer des großen Mannes beeilten sich, die Ausführung dieser sinnigen Idee, zu fördern. Das Hoftheater veranstaltete zum Besten des Schiller-Museums eine Vorstellung der Piccolomini. Ein Kreis von Männern der Wissenschaft vereinigte sich zu Vorlesungen, deren Ertrag zu einer von Hänel’s Meisterhand geschaffenen Marmorbüste Schiller’s verwandt wurde. Frauen und Jungfrauen Weimars übergaben einen prachtvollen, selbstgefertigten Teppich. Frauen und Jungfrauen zu Eisenach, Jena, Apolda, Allstedt, Weida und Dornburg verehrten sechs schön gestickte Sessel mit den Wappen dieser Städte. Die Schüler des Gymnasiums brachten ihre Huldigung in Gestalt eines kostbaren Fremdenbuches dar. Verwandte, Freunde und Verehrer des Dichters widmeten Geräthschaften, Möbeln und sonstige Reliquien aus Schiller’s ehemaligem Haushalte für das Arbeits- und Sterbezimmer, das in seiner damaligen Einfachheit möglichst treu wiederhergestellt werden sollte. Und damit auch eine geistige Huldigung des gesammten Deutschlands vor dem Genius Schiller’s hier sichtbar sei, stiftete die Voigt’sche Buchhandlung ein Schiller-Album, welches in zwei Bänden im Schiller-Hause niedergelegt wurde: etwa zweihundert durch ganz Deutschland gesammelte Blätter mit Namen, Denksprüchen, Dichtungen, Zeichnungen, Compositionen etc. bedeutender Autoritäten zur Feier Schiller’s.

Jetzt stellt sich uns das Schiller-Haus als ein freundlich ausschauendes Wohnhaus in einfach bürgerlichem Style, mit grünen Jalousien versehen, dar. Ueber der schmucklosen Hausthür meldet eine Inschrift: „Hier wohnte Schiller.“ Wir treten ein. Wir werfen einen Blick in den kleinen Hausgarten, in welchem eine Büste Schiller’s in üppigem Grün von Rankengewächsen die Stelle bezeichnet, wo sonst eine vom Dichter zur Ruhe und zum Arbeiten gern benutzte Laube stand; wir steigen an den Zimmern der ersten Etage vorüber, welche jetzt den Zwecken der Schiller-Stiftung dienen, zur zweiten Etage, zu den geweihten Wohnräumen des Dichters empor.

Im ersten Zimmer, das von Schiller einst zum Vor- und Wartezimmer verwandt wurde, finden wir mehrfache Geschenke: Wieland’s Arbeitstisch, die Statuen der Klio und Polyhymnia, die obenerwähnten Sessel etc. und ein Schränkchen mit den Werken Schiller’s ausgestellt.

Das folgende Zimmer, einst das Haupt- oder Empfangszimmer des Dichters, war bis vor Kurzem nur mit Zeichen der Verehrung seiner Freunde und mit Sinnbildern auf Schiller’s Dichtungen ausgestattet. Hiervon ist jetzt noch der Teppich, die schöne Marmorbüste Schiller’s in einer Nische, eine Büste von Major Serre und ein den Dichter Vach dem Leben (1786) darstellendes, vom Großherzog Karl Alexander geschenktes, interessantes Oelbild zu sehen. Im Uebrigen hat man begonnen, auch in diesem Zimmer den Zustand desselben zu Schiller’s Zeit wieder herzustellen; daher die hellbraune Tapete, die grünliche Farbe der Thüreinfassung, der wieder aufgestellte alte Ofen von seltsamer Form, und neben Möbeln im Style jener Zeit ein echtes Tischchen aus dem Nachlasse des Dichters. Für einen Fremden war es in diesen letzten Lebensjahren Schiller’s fast unmöglich, Eingang in dessen Haus und in dieses Empfangszimmer zu finden; Schiller war ein abgesagter Feind aller phrasenhaften Ehrenbezeigungen und Vergötterungen. Um so inniger war sein Verkehr mit seinen intimen Freunden. Ihnen gab er sich unbefangen, rückhaltlos, mit aller Offenheit und Wahrheit hin. Auch hierbei erschien Schiller, nach Goethe’s Zeugniß, im absoluten Besitze einer erhabenen Natur. „Er ist,“ sagt Goethe zu Eckermann, „so groß am Theetische, wie er es im Staatsrathe gewesen sein würde. Nichts genirt ihn, nichts engt ihn ein; nichts zieht den Flug seiner Gedanken herab; was in ihm von großen Ansichten lebt, geht immer frei heraus, ohne Rücksicht und ohne Bedenken. Das war ein rechter Mensch, und so sollte man auch sein.“ –

Besonders liebte es Schiller, seinen Freunden vorzulesen, und wenn er auch nicht eben schön las, da ihn hieran sein etwas hohles Organ und die schwäbische Zunge hinderte, so las er doch mit Feuer und Begeisterung. Mit Harmlosigkeit und Herzlichkeit gab er sich auch fröhlichem Verkehre mit seinen Freunden hin. Zu einem vergnügten Abende bei Schiller gehörten stets einige Flaschen guten Weines. Sein Kalender weist es aus, wie gut bestellt sein Weinkeller war: aus dem November 1802 hat er aber auch die Notiz: „Bremer Portwein, vierzig Bouteillen à zwei Thaler. Schwer Geld.“

Hier ist auch eines andern liebenswürdigen Charakterzuges Schiller’s zu gedenken: seines liebevollen, herzlichen Verkehrs mit der Kinderwelt. Auch hierin glich er seinem großen Freunde Goethe. Es ist bekannt, wie dieser seit seiner Ankunft in Weimar muntern Verkehr mit den Kindern, Eierfeste, Ballspiel etc. liebte, und wie ihm diese Hinneigung noch im hohen Alter eigen war. Mit Stolz erinnert sich meine hochbetagte Mutter noch jetzt, wie Goethe sie einst (als sie, ein kleines Mädchen, zur Aufnahme in die Zeichenschule sich meldete) auf den Schooß genommen, ihr die Wange gestreichelt und sie geküßt hat. So trieb auch Schiller, selbst eine kindliche Natur, gern Spiel mit Kindern. Aus der Jenaer Zeit wußte Griesbach anschaulich zu schildern, wie er oft Schiller mit seinem Söhnchen Karl, Beide auf vier Füßen im Zimmer herumkriechend, „Löwe und Hund“ habe spielen sehen. So war auch in Weimar Schiller am heitersten, wenn er „sein Häuflein beisammen hatte“. Auf seinen Spaziergängen scherzte er gern mit begegnenden oder spielenden Kindern. Aus den Fenstern seines Empfangszimmers ließ er bisweilen an einem Bindfaden seinen Kleinen eine Zugabe zum Frühstücke hinab, welche sie eine Treppe tiefer durch das Fenster in Empfang nahmen. Nachbarn beobachteten aber auch, daß Schiller fremden Kindern mittelst eines Körbchens am Bindfaden Leckereien zur Straße hinabließ.

Doch treten wir nun in das folgende kleine Eckzimmer, in das Heiligste des Hauses ein: Schiller’s Arbeits- und Sterbezimmer. Es ist leider nicht, wie Goethe’s Arbeitszimmer, in demselben Zustande geblieben, wie es in dem Augenblicke war, da sein Bewohner aus dem Leben schied, aber man hat Alles aufgeboten, den damaligen Zustand wiederherzustellen. Die hellgrüne Tapete mit blauen runden Tupfen ist nach einem aufgefundenen alten Stücke erneuert worden; sie ist stark arsenikhaltig, und wenn die alte Tapete gleich giftig gewesen, würde der unglückliche Verlauf der Krankheit unseres Dichters um so begreiflicher sein. Ueber den drei Fenstern des Eckzimmers, welche ihm die Aussicht auf die Baumreihen der Esplanade boten, hängen kleine karmoisinrothe Vorhänge, wie sie Schiller für seine Augen liebte. Der Lehnstuhl Schiller’s (früher im Schlosse zu Weimar aufbewahrt, Geschenk der Großherzogin Maria Paulowna hierher), der alte Ofen und Ofenschirm, an den Wänden die mittelmäßigen italienischen Landschaften, die einst das Zimmer des Dichters geschmückt, ein Bild von Schiller’s Gattin, das alte kleine Clavier Schiller’s, darauf die Guitarre, auf welcher er sich von seiner Frau und seiner Schwägerin so gern vorspielen ließ, darüber der kleine Spiegel und zwei Bleistiftzeichnungen (sein Gartenhaus in Jena und dieses sein Haus unter den Bäumen der Esplanade darstellend), ein Tischchen, darauf zwei Leuchter, eine Tasse, ein Waschbecken, eine Tabaksdose Schiller’s etc. – sie sind die treue und echte Reproduction der ehemaligen Ausstattung des Arbeitszimmers. Nur der Wandschrank enthält manche interessante Reliquien, welche der ehemaligen Zimmerausstattung nicht angehören: die drei Schlüssel zum vormaligen Cassengewölbe, der ersten Begräbnißstätte Schiller’s, einen Gypsabguß von Schiller’s Schädel, vom Bildhauer Hütter in Weimar verehrt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_758.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)