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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Besitzer auch zum Nachtlager dienen zu können, bildeten die ganze Einrichtung. In diesem Zimmer hatte Max schon manche Nacht zugebracht und von Stunde zu Stunde einen Rundgang um die Gebäude gemacht, sorgenvoll ausschauend, ob ein rother Schein an den Fenstern der Weberei oder eine züngelnde Flamme auf der Dachfirst des Magazins seinem Sorgen und Bangen nicht etwa mit einem Schlage ein Ende machen und ihn zwingen würde, sich als Besiegter von dem bis dahin muthvoll behaupteten Kampfplatze zurückzuziehen.

Draußen hatte die Feierabendglocke eben geläutet, und die Arbeiter strömten aus den verschiedenen Räumen dem großen Thore zu. Es war nicht zu verkennen, daß die Menge heute aufgeregter und tumultuarischer in’s Freie drängte, als je vorher. Die Verhaftung derjenigen, welche man der Zertrümmerung der Maschinen für verdächtig hielt, hatte augenscheinlich erbittert und zugleich überrascht. Man hatte gehofft, daß Max, eingedenk der ihm zugegangenen anonymen Drohbriefe, zu dieser Maßregel nicht schreiten würde. Nun aber hatte man sich überzeugen müssen, daß der Streich, den man gegen ihn geführt, schwer auf die Häupter der Schuldigen zurückgefallen war. Noch freilich waren die Folgen dieser Thatsachen nicht zu ermessen. Max wußte nicht, ob er hoffen dürfe, daß den Leuten die Augen über die Ungesetzlichkeit ihres Thuns geöffnet worden wären, oder ob sie sich durch die Aufreizungen einiger Böswilligen zu ferneren Gewaltthätigkeiten würden hinreißen lassen. Es ließ sich nicht verkennen, daß ein Theil der Arbeiter, diejenigen, die er als ruhige und gesetzte Männer kennen gelernt hatte, zu Geduld und Ausharren rieth, aber er wußte wohl, daß sie in der Minderzahl waren. Ihnen gegenüber stand eine gereizte Menge – eine Menge, die nicht nur den alten socialen Kampf des Arbeiters gegen den Arbeitgeber mit ihm kämpfte, sondern in welcher auch der religiöse und politische Fanatismus durch jedes sich darbietende Mittel gewissenlos erregt worden war. Er verschloß die Augen nicht gegen die Gefahren, welche ihn umringten und durch das heute Geschehene ihm möglicherweise näher gerückt worden waren, als je zuvor.

Durch den Eintritt Kramer’s wurde er in seinen Gedanken unterbrochen. Dieser hatte die Arbeiter entlassen und kam, um von seinem Gebieter die Befehle für den morgenden Tag einzuholen. Er und Jantzen waren die Einzigen, auf welche Max mit Sicherheit rechnen konnte. Beide hatten ihn begleitet, als er die Heimath verlassen, um sich in dem neuen Reichslande einen Heerd zu gründen. Kramer namentlich hatte schon seit manchem Jahre ihm und seiner Familie treue Dienste geleistet. Schon bei seinem Vater, als dieser noch nicht pensionirt worden, war Kramer Officierbursche gewesen, und ihm gefolgt, als er den Abschied genommen und sich mit seiner Pension als Oberst auf eine kleine ländliche Besitzung zurückgezogen hatte. Nach dem Tode des Herrn ging Kramer’s Liebe auf dessen Kinder über. Er hatte jede Sorge mit ihnen getragen, und jeder Kummer, der sie traf, fand ein Verständniß in der Seele des treuen Menschen. Auch heute trug seine Stirn dieselbe Sorgenfalte, die man auf der seines Herrn bemerken konnte.

„Sie sind fort, Herr Hauptmann,“ sagte er neben der Thür stehen bleibend und scharf in das Gesicht Reinhard’s blickend, „Alle sind ruhig fortgegangen. Ich hoffe, sie werden zum Nachdenken gekommen sein – wenigstens wird der größere Theil von ihnen sich scheuen, eine neue Gewaltthat zu unternehmen.“

„Wir wollen dennoch keine Vorsicht versäumen, Kramer. Wenn die neuen Stühle ankommen – ich habe Nachricht erhalten, daß sie bereits abgegangen sind – gedenke ich sie mit militärischer Bedeckung herbringen zu lassen. Bis dahin können wir nichts Anderes thun, als scharfe Wache halten. – Uebrigens ist eine Gewaltthat nicht gerade das, was ich jetzt fürchte. Mir scheint Arbeitseinstellung wahrscheinlicher.“

„Dadurch thäten die Leute sich selbst mehr Schaden, als Ihnen. Wovon sollen sie leben, wenn der Lohn aufhört?“

„Ich fürchte, Kramer, sie würden es länger aushalten können, als ich. Meinst Du, sie werden es sich nicht ungefähr ausgerechnet haben, um wieviel jeder arbeitslose Tag mich ärmer machen würde? Sie wissen es ganz gut, daß bei jetzigen Zeitläuften nicht eben viel dazu gehört, mich zu ruiniren. Daß aber dies das Ziel ist, dem sie nachstreben, davon bin ich überzeugt.“

„Es wird ihnen aber nicht gelingen. So niederträchtig kann es in der Welt nicht zugehen, daß eine gerechte Sache unterliegen soll.“

„Es ist schon manche gerechte Sache in dieser Welt gescheitert, mein armer Bursche,“ sagte Max mit schwachem Lächeln.

„Aber nicht, wenn man sie auf die richtige Weise angreift, wie Sie es thun,“ entgegnete Kramer hartnäckig. „Sie haben den richtigen Kopf dazu, Ihr Stück durchzusetzen. An Muth fehlt es Ihnen auch nicht, und was das Geld betrifft –“

„Ja, das ist der schwierige Punkt,“ sagte Max lachend, „das ist die Stelle, wo ich sterblich bin.“

„O, darüber bin ich außer Sorgen. Ich weiß, daß der Herr Oberst Ihnen ein hübsches Vermögen hinterlassen hat.“

„Du weißt aber auch, mein Alter, daß dieses hübsche Vermögen in der Fabrik steckt. Das ist in diesem Augenblicke eben keine sichere Capitalanlage, wie Du gestehen mußt.“

„Ihr Magazin liegt voll werthvoller Tuche – es wird einen hübschen Haufen Geld geben, wenn Sie die erst verkaufen können.“

„Die Sache ist aber eben: ich kann sie nicht verkaufen. Mache Dir keine Illusionen, mein lieber Freund! Du mußt es in’s Auge zu fassen und zu tragen versuchen: wenn es mir nicht bald gelingt, meiner Waare einen Markt zu eröffnen, dann bin ich unrettbar ruinirt, auch selbst ohne Arbeitseinstellung. Der Unterschied wäre einzig der, daß ich mich bei ruhigem Fortbetrieb der Fabrik länger halten könnte und folglich mehr Aussicht hätte, den günstigen Zeitpunkt abwarten zu können.“

„Und er wird nicht lange auf sich warten lassen – das prophezeie ich,“ rief Kramer.

„Wir wollen es hoffen – möglich ist es allerdings. Ich habe so viel Schritte gethan, Absatz für meine Tuche zu finden, daß ich kaum fürchten darf, es werden alle versagen. Ich habe mich an alte, treue Cameraden meines Vaters gewandt, die mir in der hervorragenden Stellung, welche sie jetzt einnehmen, von bedeutendem Nutzen sein können. Ob sie es aber wollen werden, ist immerhin sehr fraglich.“

„Nun, und wenn sie es nicht thäten, dann wäre es auch noch nicht das Aergste. Ich weiß noch ein Mittel, das ganz gewiß helfen wird.“

„Und das wäre, Kramer?“

„Eine reiche Frau, Herr Hauptmann.“

„Hast Du mir schon eine ausgesucht, mein Junge?“

„Thun Sie das nur selbst, Herr! Wenn Sie ernstlich wollten, könnte es Ihnen gar nicht fehlen.“

„Wer weiß? Nicht alle Menschen sehen in Deinem Herrn einen so fehlerlosen Helden, wie Du.“

„Ein Herr, wie Sie, Herr Hauptmann, kann dreist überall anklopfen. Wäre ich an Ihrer Stelle, dann wäre die Beste noch kaum gut genug für mich.“

„Du bist ein unverschämter Bursche, Kramer.“

„Ich würde sie Alle hinter mir herlaufen machen und mich um Gotteswillen bitten lassen, sie zu nehmen.“

„Alle, Kramer? Du liederlicher Don Juan, Du!“

„Dann würde ich mir die Reichste aussuchen; die, welche mir haufenweise Gold zubrächte, und dann –“

„Schäme Dich, Du geiziger, geldgieriger Mensch! Und nun scheere Dich hinaus, schließe das Thor und lege die Eisenstange vor! Ich muß nach Hause; Marie hat schon zweimal nach mir geschickt.“

„Ich gehe schon. Aber die Sache mit der Heirath sollten der Herr Hauptmann allen Ernstes in Erwägung ziehen. Wie viele Männer, die nicht zur Hälfte das waren, was Sie sind, haben reiche Partien gemacht und sind mit einem Schlage aus aller Noth und Sorge herausgekommen.“

„Weißt Du auch, Kramer, daß Du mich da zu einer ganz gemeinen That überreden willst?“ fragte Max ernster, als bisher.

„Gar nicht, Herr Hauptmann. Im Gegentheil, eine gute und menschenfreundliche That ist es. Die Welt ist voll hübscher und reicher Mädchen, die alle –“

„Die alle stille sitzen und auf dieses Prachtstück der Schöpfung warten, das Du Deinen Herrn nennst, he?“

„Die alle einen hübschen Preis zahlen möchten für einen guten und hübschen Mann, wie Sie sind.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_747.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)