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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Daß sie sich in das Unvermeidliche fügen soll.“

„Sie werden Ihren beiden Tanten, der verwittweten sowohl wie der jungfräulichen, das Herz brechen.“

„Für Tante Siddy stehe ich ein; die gehört zu den Bekehrten. Schüttle nicht den Kopf, Tantchen! – Nun aber habe ich mein letztes Wort in dieser Angelegenheit gesprochen. Ich habe meinen Willen kund gethan, und es wird Euch Beiden bekannt sein, daß es nicht leicht ist, ihn zu durchkreuzen.“

„Ich gedenke es auch durchaus nicht zu thun,“ sagte Kayser, „und Tante Sidonie wird meinem Beispiele folgen, wenn ich ihr sage, daß ihr in der Person des langen Preußen ein Rächer auferstanden zu sein scheint. Es wird eine interessante Sache sein, die Ehe der Beiden aus sicherer Ferne zu beobachten. Wenn die beiden Eisenköpfe an einander rennen, wird’s Funken geben.“

„Und die werden das Haus in Brand stecken,“ ergänzte Tante Sidonie.

„Sorgt Euch nicht, Kinderchen!“ lachte die junge Erbin. „Mit dem Gatten meiner Wahl werde ich schon zurecht kommen. Und sollte es hin und wieder in unserer Ehe auch ein Bischen stürmen – das wird unserem Glücke keinen Eintrag thun.“

„Sie sind im Irrthum, Junker Paul. Der läßt sich nichts abtrotzen. Der hält die Zügel so fest in der Hand, daß dagegen kein Schütteln und Ausschlagen helfen wird. Ich prophezeie Ihnen, daß Sie nach Verlauf weniger Wochen fromm wie ein Lamm im Geschirr gehen.“

„Es soll Ihnen nicht gelingen, mir meinen Nachbar zu verleiden, selbst durch Ihre abscheulichen Vergleiche nicht. Ich habe so lange ein unumschränktes Regiment geführt, daß ich mich ordentlich danach sehne, meine Herrschaft niederzulegen. Allerdings kommt es sehr darauf an, welchen Händen ich sie übergebe. Wenn es eine feste, starke Hand ist, dann werde ich die Erste sein, die sich ihrer Autorität beugt.“

„Zwei harte Steine mahlen nicht gut – das ist ein altes wahres Wort,“ sagte Tante Siddy warnend.

„Tantchen, verzeih’ – aber Du verstehst wirklich von der Sache nichts; wenigstens hast Du schon vergessen, wie Du ehemals darüber gedacht hast. Wäre dies nicht der Fall, dann müßtest Du wissen, daß wir Frauen eigentlich nichts Besseres erlangen, als uns zu fügen. Was meinen Sie, Fräulein Hanna? Würde es Ihnen schwer werden, sich einem fremden Willen zu unterwerfen?“

„Wenn der Wille ein guter und gerechter ist, nein.“

Paula hatte während dieses Gespräches von den mitgebrachten Blumen die schönsten ausgewählt und einen großen Strauß daraus gewunden. Sie legte ihn jetzt auf Hanna’s Schooß und blieb, sie betrachtend, vor ihr stehen.“

„Sie sieht blaß aus, Herr Kayser,“ sagte sie. „Ich hoffe, Sie sorgen gut für sie. Essen und Trinken allein thut’s nicht; es gehört auch Abwechselung und Zerstreuung und vor allen Dingen Bewegung in der frischen Luft dazu. Wenn Sie ein Reitpferd wünschen, so sagen Sie es mir, Fräulein Hanna; ich werde dafür sorgen, daß Ihr Oheim Ihnen eins kauft.“

„Das würde mir nichts helfen; ich verstehe nicht zu reiten,“ antwortete Hanna.

„Das läßt sich lernen – ich werde Ihr Lehrer sein. Wir wollen gute Cameradschaft halten und zusammen durch Felder und Wälder streifen. Würden Sie sich ängstigen, mit mir im Ponywagen zu fahren?“

„Durchaus nicht; ich thäte es sehr gern.“

„Das freut mich. Wir wollen hübsche Exkursionen unternehmen. Vielleicht gelingt es mir, aus der zarten kleinen Prinzessin Hanna einen flotten Junker Hans zu machen.“

„Dagegen lege ich mein Veto ein,“ sagte Kayser. „Wir haben an einem Exemplar dieser Species völlig genug.“

„Und außerdem hat unser neuer Herr Nachbar dafür gesorgt, daß von einem Herumstreifen durch Flur und Wald gar nicht die Rede sein kann,“ fügte Tante Sidonie hinzu. „Er hat durch seine Maßregeln die ganze Gegend so in Aufruhr gebracht, daß man im eigenen Hause seines Lebens kaum mehr sicher ist.“

„Welche Beschuldigung, Tante! Du gehst mit Gerechtigkeit und Wahrheit nicht sehr gewissenhaft um, wenn es darauf ankommt, einem ‚verhaßten Prüssien‘ eine Schuld aufzubürden. Seine Maßregeln sollen den Aufruhr und die Widersetzlichkeit veranlaßt haben? Ich denke, wir Alle wissen, daß Widersetzlichkeit und Unzufriedenheit schon da waren, ehe Herr Reinhard, um sich zu schützen, zu gewissen Maßregeln seine Zuflucht nehmen mußte. Man hat ihm seine Maschinen zertrümmert – sollte er vielleicht ruhig abwarten, bis man ihm auch Haus und Fabrik zerstört?“

„Wie Du gleich auffährst! Ein Wort gegen diese Eindringlinge ist genug, Dich in Harnisch zu bringen.“

„Jede Ungerechtigkeit erregt meinen Zorn. – Du wählst gerade das rechte Mittel, Tante, mich zu doppelter Freundlichkeit gegen Herrn Reinhard zu veranlassen. Ich werde mich genöthigt sehen, ihn für Deine Ungerechtigkeit zu entschädigen.“

„So ist’s recht, Junker Paul,“ sagte Kayser, der mit sichtlichem Behagen dem Wortwechsel zugehört hatte, „so ist’s recht. Für seine Freunde muß man, wenn es noth thut, auch eine Lanze brechen können. Im Uebrigen hat Tante Sidonie so unrecht nicht. Der eisenköpfige Bursche hätte durch ein wenig Nachgiebigkeit den ganzen Streit beilegen können.“

„Ich glaube es nicht. Denn die wahre Ursache sind nicht die niedrigen Löhne – sie sind nicht niedriger, als sie früher gewesen sind – sondern der Mann selbst. Man will ihn beseitigen – das muß jeder Unparteiische einsehen. Ich würde ihn weniger achten, wenn er anders gehandelt hätte. Jeder gewissenhafte, gerechte Mann müßte ihn unterstützen, leider aber giebt es deren wenig genug. Jedenfalls soll er an mir eine treue Nachbarin finden, die ihm jeden Beistand leistet, der in ihren Kräften steht.“

Sie hatte lebhaft und mit blitzenden Augen gesprochen und nicht wahrgenommen, daß der alte Diener eingetreten war, um ihr eine Karte zu überreichen. Ueber ihr Gesicht ergoß sich eine tiefe Röthe, als sie den Namen darauf las.

„Herr Reinhard,“ sagte sie, während eine Verwirrung, die ihrem sicheren, selbstbewußten Wesen sonst fremd war, sich ihrer bemächtigte. „Wir werden ihn natürlich empfangen. – Jean, er wird uns sehr angenehm sein.“

Paula’s Gemüthsbewegung war weder ihrem Vormunde, noch ihrer Tante entgangen. Wenn sie aber Ersteren mit Genugthuung erfüllte als Zeichen eines tieferen Interesses, welches ihm eine Erfüllung seines Wunsches in Aussicht zu stellen schien, so raubte sie der armen Tante Sidonie beinahe die Fassung.

„Das ist zu arg, Paula, wirklich zu arg. Erst gestern bist Du nach Hause gekommen, und schon im Einverständniß mit diesem Manne! Ohne Aufmunterung von Deiner Seite hätte er diesen Schritt nicht gewagt.“

„Ich verschmähe es, auf Deine unwürdige Beschuldigung zu antworten,“ entgegnete das junge Mädchen, das jetzt seine Fassung wieder erlangt hatte, „aber ich erlaube mir, Dich zu erinnern, daß ich für Herrn Reinhard – möge Deine Ansicht von ihm sein, wie sie wolle! – in meinem Hause einen höflichen und rücksichtsvollen Empfang erwarte.“

Noch während sie sprach, hörte man die Schritte des Gastes im Nebenzimmer. Dann öffnete Jean die Thür, und der Erwartete trat über die Schwelle.




8.

Selbst Tante Sidonie mußte sich widerwillig gestehen, daß sein Eintritt in durchaus gentlemanischer Weise geschah. In Max Reinhard’s Erscheinung lag ein Etwas, das ihm alle Frauen geneigt machte. Es war dies nicht die Folge seines hübschen, männlichen Gesichts und seiner hohen ebenmäßigen Gestalt, wenigstens war es dies nicht allein. Es lag auch in seinem Auftreten eine so ernste, ruhige Würde und in seinem Lächeln soviel freundliche Milde, daß man einen ganzen und rechten Mann in ihm erkannte, stark genug, die Schwächen anderer Leute mit Nachsicht zu tragen. Man ahnte, daß hinter der feinen, weltmännischen Höflichkeit, die er den Frauen widmete, sich ein Gefühl wirklicher Achtung barg, die ihn stets die richtige Mitte treffen ließ zwischen frivoler Galanterie und brutaler Vernachlässigung. Auch Tante Sidonie mußte dies erkannt haben; denn als er vor ihr stand, mit dem Hute in der Hand, das edle, ernste Haupt achtungsvoll gebeugt, da verlor ihr Gesicht den Ausdruck gezwungener Höflichkeit und nahm den einer aufrichtigen Freundlichkeit an. Freilich ging dieser durch die sieghafte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_730.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)