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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Junker Paul.
Erzählung von Hans Warring.
(Fortsetzung.)
7.

Tante Sidonie hatte ihre gewöhnliche Taktik befolgt: sie hatte sich nach vorausgegangenem heftigem Sträuben dem Willen ihrer Nichte unterworfen. Der häusliche Zwist war auch heute so verlaufen, wie es stets geschah. Nachdem er mit einiger Heftigkeit auf beiden Seiten begonnen hatte, endete er mit einem muthwilligen Lachen der Nichte und mit thränenreicher Unterwerfung der Tante.

So kam es, daß nach Verlauf einer halben Stunde im Frühstückszimmer zu Fleurmont der Tisch den Anordnungen der jungen Besitzerin gemäß servirt war und daß Tante Sidonie im Spitzenhäubchen mit blauen Bändern und einer über ihr dunkeles Seidenkleid gebundenen weiten Wirthschaftsschürze unter Assistenz eines alten Dieners damit beschäftigt war, die letzte Hand an die Vorbereitungen zu legen, die man zu Ehren des erwarteten Gastes getroffen hatte. Sie hätte dies um so lieber gethan, wenn sie gewußt hätte, daß derselbe nicht der verhaßte neue Nachbar, sondern der alte Freund des Hauses und Vormund der jungen Erbin, Herr Kayser, war. Paula hatte ihm bereits ihre Rückkehr gemeldet. Sie wußte wohl, daß ihr eine Strafpredigt über die eigenmächtige Veränderung der getroffenen Dispositionen nicht geschenkt werden würde. Herr Kayser pflegte stets pünktlich zu sein, und war es bei einer derartigen Gelegenheit noch mehr als je. Denn der Krieg mit einer hübschen Mündel amüsirte ihn, und obgleich er nie verfehlte, über ihre Eigenmächtigkeit und ihren Trotz bittere Klage zu führen, so ließ er doch nicht leicht eine Gelegenheit vorübergehen, sie zu einem Wortgefecht zu reizen.

Es war daher lediglich eine Bestätigung von Paula’s Erwartung, als ihre Excursionen mit Tristan durch die Meldung unterbrochen wurden, daß ihr Vormund angelangt sei und daß man sie zum Frühstück erwarte. Es lag jedoch nicht in der Gewohnheit der verwöhnten jungen Erbin, einem Rufe schnell Folge zu leisten. Als sie daher nach Verlauf einiger Zeit langsam schlendernd den Gang herabkam, der zu der Balcontreppe führte, in ihrem emporgezogenen Kleide einen Haufen frisch gepflückter Blumen tragend, nahm es sie nicht Wunder, Herrn Kayser bereits im Gartensaale zu erblicken. Er saß behaglich auf ihrem kleinen Sessel neben dem Teleskop, hatte die Hände, seiner Gewohnheit gemäß, über dem goldenen Knauf seines Stockes gekreuzt und blickte ihr mit bitterem Lächeln entgegen.

„Da hätten wir also die junge Dame, welche ihren Tanten davongelaufen und auf eigene Hand drei Wochen lang im Lande herumgefahren ist,“ sagte er, indem er aufstand, um ihr entgegenzugehen. „Sie machen mir gute Streiche, Junker Paul; man hat bittere Klage über Sie geführt. Was haben Sie zu Ihrer Rechtfertigung zu sagen?“

Die also Angeredete war, ein muthwilliges Lächeln auf den frischen Lippen, eingetreten und eben im Begriffe, ihrem Vormunde in gleicher Weise zu antworten, als sie plötzlich überrascht stehen blieb. Von dem kleinen Ecksopha, auf dem sie neben Tante Sidonie gesessen hatte, war eine junge Dame aufgestanden und ihr ein paar Schritte entgegengekommen. Es lag in der Erscheinung derselben etwas, das Jeden überraschen mußte, der sie zum ersten Male erblickte, nicht nur denjenigen, für welchen ihre Gegenwart etwas Unerwartetes, Unvorhergesehenes war.

„Meine Nichte Hanna – Junker Paul de Contagne, Rittergutsbesitzer und Erbherr aus Fleurmont, unser gastfreundlicher Wirth und mein hoffnungsvolles Mündel,“ stellte Kayser vor.

Die jungen Mädchen schüttelten sich die Hände und sprachen sich die üblichen Versicherungen gegenseitiger Freude über ihre Bekanntschaft aus.

„Junker Paul bringt Ihnen seine Huldigung dar, Fräulein Kayser,“ sagte Tante Sidonie.

Lächelnd blickte die Angeredete zu ihrer Wirthin empor, die wirklich in der Haltung eines galanten jungen Cavaliers vor ihr stand. Auf ihrem ausdrucksvollen Gesichte lag eine so offenkundige, naive Bewunderung, der seitwärts geneigte, etwas vorgebeugte Kopf und die auf dem Rücken gekreuzten Hände erinnerten so lebhaft an die anbetende Huldigung eines Liebhabers, daß das Antlitz des jungen Mädchens von leiser Röthe überzogen wurde.

Sie war noch sehr jung und augenscheinlich nicht daran gewöhnt Huldigungen zu empfangen. Es war heute zum zweiten Male in ihrem Leben, daß sie ihr zu Theil wurden, und heute wie damals kam eine Ahnung über sie von der Macht, die ihr gegeben war über die Herzen der Menschen. In der That, wenn Schönheit, Jugend und Lieblichkeit eine Macht sind, so besaß Hanna Kayser dieselbe in hohem Grade. Ihr zartes, feingeschnittenes Gesicht, auf welchem das Lächeln kam und ging wie Wolkenschatten auf einer Sommerlandschaft, war anziehend durch den Ausdruck lieblicher Sorglosigkeit und heiterer Güte. Die klare Stirn mit den dunklen Brauen, die sanften, schöngeschwungenen Linien des Mundes, das ernste, tiefe Auge, das unter der dunklen Wimper hervorschaute, und das glänzende braune Haar, das in seidener Fülle das zierliche Oval des Kopfes umgab, bildeten ein Ganzes, welches im Beschauer den Wunsch erregen mußte, es möge soviel Schönheit und Anmuth minder vergänglich sein, als es auf dieser Welt des Kummers und der Sorge zu sein pflegt.

„Nun, Junker Paul, Sie sind mir die Antwort schuldig geblieben,“ sagte Kayser, der sich trotz der Verachtung, die er für Frauenschönheit stets an den Tag gelegt, dennoch geschmeichelt fühlte durch den Eindruck, den seine schöne Nichte hervorgebracht hatte.

„Was ich zu meiner Rechtfertigung zu sagen habe, fragen Sie? – Gar nichts! Denn Rechtfertigung genug liegt in der Thatsache, daß es fürchterlich langweilig war. Ich habe es Ihnen ja vorher gesagt, daß ich mit Tante Clemence nicht lange zusammenleben kann, und als die Ankunft ihres Sohnes, meines theueren Vetters, die Langeweile bis zur Unerträglichkeit steigerte, da machte ich mich davon und habe mich drei Wochen lang himmlisch amüsirt.“

„Daran zweifle ich nicht, aber Ihre Tante schreibt –“

„Bitte,“ unterbrach sie ihn ungeduldig, „begnügen Sie sich, mir mitzutheilen, was Sie selbst zu sagen haben! Dann werde ich mich bemühen, Ihnen ruhig zuzuhören.“

„Wirklich? Nun, das ist eine Concession, mit welcher ein Vormund zufrieden sein kann. Ich möchte aber wissen, Junker Paul, womit Sie sich amüsirt haben?“

„Womit? O, das Haus meiner Freundin ist das angenehmste der ganzen Gegend. Braunbach’s haben stets viel Besuch; ich habe eine Menge angenehmer Leute kennen gelernt. Jeden Tag hatten wir etwas vor, Ruderfahrten, Fahr- und Reitpartien, Pikniks und die hübschesten Sommerbälle von der Welt. Fräulein Kayser, haben Sie schon einen Ball mitgemacht? Nein? Nun, dann muß Ihr Oheim einen veranstalten, damit Sie das kennen lernen. Wir hatten sehr hübsche, elegante Tänzer – Officiere die Fülle!“

„Da kommen wir zu dem richtigen Punkte, Ihre Tante schreibt –“

„Lassen Sie mich mit meiner Tante in Ruhe! Weshalb wollen wir uns den Appetit zum Frühstücke verderben?“

„Ihre deutschen Sympathien müßten jeden guten Patrioten scandalisiren; sie sei indignirt über Ihre ‚Intrigues amoureuses‘ mit diesen ‚Prussiens‘ –“

„Intrigues amoureuses! Und Sie haben es ruhig geschehen lassen, daß man Ihre Mündel beleidigt? Sind Sie ein Mann?“

„Junker Paul, Junker Paul, eine kleine Schwäche für diese Preußen können Sie angesichts dieses Corpus Delicti nicht leugnen,“ sagte Kayser, lachend nach dem Teleskop hinzeigend.

„Ich leugne sie nicht, aber auch ohnedies: wäre es mir zu verdenken, daß ich von Zeit zu Zeit mein Auge erfreuen will an dem Anblicke des einzigen Mannes, den wir im Umkreise vieler Meilen haben?“

„Sehr gut, sehr gut!“ lachte Kayser und zeigte dabei seine weißen Zähne. „Also dieses langbeinige nicht uniformirte Exemplar der Gattung gefällt Ihnen auch? Der Bursche hat eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_728.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)