Seite:Die Gartenlaube (1877) 707.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


erzwingen – da legte ich mich in’s Mittel, und machte sie auf die seltsam bemalte Façade des Hauses aufmerksam. Die weiß gekalkten Wände rechts und links von der Thür bis hinauf zu den Holzgittern der Fenster waren in den schreiendsten Farben bemalt, und mit was für einer Malerei! Dort ein blauer Elephant mit rothem Rüssel, hier eine gelbe Giraffe mit grünen Flecken, dazwischen Strauße und andere seltsame, niegesehene Vögel, und sogar eine Locomotive mit einigen Waggons. Das Hauptbild in der Mitte stellte einen Palmbaum vor, an welchem zwei angekettete Löwen lagen, Palme wie Löwen die albernste Carricatur von Baum und Thier. Und dazu eine Menge blauer, rother, grüner und gelber Arabesken und Verzierungen – kurzum, die tollste Kleckserei, die man sich denken konnte. „Um Gotteswillen, was hat das zu bedeuten?“ fragten einige Neulinge unter uns, die es zum ersten Male sahen. Mir war es längst bekannt. Alle Mekkapilger pflegen nämlich, wenn sie von der Wallfahrt heimgekommen sind, ihr Haus derartig bemalen zu lassen oder selbst zu bemalen, wenn sie anders Talent dazu haben, was eben kein großes zu sein braucht. Die verschiedenen Thiere stellen die verschiedenen Länder vor, durch welche die Reise ging, und die angeketteten Löwen, die niemals fehlen, die Gefahren, denen der Pilger glücklich entronnen ist. Da jeder gute Moslim wenigstens einmal in seinem Leben nach der heiligen Kaaba gewallfahrtet sein muß, so giebt es derartig bemalte Häuser in ganz Aegypten in Menge, namentlich in den größeren Städten, und man findet z. B. in Kairo einzelne arabische Viertel, wo wohl kaum ein Haus unbemalt ist.

Jetzt ging aber die Hofthür auf, und mehrere dichtverschleierte Frauen traten heraus, auf dem Kopfe große geflochtene Körbe tragend, die bis an den Rand voll von jungen Küchlein waren. Im Hofe selbst befanden sich noch drei andere Frauen, die also weniger empfindlich zu sein schienen; sie hatten sogar ihre Schleier zurückgeschlagen und schauten uns dreist an, aber auch für uns Männer bedeutete das keine Gefahr, denn sie waren nichts weniger als jung und schön. Ihre Gesichter, Hände und Arme waren nach Landessitte mit blaupunktirten Zeichnungen geschmückt (nach ihren Begriffen war es wenigstens ein Schmuck), und um den Hals trugen sie in doppelten und dreifachen Reihen große buntfarbige Glasperlen. Sie hockten am Boden, und jede von ihnen hatte einen Korb vor sich stehen, den mehrere ab- und zugehende Araber mit lebendigen Küchlein füllten. Ein lichtgelbes, lebendiges Gewimmel unter-, über- und durcheinander, daß man glauben sollte, die zarten und, wie wir später hörten, erst vorgestern ausgekrochenen Thierchen müßten sich gegenseitig erdrücken. Es ging aber alles gut, obwohl ein solcher Korb, der übrigens mehrere Abtheilungen hat, gegen vierhundert Küchlein fassen kann. Gezählt wurden sie nicht, den dazu würde man bei den vielen Tausenden, ja Hunderttausenden, keine Zeit haben. Die Körbe, die alle von gleicher Größe sind, werden einfach bis an den Rand gefüllt, bis kein Thierchen mehr hineingeht. Der Besitzer trat auf uns zu (es war zugleich der Dorfschulze, der scheich el beled) und begrüßte uns mit feierlichem Salahm und der stereotypen Phrase: „Alles, was ihr hier seht, gehört euch; ich bin euer Knecht, und eure Nähe bringt Rosenduft.“ Er dachte natürlich nichts dabei oder vielleicht gar das Gegentheil, aber so will es einmal die Sitte des Orients. Dann bat er uns, ihm zu folgen. Er führte uns quer über den Hof vor ein anderes langes, aber niedriges Gebäude, das nur eine Thür hatte, oder richtiger eine thürähnliche Oeffnung, die noch dazu so schmal und niedrig war, daß wir einen gelinden Schrecken bekamen, denn das war der Eingang zu dem eigentlichen Brutofen. Die schlanken und behenden Araber freilich schlüpften bequem aus und ein und holten immer neue Körbe voll Küchlein heraus. Der Scheich kroch mit einer einladenden Handbewegung voran und wir, so gut es gehen wollte, hinterher, die Corpulenteren unter uns – und leider gehörte auch ich dazu – nicht ohne Ach und Weh, aber endlich war die schwierige Operation vollendet und wir standen wieder aufrecht im Innern des Raumes. Eine heiße Luft empfing uns und ein Geruch, der von dem Rosenduft himmelweit entfernt war, den wir doch mitgebracht haben sollten. Ueberdies war der ganze Raum nur durch Lichtlöcher von oben matt erhellt, so daß sich das Auge erst einige Minuten an das Halbdunkel gewöhnen mußte, um die Gegenstände genau zu erkennen. Die ganze Anlage und Einrichtung war übrigens so einfach und primitiv wie möglich und entsprach völlig der Schilderung Diodor’s, dessen wir oben erwähnten.

Man denke sich verschiedene offene Kammern, etwa vier Fuß vom Boden und auch nicht viel höher, ungefähr zehn bis zwölf Fuß im Quadrat und durch kleine Mauern von einander getrennt. Solcher Kammern zählten wir acht an jeder Seite; dazwischen befindet sich der ganzen Länge nach ein etwa vier Fuß breiter Durchgang. Der Boden dieser Kammern ist mit feingeschnittenem Zuckerrohr- und Durrahstroh, dem man etwas Sand beigemischt hat, kaum fingerdick belegt, und darauf liegen die Eier zu Tausenden. Die Massenhühnerzucht ist eine Eigenthümlichkeit der ägyptischen Dörfer und ermöglicht es den Bauern, den Brutöfenbesitzern die Eier in ungeheuren Mengen zuzutragen. Die Einlieferung der Eier nimmt etwa zwei bis drei Wochen in Anspruch, und während dieser Zeit sind mitunter Hunderte von Weibern im Dorfe und bringen jede vier- bis fünfhundert Eier. Die eben beschriebenen Kammern haben in der Mitte ein rundes Loch, das mit einem ähnlichen Loche in der Decke, die das Dach bildet, correspondirt, um den Rauch und die übergroße Hitze heraus zu lassen, denn in dem Raume unter ihnen befindet sich das Feuer, und zwar wiederum der primitivste Heizapparat der Welt. Das Brennmaterial besteht bekanntlich in dem holzarmen Aegypten aus Kameel- oder Eselmist, den man mit Häcksel durchknetet (eine Bäckerei der unappetitlichsten Art, die man aber in allen Dörfern fast vor jedem Hause sieht). Dieser Brei oder Teig wird dann in flache Kuchen geformt, ähnlich wie unsere Lohkuchen, und an der Sonne getrocknet. Die Kuchen brennen mit schwelendem, übelriechendem Qualm und ohne Flamme, geben aber starke Hitze, und mit ihnen werden also auch diese Brutöfen geheizt. Holz würde nach dem ägyptischen Volkswort: „Holz ist theurer als Zucker,“ viel zu theuer kommen. Einer aus unserer Gesellschaft hatte ein kleines Taschenthermometer, das vierunddreißig Grad Réaumur zeigte, mithin schon einige Grad über menschliche Blutwärme, aber die Araber bekümmern sich um dergleichen nicht, ja, vielleicht hatte keiner von ihnen jemals ein Thermometer gesehen. Sie beurteilen die Hitze einfach nach ihrem eigenen körperlichen Gefühl, und wenn es gar zu heiß wird, machen sie nach oben einige Luftlöcher mehr auf – weiter nichts. Da liegen nun die Eier zum Ausbrüten, was in der Regel achtzehn bis zwanzig Tage dauert. Zwei, drei junge Araber (hier waren es die Söhne des Scheichs) genügen, um den Dienst zu versehen, der eigentlich nur darin besteht, die Eier von Zeit zu Zeit umzuwenden und zu untersuchen, um die verdorbenen auszuscheiden. Im Ganzen und bei sorgfältiger Behandlung verderben aber nur wenige, kaum drei bis vier Procent. Die Geschicklichkeit, mit welcher diese Leute sowohl mit den Eiern wie auch mit der jungen Brut umzugehen wissen, ist erstaunlich; so gehen sie auch mit ihren nackten Füßen in den Kammern umher, ohne den geringsten Schaden anzurichten.

Wir waren, wie gesagt, gerade zur günstigsten Zeit gekommen, denn seit einigen Tagen hatte das Ausschlüpfen der jungen Brut begonnen. Mehrere Kammern waren schon leer, und der Boden war mit zerbrochenen Eierschalen übersäet. Die Küchlein werden alsdann in den bereits erwähnten Gang gebracht, der eine Art Corridor bildet und den man auf hohen flachen Steinen, die in der Mitte liegen, durchschreitet. Die Araber sprangen auf diesen Steinen wie Katzen hin und her, wir dagegen fürchteten bei jedem Schritt einen Fehltritt zu thun, wobei wir dann natürlich eine Menge Thierchen zertreten hätten, denn sie wühlten und wimmelten, piepten und quiekten zu Tausenden unter unseren Füßen, wirklich wie ein lebendiger hellgelber Teppich. Zwei Tage lang bleiben sie ohne Nahrung; dann werden sie in der oben geschilderten Weise von den Frauen des Dorfes abgeholt, die sie auffüttern und dafür von jedem Hundert fünfundzwanzig Stück behalten. Diese Fütterungszeit dauert etwa drei Wochen, nach deren Verlauf sie freilich noch nicht ausgewachsen und noch viel weniger satt sind, aber sie werden doch schon auf den Markt gebracht, und namentlich in Kairo zu gewissen Zeiten des Jahres in ungeheuren Quantitäten. Sie kosten dann ein bis zwei Tarifpiaster das Stück (ein viertel bis ein halber Franken). Uebrigens nehmen die Eigenthümer der Brutöfen auch eine große Menge zurück und mästen sie noch mehrere Monate lang für die Küchen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_707.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)