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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Portal folgend, zurück. „Mag sein! Aber Bundesgenossen? Ich habe es längst bereut. Ihr leugnet, selbst Teuerdank zu sein – aber dieses unverständliche Billet, Eure Unruhe, dieser ganze sonderbare Ausritt ... o, Ihr täuschet mich nicht ... die Vermählung mit dem Prinzen wird Euer Verhältniß zu Maria nur begünstigen. Ihr werdet künftig herrschen, und hier soll ungestörte Abrede darüber gehalten werden. Dieser Ausritt gilt nur einem maskirten ... Stelldichein.“

„O Gott, ist es möglich? Vertrauen!“ flehte Hugo.

„Wer möchte Euch noch vertrauen, hinter dem ewigen Visir? Wozu auch sonst dies Alles? Und dann ... Ihr habt mich gereizt, Ritter. Der Prinz ist so gut von Herzen und hängt wahrhaft an mir.“

„Adelheid!“

Ein momentanes Aufleuchten zuckte bei dem vertraulichen Ausrufe in Adelheid's Auge, aber sie war gewitzigt und nicht gesonnen, sich wieder eine Blöße vor ihm zu geben.

„Der Arme!“ fuhr sie fort, als ob ihre Gedanken, so glühend sie dem Ritter zuflogen, nur mit dem Prinzen beschäftigt wären. „Ich fühle Mitleid mit ihm.“

„Adelheid!“ und noch inniger klang seine Stimme – „Mitleid ist nur ein erster Schritt zur –“

Sie konnte ihn nicht vollenden lassen; ihr Herz klopfte zu laut; sie hätte sich nicht mehr halten können. Gewaltsam raffte sie sich auf.

„Wer weiß!“ brach sie achselzuckend kurz ab, indem sie sich der Herzogin entgegenwandte. Aber ihr Schritt war wie der einer Fiebernden, und mit wunderbar glühendem Auge blickte sie noch einmal auf ihn zurück.

„Sie liebt Dich, aber Du hast ihr Vertrauen verloren. Wie könnte sie auch!“ murmelte Hugo vor sich hin.

Nicht viel anders schien es mit der Zuversicht des Prinzen bestellt. Trotz seines kühnen Anlaufs mußte er wohl auf halbem Wege stehen geblieben sein; denn erst jetzt, als er Adelheid's Schritte hinter sich vernahm, entschloß er sich, der im Gespräche mit ihrer Base stehenden Herzogin entgegenzutreten.

Maria hielt die linke Hand im Arme der Aebtissin, während ihre Rechte den langen schwarzen Schleier, der von ihrem goldgemusterten, aber mit einem Kranze von schwarzen Perlen geschmückten Hut à la hénin herniederwallte, zusammengerafft trug. Der reiche Kopfputz und die lange Hermelinschleppe würden ihr etwas Königliches gegeben haben, wenn sich nicht die wahre Natur ihres Wesens durch die beiden Händchen verrathen hätte, welche, die eine über dem Ellenbogen der Aebtissin, die andere vorn den Schleier haltend, dicht nebeneinander lagen. Schmal und zierlich gebaut, wie Kinderhändchen, schauten sie neugierig aus dem der Sitte gemäß fast bis an die Finger reichenden farbigen Vorstoß der engen Aermel heraus. Und doch hatten sie ein Königreich zu vergeben, diese Händchen, und ein Herz zu verschenken, das selbst ein Königreich aufwog. ... Aber freilich, daß kein Prinz von Cleve der Glückliche sein konnte – das war eine Wahrheit, die Niemandem lebhafter vor Augen trat, als dem armen Prinzen selber, als er sie so in ihrer Herrlichkeit vor sich stehen sah. Des Ritters Worte mußten doch Scherz gewesen sein. Wie wäre es möglich, daß er in diesem Herzen einen Platz gewonnen? So sagte ihm seine einfach-ehrliche Selbsterkenntnis; und unwillkürlich mußte er wieder ihres früheren Verlobten gedenken, und der Nimbus von Kaisers Majestät umstrahlte sie wieder mit unnahbarem Glorienscheine.

Aber Adelheid erschien neben ihm – er mußte sprechen.

„Wünschet Ihr,“ stotterte er, auf Maria zutretend, „oder vielmehr befehlet Ihr, gnädige Muhme, in jener Ruine etwas zu verweilen?“

„Meine Base wünscht ein wenig zu rasten, ehe sie zurückkehrt,“ antwortete Maria.

„Es ... gilt ... eine Wette mit Huy, die im Augenblicke entschieden sein könnte, aber ... mein Herr Vater ... Ihr wisset ... Würde ich Euer Gnaden in einigen Minuten sicher hier wieder antreffen?“

„Verlasset Euch darauf!“ erwiderte Maria mit schmerzlichem Lächeln. „Ich bin Eure Gefangene – auf Ehrenwort.“

„Was sagt Ihr, gnädige Fürstin?“ stammelte der Aermste fast erschrocken. „Ihr seid meine erhabene Gebieterin. Das Andere ... geht meinen Herrn Vater an.“

Und froh, das peinliche Gespräch abbrechen zu können, verabschiedete er sich stumm, rief nach seinem Rappen, winkte Hugo herbei und entfernte sich mit ihm der Lichtung zu.

Maria aber führte ihre Base, während Adelheid auf und ab wandelte, noch die wenigen Schritte bis zum Hofraume der Ruine, suchte ihr dann sorgsam ein Plätzchen aus, ließ sie sich setzen und knieete auf dem Moose neben ihr nieder, die Hände in ihren Schooß legend.

„Wir sind allein,“ flüsterte sie. „Gott stehe mir bei!“

„Dir zu Liebe that ich, was ich nicht sollte,“ seufzte die Aebtissin.

„Ach, Base,“ erwiderte Maria, „ich bebe vor innerer Angst. Dieser räthselhafte Huy, der jeder Frage ausweicht und mich mit dem Zauberklange des einen Namens wie am Gängelbande bis in diese einsame Ruine gelockt hat – darf ich ihm vertrauen, wie ich so gern möchte? ... Was kann ich hier finden? Wen sucht meine Seele, als Einen – und ach, er ist fern.“

„Maria!“ erklang es unter dem Portale.

Jäh zusammenschreckend, wendete Maria den Kopf, sprang empor, trat einen Schritt vorwärts, breitete die Arme aus und stand einen Augenblick wie gebannt einer Bildsäule gleich.

„Ist es möglich? – Maximilian!“ entfloh es ihren bebenden Lippen.

Aber schon lag Maximilian zu ihren Füßen; schon preßte er ihre Hand an seine Lippen, nur daß er, aufblickend, den Finger erhob, als warne er vor jedem unvorsichtigen Ausrufe.

„Hier heiße ich Teuerdank,“ flüsterte er.

Nicht anders mochte einst vor den Augen des Bildners Galathea in rosiger Gluth zum Leben erwacht sein, als jetzt Maria.

„Teuerdank, mein Teuerdank!“ rief sie, ihn zu sich emporziehend und mit strahlender Liebe ihm in’s Auge blickend. „O, ich ahnte es; ich wußte es und wagte doch nicht, es für möglich zu halten – nur Du konntest es sein. Sei mir willkommen, edles deutsches Blut, das ich so sehr verlanget und nun bei mir sehe!“

Noch hatte es über Maximilian’s Stirn, trotz seines Entzückens, wie der Schatten eines bösen Gedankens gelegen. Nach diesem unverhohlenen Ausrufe ihres kindlichen Gemüthes aber flog der Schatten dahin.

„Meine wonnigliche Braut!“ rief er. „Nein, dies ist ungeheucheltes Entzücken. Hinweg mit jedem Argwohn! Mein Leben für Dich, Geliebte!“

Und sie lagen sich in den Armen.

„Allgütiger, Dein Werk!“ betete die fromme Frau.

„O Gott, was habe ich gethan!“ sagte sich Adelheid, die am Eingange des Hofraumes mit namenlosem Erstaunen Zeuge des Vorganges gewesen war.

„Aber was meintest Du, Geliebter?“ fragte Maria, sich der Umarmung entwindend, wie wenn auch sie erst einen bösen Schatten aufzuhellen hätte. „Du sprachest von Argwohn – Du meintest mein Zuvorkommen gegen den Dauphin ... O wenn Du wüßtest ...!“

„Beruhige Dich! Ich weiß es jetzt,“ lächelte Maximilian, einen seltsamen Blick zu Adelheid hinüberwerfend. „Und vielleicht auch eine Andere.“

Adelheid erröthete über und über. Maria aber ging so vollständig in ihrer eigenen Gedankenrichtung auf, daß sie weder auf sie, noch auf Maximilian’s Anspielung achtete.

„O wenn Du wüßtest, Geliebtester,“ wiederholte sie, „wie ich um Dich geweinet, wie viel ich um Dich gelitten! Was hat mir die Welt nicht Leides angethan seit dem Tode meines Vaters! Was ist nicht auf mich eingestürmt, auf mich armes, schwankes Rohr! Aber jetzt habe ich Dich; jetzt stütze ich mich auf Deinen starken Arm; jetzt jubelt mein Herz – Alles, Alles ist vergessen, und die ganze Welt könnte ich umarmen.“

Und sich zur Aebtissin wendend und ihr um den Hals fallend, jubelte sie auf: „Base, er ist da,“ und nach ihr Adelheid umarmend: „Adelheid, er ist da,“ und dann wieder zu Maximilian: „Mein Bräutigam, mein Retter, Du bist da.“

Und wieder lagen sich Beide in den Armen.

Eine Thräne der Rührung glänzte in den Augen der Aebtissin – es sei denn, daß es, trotz des Klosters, eine Thräne wehmüthiger Erinnerung gewesen wäre.

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