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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

außen mit kunstreicher Nähterei, aufgeheftetem buntem Zierrath aus stilvoll verschnörkelten Tuchflittern, innen mit kostbaren Teppichen und seidenen Decken, welche rings an den Wänden hingen und den Boden deckten. Jede einzelne stellte einen in sich abgeschlossenen Raum und das vollkommenste und gemüthlichste aller Zelte dar, heimelte an, wehrte dem Wetter und ließ sich jedem Sonnenblicke erschließen, erfüllte mit einem Worte alle Bedingungen, welche man an eine mit dem Besitzer wandernde Behausung stellen kann. Behaglich hatten wir uns schon gestern in ihr gefühlt; heute erschien sie uns über alles Lob erhaben.

Doch nicht im Innern der Jurten litt es uns lange; denn draußen wurde es lebendig, Sie waren erschienen, die von unserem Gastfreunde berufenen Kirgisen: Sultane, Gemeindevorsteher und andere Vornehme des Volks der Steppe mit Schützen und Treibern, Sängern und Stegreifdichtern, Jagd- und Rennpferden, gezähmten, auf Fuchs und Wolf, Murmelthier und Antilope abgetragenen Steinadlern, langhaarigen Windhunden, Kameelen und Saumthieren und was sonst noch erforderlich ist nach Gebrauch und Sitte. Jetzt erfüllte ihr Getümmel die Niederung zwischen den Bergen. Auf edlen und keineswegs unschönen Rossen ritten sie hin und wider; in Gruppen, langgestreckten Reihen und geschlossenen Kreisen saßen sie, gemüthlich plaudernd, am Boden, umdrängten sie den General, seine Gemahlin und uns. Wo sie die Nacht verbracht, von woher sie am Morgen gekommen, blieb uns ein Räthsel; denn kein zweiter Aul zeigte sich unseren Blicken. Vorhanden, zur Stelle aber waren sie und harrten jetzt der ausgesandten Späher, um zu erfahren, in welchem Theile des Rundgebirges das gesuchte Wild sich befinde.

Ziemlich spät erst gelangten wir zum Aufbruche. Die ausgesandten Kundschafter hatten weit reiten müssen, bevor sie Wildschafe gefunden. Jetzt zogen wir, mindestens achtzig Reiter stark, die Damen mit uns, dem westlichen Gebirgszuge zu. Hinter uns stelzten Kameele, mit einer Jurte und Küchengeräthe befrachtet, auf demselben Wege einher. In der Nähe des besagten Gebirgszuges verließen uns die berittenen Treiber und wandten sich dem südlichen Abhange der felsigen Kette zu, während wir das entgegengesetzte Ende besetzten und hier hinter Felsblöcken, welche uns bargen und Fernsicht gewährten, uns anstellten.

Der Trieb begann. Reitend erkletterten die Treiber das felsige Gebirge. Hier und da erschien einer von ihnen auf der Spitze der Felsen, welche er erklommen, um bald darauf wieder im Gestein zu verschwinden. Kein einziger von ihnen verließ die ihm angewiesene Richtung. Wie Ziegen kletterten die belasteten Pferde in den Felsbergen umher. Einem Bergsteiger boten die Granitwände und Kegel allerdings nirgends unüberwindliche Schwierigkeiten, Reiter aber hatte ich noch niemals in solchem Gebirge Pfade suchen und finden sehen. Der Kirgise faßt den Begriff „Weg“ anders auf als sonstige Menschenkinder. Weg bedeutet nach seinem Verständniß: „Durchmessen einer bestimmten Strecke in gerader Richtung“. Was zwischen dem Ausgangs- und Endpunkte liegt, ist gleichgültig. „Wo eine Ziege gehen kann,“ sagt er, „mag eben so gut ein Pferd Fuß fassen, und wo ein Pferd seinen Weg findet, beherrscht ihn auch ein Reiter.“ Näher und näher kamen uns die Treiber, Wild aber zeigte sich nicht. Erst in der letzten Minute erschien ein Wolf vor der Schützenlinie, nach Art des getriebenen Fuchses gedeckte Wege suchend, bald hinter ihm auch ein Archar. Der Wolf wurde gefehlt, das Wildschaf von dem betreffenden nächsten Schützen nicht bemerkt. Die Reiter langten bei uns an; der Trieb war zu Ende.

Mißmuthig zogen wir heimwärts. Im ersten Querthale winkte die während unserer Jagd errichtete Jurte; vor der Thür stand unsere liebenswürdige Wirthin, um uns zu einem Imbiß einzuladen. Wir folgten und saßen bald vor reich beschickter Tafel im Innern der Jurte, welche des rauhen Wetters halber behaglicher erschien als je. Da schreckt uns lauter Zuruf vom Mahle weg; wir eilen in’s Freie und sehen fünf stattliche Archarböcke über das Gefelse herabspringen. Eilig greifen wir nach den Büchsen, werfen wir uns auf die Pferde, jagen wir den Thieren zu – vergeblich. Unbeirrt durch uns oder die Treiber setzen sie, zu weit für unsere Geschosse, ihren Weg fort, kreuzen die zwischen zwei Bergketten liegende Niederung und ziehen, dem nördlichen Gebirgszuge zu. Sie eilen nicht, sondern traben nur, kein Pferd aber ist im Stande, sie einzuholen. Ruhig, stolz, bedachtsam ziehen sie weiter und erreichen ungekränkt das schützende Gefelse.

Man hatte uns falsch berichtet, als man uns mittheilte, daß der Trieb zu Ende sei. Einige Reiter hatten das Wild in einem der Nebenthäler entdeckt, in weitem Bogen umritten, und so geschickt getrieben, daß es zu Schuß hätte kommen müssen, wären wir nur zur Stelle gewesen.

Ich tröstete mich wie immer, wenn aus Jagden Mißgeschick mich neckt. Hatte ich die gewaltigen Thiere doch in ihrer Heimath, in voller Bewegung gesehen; war doch das ganze Getriebe der Jagd so eigenartig, so fesselnd gewesen, wie eine Jagd überhaupt sein kann. „Vielleicht lächelt die herrliche Göttin uns morgen,“ dachte ich, als wir unserem Aul in malerisch gelöstem Zuge zuritten.

Vor den Jurten fanden wir zwei Archarlämmer angebunden. Man hatte sie inzwischen lebend gefangen. Von einem dritten brachte man uns den zerfleischten Leichnam. Durch die Treiber erschreckt und verscheucht, hätte es die Mutter im Gefelse zum Niederducken bewogen und so in einen lebendigen Stein verwandelt, sich selbst aber den Treibern gezeigt, um sie von der Spur des geliebten Kleinen abzulocken; glücklich hatte sie auch die menschlichen, nicht aber die thierischen Feinde getäuscht: dem scharfen Auge eines Steinadlers war das bewegungslos der Rückkehr seiner Mutter harrende Lamm nicht entgangen und dem kühnen und starken Raubvogel zum Opfer gefallen. Für die beiden anderen schaffte man noch an demselben Abend Hausschafe herbei, welche, trotz ihres Sträubens, Ammendienste leisten mußten.

Am nächsten Morgen zogen wir wiederum zur Jagd aus, diesmal dem nördlichen Gebirgszuge uns zuwendend. Es war ein bitterkalter, von Aprilwetter regierter Tag, und das Ausharren auf den uns angewiesenen Plätzen wurde zur Qual. Stundenlang währte der Trieb, bevor wir von den Treibern etwas wahrnahmen. Ein Wildschaf mit zwei Lämmern zog in mehr als doppelter Schußweite an meinem Stande vorüber. Von den Böcken sahen wir keine Spur; ob sie zurückgewechselt oder von den Treibern nicht aufgefunden worden waren, blieb fraglich. Schon näherte der Trieb sich dem Ende; da rollten Steine über mir, und wenige Minuten später stieg ein Wildschaf, meist durch die Felsen gedeckt. Nur auf Augenblicke sichtbar werdend, neben meinem Stande in die Tiefe herab. Endlich zeigte es sich frei und bot sich zum Ziele; mein Schuß durchhallte das Gebirge. Langsamer zog es weiter; ich lud und feuerte zum zweiten Male, diesmal schon aus zu großer Entfernung. Das Thier setzte seinem Weg fort wie vorher, blieb jedoch bald darauf von Zeit zu Zeit stehen, als ob es überlege, und wandte sich sodann in weitem Bogen dem mir gegenüberliegenden Bergzuge zu. Auf gut Glück hin verließ ich meinen Stand, durchschritt, den von jenem beschriebenen Bogen durchschneidend, das Thal, kletterte, so schnell das Gefelse und meine Lunge gestatteten, an der Bergwand empor und stellte mich in einem Quereinschnitte des Kammes wieder an. Ich hatte richtig berechnet. Noch keuchte die Brust und zitterten die Glieder von der gewaltigen Anstrengung, als dasselbe Wildschaf hoch über mir an die äußerste Kante des Felsens trat, um zu sichern. Bevor es mich erspäht, hatte ihm meine Kugel die Brust durchbohrt, und wie ein schwerer Felsblock stürzte es in die Tiefe hinab.

Jubelruf aus zwanzig Kirgisenkehlen hallte im Gebirge wider. Von allen Seiten sprengten und kletterten Reiter herbei. Vier kräftige Männer schleppten mühsam die Beute zur Tiefe. Ich staunte über die Größe, noch mehr über die Lebenszähigkeit des Archar. Die erste Kugel hatte genau auf der beabsichtigten Stelle eingeschlagen, von hinten her die ganze Brust durchbohrt, die Lunge zerrissen und in der Schultergegend ihren Ausgang genommen: gleichwohl zeigte das Thier, nachdem es mit solcher Wunde mindestens tausend Schritte durchmessen, keine Abnahme seiner Kräfte und würde für uns verloren gewesen sein, hätte ich ihm nicht noch eine zweite Kugel durch die Brust gejagt.

Allseitig beglückwünscht, ritten wir heim zu den Jurten. Die Kirgisen rühmten mein Jägergeschick, die Gefährten mein Jagdglück. Vor den Jurten wogte es im bunten Durcheinander. Unter dem lebhaftesten Geberdenspiel gaben die Steppenleute, welche dem Schlusse der Jagd beigewohnt hatten, allen Uebrigen

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