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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


wissen, daß mit meinem Fall auch Dein Vermögen unrettbar verloren ist? Aber blicke mir in die Augen, Marie! Sie werden Dir sagen, daß ich nicht lüge, wenn ich Dir die Versicherung gebe: noch darf ich die Hoffnung auf ein glückliches Ende nicht aufgeben. – Sieh, so gänzlich wie jetzt kann der Handel nicht lange darniederliegen; es müssen bessere Zeiten kommen. Die Chancen stehen so, daß ich in einigen Jahren ein wohlhabender, ja ein reicher Mann sein kann – das heißt, wenn sich die Geschäfte heben und ich Gelegenheit zum Absatz für meine Tuche finde. Bis dies geschieht, ist meine Lage allerdings gefährlich, ja ich will es Dir nicht verhehlen: so gefährlich, daß selbst schon das Herausziehen einer geringfügigen Summe aus meinem Geschäfte meinen Sturz herbeiführen würde. Du weißt aber, daß ich dieses Unheil nicht zu fürchten habe. Sei also guten Muthes! Wenn ich zurückkomme, hoffe ich meine muthige, tapfere Schwester wiederzufinden.“

Mit einem warmen Händedrucke verließ er sie. Draußen vor der Treppe wartete schon sein Pferd, das ihn nach Elmsleben tragen sollte. Er war eben im Begriffe, es zu besteigen, als er Kayser eilig die Straße entlang kommen und ihm schon von weitem zuwinken sah.

„Gott sei Dank, daß Sie gesund und wohl sind!“ sagte er, als Max neben ihm an der Gartenmauer auf und nieder schritt. „Nach den Gerüchten, die heute über Sie coursiren, konnte ich dies kaum hoffen. Ich hörte, man hätte Sie schwer verwundet und bewußtlos auf dem Damm gefunden.“

„Das ganze Unglück reducirt sich auf einige zertrümmerte Maschinen und auf die Beulen, die der arme Jantzen davongetragen hat. Sie sehen, ich bin frisch und gesund und eben im Begriffe nach Elmsleben zu reiten, um mir telegraphisch eine zweite Sendung Maschinen zu bestellen.“

„Solche Neuerungen einzuführen, jetzt, wo irgend eine Kleinigkeit einen offenen Ausbruch veranlassen kann!“

„Man hat mir gedroht, die Arbeiten einzustellen. Sie müssen doch einsehen, daß ich mich von der Willkür meiner Arbeiter unabhängig machen muß. Aber brechen wir von diesem Thema ab – wir werden uns darüber doch nie verständigen.“

„Das glaube ich auch – indessen hören Sie, was ich Ihnen jetzt sagen werde! Sie, bei Ihrer Persönlichkeit, haben Chancen für sich, die, wenn Sie dieselben klug benutzen, Sie mit einem Schlage aller Sorge entheben werden. Ich habe immer die Bemerkung gemacht, daß solche langbeinige, breitschulterige Bursche, noch dazu wenn sie so steifnackig sind und so gleichgültig drein schauen, alle Weiber wie am Schnürchen hinter sich herziehen.“

„Lassen Sie mich in Ruhe! Die Zeiten sind auch danach angethan, an solche Thorheiten zu denken!“ entgegnete Max ungeduldig und wollte sein Pferd besteigen.

„Nun,“ fuhr Kayser fort, „thun Sie die Augen auf! Wenn Sie der gescheidte Bursche sind, für den ich Sie halte, so werden Sie mich verstehen. Ich setze natürlich voraus, daß Sie die Zeiten der Jugendthorheiten, wo man an Liebe, Sympathie und ein vollkommenes Glück in der Ehe glaubt, bereits hinter sich haben.“

„Sie haben Recht; mit meinen dreiunddreißig Jahren habe ich genug von der Welt gesehen, um an nichts Vollkommenes mehr zu glauben.“

„Gut! Und wenn Sie diese Ihre Erfahrung vor allen Dingen auf die Frauen anwenden, so wird Sie das vor allen Illusionen bewahren. Je weniger Sie deren aber in die Ehe mitbringen, desto besser für Sie!“

„Wenn Sie, wie ich dunkel ahne, die Absicht haben, mich zu verheirathen, so schlagen Sie einen ganz absonderlichen Weg ein,“ sagte Reinhard lächelnd. „Aber jetzt muß ich reiten.“

„Noch Eines! Wahrheit ist immer gut, lieber Freund. Und deshalb will ich Ihnen reinen Wein einschenken, und zwar auf dem Gebiete, wo Ihnen eine klare Einsicht am meisten noththut. Also: ein hübsches Gut, das eine Familie nicht allein anständig, sondern luxuriös nähren kann, und hunderttausend Thaler Baarvermögen, nicht zu gedenken der Ersparnisse, die während ihrer Minderjährigkeit gemacht worden sind –“

„Ein niedliches Vermögen,“ sagte Reinhard, „– wenn es aber das Einzige ist, was Sie mir zu rühmen wissen, so –“

„Pah,“ unterbrach ihn Kayser, „die Mitgift ist das einzige Werthvolle, das Sie durch eine Heirath erlangen können. Wählen Sie nie eine anerkannte Schönheit, auch wenn sie Ihnen noch so anmuthig, liebreizend, und wie der Unsinn sonst heißen mag, erscheint! Sie bezahlen das unfehlbar mit Täuschung und Herzeleid.“

„Ob sie Anderen für schön gilt, das sollte mir gleichgültig sein – aber das weiß ich: sie müßte meinen Augen gefallen. Jung, frisch, sanft und lieblich müßte sie sein. Nach dem lächelnden Willkommensgruße ihres Mundes müßte ich mich sehnen, wenn ich fern von ihr bin; meinen Sinnen und meinem Herzen müßte ihre Nähe wohlthun.“

„Sie thun mir leid, mein Junge.“

„Eine Frau heirathen, für welche Nichts in mir spricht, zu welcher kein Gefühl der Sympathie mich hinzieht – das könnte ich nicht, auch wenn ihr Vermögen mich vom finanziellen Ruin rettete.“

„Nun, ich verlange ja vorläufig Nichts von Ihnen, als daß Sie sehen und prüfen,“ rief Kayser ungeduldig. „Ich bilde mir ein, daß gerade Sie der geeignete Mann sind, in der Ehe manche Uebelstände abzustellen, manche Ecken abzuschleifen. Sie sehen aus, als ob Sie selbst des Teufels Großmutter zu einer fügsamen Frau machen könnten.“

„Bin ich ein Schulmeister? Lassen Sie mich reiten, Kayser – ich will keine Frau, bei der es Uebelstände und Ecken giebt.“

„Aber so hören Sie doch, Sie eigensinniger Bursche! Ich kann kein Wort sprechen, das Sie nicht mißdeuten. – Vielleicht ist sie nicht ganz das Genre, das Sie sich zu Ihrem Ideal erkoren haben, vielleicht etwas querköpfig, etwas hitzig, etwas launenhaft. Aber im Grunde ist sie doch ein gutes Kind, und wenn sie einen Mann fände, der es verstände, ihr den Daumen auf’s Auge zu drücken –“

„Ich muß nach Elmsleben, Kayser. Leben Sie wohl! Ich habe keine Zeit zu verlieren.“

„So reiten Sie zum Teufel, Sie undankbarer Bursche! Ich werde meinen Kopf nie wieder mit Ihren Angelegenheiten beschweren.“

Max bestieg lachend sein Pferd und ritt die Straße nach der Stadt entlang, während Kayser brummend die Stufen der Freitreppe erstieg. Oben angelangt, blieb er stehen, um mit seinem Taschentuche sich den Staub von den Stiefeln zu klopfen. Dann streckte er seine stattliche Gestalt zu ihrer vollen Höhe empor, rückte seine Weste zurecht und setzte den blanken Klingelgriff in Bewegung.




5.

Es vergingen nur wenige Minuten, bis Herrn Kayser geöffnet wurde, aber die Zeit reichte doch hin, eine Wandlung in seiner Stimmung hervorzubringen. Der halb wirklich empfundene, halb nur erheuchelte Unwille über Max’s Weigerung verflog und machte einer leichten Beklommenheit Platz. Er fragte sich, wie ihn Marie nach dem Scharmützel des gestrigen Abends heute empfangen würde. Er wußte, daß sie Ausfälle gegen ihr Geschlecht nicht leicht vergab, und hatte schon die Erfahrung gemacht, daß sie ihn tagelang sehr kühl behandelt hatte, ja, daß sie nach solchen Scenen längere Zeit hindurch ganz unsichtbar geblieben war. Und doch war es ihm heute mehr als je darum zu thun, Frieden mit ihr zu machen.

Er hatte heute ein Anliegen an sie, für welches er nicht nur eine Gewährung – er war im Grunde überzeugt, eine solche zu finden – sondern auch ein freudiges, herzliches, rückhaltloses Entgegenkommen wünschte. Er mußte sich also – das sah er ein – zu einer kleinen Entschuldigung bequemen, die ihm um so schwerer wurde, als er seit manchem Jahre nur mit Personen in untergeordneter Stellung in näherem Verkehr gestanden hatte, für die sein Wille Gesetz und seine Laune ein unabänderliches Fatum gewesen war. Aber er war entschlossen, sich in diesem Falle einen kleinen Zwang aufzulegen, denn nicht allein, daß für ihn selbst die Geschwister Reinhard der nächste, liebste und angenehmste Umgang waren – auch für seine junge Nichte, die gestern Abend angekommen war, wünschte er eine nähere Bekanntschaft mit Marie anzubahnen. Sie sollte – so wünschte er – dem jungen Mädchen freundlich entgegenkommen. Er machte es sich nicht klar, daß in diesem Wunsche bereits eine Inconsequenz lag. Erst vor wenigen Tagen hatte er ihr geschrieben und in ihr Kommen nur unter der Bedingung gewilligt, daß sie auf jeden Umgang und jede Zerstreuung verzichte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_683.jpg&oldid=- (Version vom 29.11.2022)