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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


dem gelobten Lande. ... Um so besser! Dann muß es Wunder thun.“ ... Er that einen langen, langen Zug. „Weibermäßig süß, aber hält Leib und Seele zusammen! So! ... Nun mag der Spuk losgehen! Hier soll ich den Fiedler erwarten beim Zorne des 'Hugh'. Hu ... das ist der Waldteufel. Wer ihm nicht gehorcht, dem dreht er den Hals um.“

„Holla!“ rief es, als er die Flasche wieder einsteckte, leise hinter denn Portal hervor.

Trotz des Zaubertrankes wäre er vor Schrecken fast niedergesunken. „Das ist der Hugh,“ murmelte er zitternd.

„Parole!“ rief es leise zum zweiten Male – die französische Sprache mischte sich mit der flämisch-deutschen schon stark auch im gemeinen Volk.

„Teuerdank!“ antwortete Bastian, allen seinen Muth zusammennehmend.

„Gut!“ flüsterte es, und eine graue Gestalt trat plötzlich hinter der Ruine aus dem Gebüsch.

Bastian sprang, sie anstarrend, einen Schritt zurück. Sie folgte ihm in den Hofraum und trat dicht vor den Entsetzten, ihn mit großen Augen messend.

„Beim heiligen Sebastian, seh' ich recht?“ rief er plötzlich.

„Pst!“ mahnte der Graue.

„Das ist ja,“ lachte er leise, „Jan der Fiedler, der lustige Fiedler aus Geldern. ... Aber ... aber seid Ihr alt geworden in acht Tagen!“

„Kummer und Sorge, Bast!“ seufzte der Graue, seine Nasenflügel bewegend. „Oder auch nicht!“ Und den falschen grauen Bart ein wenig lüpfend, lachte er leise: „Kennst Du mich jetzt besser?“

„Mein Seel', das ist der echte Jan, mit dem Bart, wie ein burgundischer Junker. Wenn nur der ... der Berg auf der Nase nicht wäre!“

„Ein böser Schlag, Bast! ... Oder auch nicht!“ ... Und mit einer einzigen Handbewegung hob er vor dem Erstaunten auch dieses Hinderniß.

„Gottes Wunder! Aber was soll das? Was habt Ihr vor?“

„Vorerst melde schnell: Wie steht es in der Abtei?“

„Ihre Gnaden und unser gnädiges Fräulein beten drinnen, die Cleveschen draußen.“

„Die beten auch?“

„Zu ihrem Gott!“ bestätigte Bast, die hohle Hand an die Lippen haltend.

„Wer führt sie?“

„Der Prinz von Cleve.“

„Jetzt paß auf, Bast!“ nahm der Graue ernsthaft das Wort. „Wir sind hier halbwegs nach Gent. Der 'Hugh' – hörst Du? – der 'Hugh' hat mir zu wissen gethan, daß die Herzogin mit der Aebtissin zu Fuß hierher kommen wird, und daß sie später dort“ – er deutete westlich auf den Verbindungsweg – „aufsitzet und mit den Cleveschen heimreitet. Ich aber muß vor ihr nach Gent. Ist der Weg besetzt?“

Bast stieß mit dem Zeigefinger nach rechts oben und links unten aus. „Stechpalmen die ganze Straße entlang. Spitzen oben und Spitzen unten!“ flüsterte er.

„Clevesche?“

„Freilich. Und tausend Berittene sind heute auf der Straße nach Brüssel.“

„Gut! Recht weit weg!“ lachte Jan leise vor sich hin. „Auf die Fährte habe ich sie gesetzt.“

Plötzlich lauschte Bastian auf. „Hört, da rasseln die Stechpalmen wieder.“

„Die müssen fort,“ sagte Jan. „Haben wir auch hübsche Jungens mit schönen grünen Zweigen, wie ich, um uns her, so muß doch diese Ruine hier eine Weile ungestört bleiben, und ich selbst will nun einmal nach Gent.“

Bastian schüttelte den Kopf. „Sie lassen Keinen passiren, bis sie den Rechten haben. Und Bart und Nase nutzen Euch nichts. Sie trauen keiner Verkleidung. Haben sie doch um Mittag erst ein altes Weib durchsucht, ob kein Prinz drinn stecke. Die Alte hat mir's selbst geklagt.“

„Nicht so dumm!“ lachte Jan. „Steckt manchmal in einem Prinzen ein altes Weib – warum nicht auch einmal umgekehrt? Aber hinter's Licht geführt werden sie doch. Sind Ausländer, die Clever! Nun höre, Bast, was der Hugh ... verstehst Du? ...“ – und er ließ seine Augen rollen, aber die Nasenflügel zuckten – „was der Hugh Dir durch mich befehlen läßt!“

Bastian schauerte. Jan sprach feierlich:

„Ein fremder Ritter, ein Gesandter von einem großen König, dem Weißkönig, darf hier nicht überrascht werden. Würde sonst groß Spectakel in der Welt geben. Verstehst?“

Bastian nickte mit dummen Augen.

„Bist zu großen Dingen ausersehen. Sollst Welthistorie machen helfen.“

„Welthistorie? Danke für mein Part! Dabei geht's dem Kleinen an den Kragen.“

„Aber wenn's glückt, sollst im Genter Schlosse Kellermeister werden, verspricht der Hugh.“

„Kellermeister? Ah, das nennt Ihr Welthistorie? Ist ein Anderes. Ich bin dabei. Was muß ich thun?“

„Hingehen und Dich greifen lassen, ob sie in Dir auch vielleicht einen Prinzen suchen. Und wenn sie dumm genug dazu sind ...“

„Ja sagen?“ fiel Bast mit entschlossener Miene ein.

„Nein, Bast. Niemals gelogen. Merke Dir das ein für alle Mal! Erstlich ist's eine Sünde, und zweitens hilft es doch nichts. Nein, Du giebst Dir nur so eine gewisse Haltung und sagst nicht Nein ... Glauben“ – Jan's Nasenflügel zuckten – „thun sie Dir's doch nicht. Aber sie geben Dir sicher so einen artigen Rippenstoß oder dergleichen. Dann thust Du jämmerlich, schlotterst ein Weniges mit den Knieen, zum Beispiel so“ – er zeigte es; Bast machte es nach – „und bittest um Gotteswillen, sie möchten Dich nur laufen lassen. Du wüßtest auch etwas. Das gehen sie ein und dann sagst Du leise: es folge Dir Einer, der sich für Jan den Fiedler ausgebe und doch hier und hier“ – er faßte an Nase und Bart – „ganz anders aussehe. Das ist genug gesagt und wiederum nicht gelogen. Hernach komme ich an die Reihe, und wenn sie weit genug mit mir fort sein werden, rufst Du dort unter dem Thurm leise 'Teuerdank!' Der Ritter mit zwei Begleitern wird erscheinen. Dem sagst Du einen Gruß vom Fiedler, und hier solle er den 'Hugh' erwarten.“

Bastian nickte mechanisch, aber ihm grauste.

„So! Nun stelle Dich auf den Fußweg und klirre mit Deinen Pfropfenziehern da, als drohte Dir die Hölle mit allen den Flaschen, die Du schon sündhafter Weise getrunken hast!“

Leise vor sich hinlachend, verschwand er.

Bastian blieb einen Augenblick nachdenklich stehen.

„Sündhafte Weine?“ fragte er sich. „Das sind Frauenweine. Hab's ja immer gewußt, ich bin für bessere geboren. Im herzoglichen Keller, da liegen sie. Ich klirre.“

Er trat auf den Fußpfad und klirrte.“

„Halt! Werda?“ erklang es sofort vom Verbindungswege her, und mit gedämpfter Stimme rief es nach rechts und links. „Herbei, herbei! Waffengeklirr!“

Auf zwei Seiten brach man durch die Büsche, daß sie rauschten. Dann wurde es stiller, als ob man sich genöthigt sehe, in dem dichten Unterholze zu schleichen. Amseln flogen mit ängstlichem Glucktone auf.

„Solch ein schwarzer Vogel ist immer eine böse Vorbedeutung,“ murmelte Bast, zusammenfahrend. Da flog ein noch größeres Wesen aus dem feuchten Grunde empor, arbeitete sich flügelklatschend durch das Gezweige und schoß, den langen Schnabel vorgestreckt, in unregelmäßigem Fluge wie aus gewundenem Rohre geblasen, schattenhaft über die Ruine hin. Mit Bastian's Muth war es zu Ende. Die böse Vorbedeutung, die Aufregung, das geisterhafte Flügelthier, die sündhaften Flaschen – es fiel ihm auf die Glieder, und als jetzt auf zwei Seiten zugleich die Büsche auseinander gerissen wurden und die Cleveschen „bunten Krähen“ auf ihn einstürmten, sank er vor Schrecken in die Kniee.

„Nur Einer!“ rief dumm verwundert der Vorderste einem Andern zu, der ein spöttisches Wesen zur Schau trug.

„Und das nennst Du Waffengeklirr?“ höhnte dieser, auf Bastian's Schlüsselbund weisend.

Die Andern lachten. Bast richtete sich auf; das Lachen gab ihm seine Fassung wieder.

„Wer bist Du?“ schrie man auf ihn ein.

Er suchte sich eine Haltung zu geben.

„Seht mich an!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_674.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)