Seite:Die Gartenlaube (1877) 614.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Was wollt Ihr damit sagen, Ritter?“

„Daß ein gewisser Prinz von Cleve, ein so abgesagter Blumenfeind, daß er selbst der Lilie nur auf Befehl huldigt, doch auffallend gern an einer gewissen Nelke nippt.“

„Fürwahr, spaßhafter als einen Schmetterling jagen ist es allerdings, die Capriolen eines jungen Bären anzusehen. – Euch aber, Ritter, gebe ich Euer Scherzwort zurück: Wenn wir in Mailand wären, könnte man wahrhaftig auf den Gedanken kommen, aus Euch spräche ... Eifersucht.“

„Das darf man auch in Burgund, Fräulein. Ihr seht, ich bin aufrichtiger als Ihr.“

„Immer besser! Als ob ich etwas zu verleugnen hätte!“

Und mit geringschätzigem Achselzucken wandte sie sich von ihm ab. Denn wenn er jetzt in ihr Auge geblickt hätte, würde er deutlich auf dem Grunde ihrer Seele gelesen haben: „Unausstehlicher Spötter! O, wenn er ahnte, wie ihm mein Herz zufliegt! Aber zu Füßen liegen soll er mir doch.“

Hugo von Huy aber ging mit der unbefangensten Miene von der Welt, als hätte er eben das gleichgültigste Gespräch beendet, im Saale auf und ab, und sonderbar, er sowohl wie Adelheid von Helwin schienen plötzlich ein ungewöhnliches Wohlgefallen an der Decke zu finden. Beide zählten offenbar die Rosetten des Holzgetäfels, deren es dort oben so viele, wie Tage im Jahre, und jede von anderem Muster, gab. Auch die übrige Ausstattung des Saales war wohl bisher nicht genügend von ihnen gewürdigt worden, denn sie studirten dieselben mit einem Eifer, als handle es sich um ganz andere Dinge. Da waren die Muster der rothen Damastvorhänge an den Fensternischen zu betrachten, oder auf den Fensterscheiben trotz ihrer klein gegitterten Täfelchen die in anständiger Größe kunstvoll gemalten Wappen der Provinzen Burgunds und Niederlands. Da mußte der prachtvolle Kamin aus grauem Marmor, auf Säulen mit Kelchcapitälchen pyramidenförmig emporgegiebelt, einer Prüfung unterworfen werden. Da gab es endlich die kostbar gewirkten Antwerpener Tapeten zu bewundern, ein Meisterstück, das Philipp der Gute zum Andenken an die Stiftung des Ordens vom goldenen Vlies nach van Eyck'schen Skizzen hatte fertigen lassen, und das die Hauptmomente des Argonautenzuges in seltener technischer Vollendung darstellte. An diesen schienen Beide ein besonders lebhaftes Interesse zu nehmen, vielleicht daß sie kunstkritische Betrachtungen anstellten, daß ihnen anatomische Mängel an Hals, Füßen oder Händen der Personen auffielen – denn mehr als diese unverhüllt zu zeigen, gestattete die neben aller Ueppigkeit hergehende burgundische Prüderie auf Bildern nicht –, oder daß ihrem der Zeit vorausgeeilten Kunstgeschmack der wunderliche Anachronismus ein Lächeln entlockte, Jason und Medea sammt Gefolge in der Tracht des fünfzehnten Jahrhunderts paradiren zu sehen. Jedenfalls aber waltete ein entschieden sympathischer Zug in ihnen, denn während Beide bisher getrennt die einzelnen Abtheilungen gemustert hatten, trafen sie plötzlich bei dem Schlußbilde, der Abfahrt der Argo, von deren Mast das erbeutete goldene Vlies leuchtend niederhing, wieder zusammen. Hugo war es, der trotz seiner Vertiefung in das Bild zuerst Adelheid bemerkte. Er machte mit stummem Lächeln eine höfliche Bewegung, als wolle er ihr den Platz räumen. Als sie aber durch schnelles Abwenden des Kopfes unzweideutig zu erkennen gab, daß er irre, wenn er etwa an einen magnetischen Rapport als Ursache ihres Zusammentreffens glaube, so fand er sich mit anscheinendem Gleichtmuth auch in dieses Schicksal und schlenderte unbefangen dem Balcon zu. Allein kaum hatte er von dort einen Blick auf den Schloßplatz geworfen, als er sich eilig der Herzogin zuwandte.

„Eurer Hoheit zu melden,“ sagte er, „das Volk beginnt schon sich zu sammeln. Die Stunde für den Aufzug der Gesandtschaft ist nicht mehr fern. Wenn es Eurer Gnaden belieben wollte – im Thronsaal ist Alles bereit.“

Maria brach schnell ihr Gespräch mit der Aebtissin ab, schien aber nicht gesonnen, auch ihre Empfindungen zu unterbrechen.

„Unglaublich, was man mir zu bieten wagt!“ rief sie vortretend im Tone höchster Erregung. „O, Ihr dürft es Beide hören. Was erhalte ich hier? Abschrift aus den geheimen Papieren des französischen Botschafters! Denkt Euch, er soll, wenn ich das Verlöbniß mit dem Dauphin weigere, Verräther erkaufen, um seinem Herrn die Thore Gents zu öffnen. Dort liegt das Judasgold, eintausend Ducaten.“

„Es schreit zum Himmel,“ rief die Aebtissin.

„Aber wie war es möglich, daß man in den Besitz desselben kam?“ fragte Hugo mit dem Ausdruck offenen Erstaunens.

„Man hat dem Geheimschreiber des Gesandten in der letzten Nachtherberge die Cassette eröffnet, Abschrift von den Papieren genommen und Alles wieder hineingelegt, bis auf das Gold.“ Und dann sich zur Aebtissin wendend, fügte sie leise hinzu: „Glaubet mir, Base! Es kommt von Niemand als meinem Beschützer. Das Billet trägt seine Züge.“

„Schrecklich! Dann gehört er zum 'Hugh' oder steht mit Räubern in Verbindung,“ rief entsetzt die fromme Frau.

„Aber mit großmüthigen, Base! Und jedenfalls ist es ein Liebesdienst, der mir gegen einen Feind freie Hand giebt. Ja, meine Getreuen,“ steigerte jetzt Maria ihre Stimme, „mit Ludwig bin ich von Stund an fertig ein für allemal. O, sie sollen nur kommen, die Herren Gesandten, und der Audienz gedenken, die ich ihnen bereitet werde. Nichts soll ihnen erspart sein. Umringt von den Meinen, fühle ich mich muthig und werde ihnen zeigen, wie tief ich beleidigt bin, werde ihnen sagen“ – und ihr Köpfchen hob sich; ihre Augen nahmen einen Ausdruck an, der an ihren heldenmüthigen Vater erinnerte, und ihre Stimme zitterte vor Eifer – „sagen werde ich ihnen: Dieses ist schamlose Verletzung des Völkerrechts, ihr Herren, ist schnöde Mißhandlung einer jungen Fürstin, eines neunzehnjährigen Mädchens, das ihr für furchtsam haltet, weil es euch wehrlos erscheint. Aber ihr vergesset Eines, ihr vergesset, daß die Furcht auch bei mir ihre Grenzen hat, daß noch immer die Wälle meiner Städte mich schirmen, noch immer Tausende für mich in den Tod gehen, und daß die Tochter Karl's des Kühnen das Andenken ihres Vaters nicht ungestraft an sich beleidigen läßt.“

Erhobenen Hauptes wendete sie sich mit ihrer Base dem Eingange in ihre Gemächer zu.

Entzückt sah ihr Hugo nach.

„Welche Hoheit!“ rief er aus. „Welch ein Blitz in dem wundervollen braunen Auge!“

„Wenn er nur vorhält, der Blitz in dem wundervollen braunen Auge!“ war die sarkastische Antwort Adelheid's neben ihm.

Und siehe da, wie wenn es die Herrin mit ihrem Hoffräulein abgeredet hätte, kehrte dieselbe plötzlich, ihre Base an der Thür zurücklassend, wieder um. Der kühne Anflug war aus ihren Zügen[WS 1] schon wieder verschwunden; ihr Blick irrte unsicher, fast verlegen umher, und sie vermied Hugo's Auge, als sie zögernd vor ihm stehen blieb.

„Freilich,“ sagte sie, nach Worten suchend, „wenn ich bedenke ... Was glaubt Ihr, Ritter Huy, wird es eine große Versammlung werden? Ist ein zahlreich Gefolge französischer Edelleute um den Gesandten? Und draußen – wird nicht viel Volk vom Platze heraufhorchen?“

„Ohne Zweifel, gnädige Frau!“ erwiderte verwundert der Ritter.

„Das ist mir ... ungelegen. Das ... ändert die Sache. Meint Ihr nicht, ich könnte meiner Würde vergeben, wenn ich ihnen vor so vielen Zeugen selbst sagte, was ihnen unter solchen Umständen gesagt werden muß? Ja, wenn ich sie überhaupt noch vorließe?“

Und ohne seine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: „Nein, nein, nicht ich darf ihnen ihr Gold vor die Füße werfen. Das geziemt dem Kanzler. Wir wollen die Audienz abbestellen; Ravestein soll Unsere Antwort übernehmen.“

Jeder Einwand war abgeschnitten, denn mit dem letzten Worte hatte sie sich zur Aebtissin zurückgewendet.

„Ja, Base, so ist mir leichter um's Herz,“ hörte man sie hochaufathmend noch zu derselben sagen, und als die Aebtissin mit schelmisch-drohendem Finger in der Thür mit ihr verschwand, erklang aus dem Nebenzimmer, leise lachend, Maria's melodische Stimme: „Nein, Base, auf den Beinamen meines Vaters hat man mich nicht mitgetauft.“

Die Thür schloß sich hinter ihnen; ein Diener erschien, das Säckchen zu holen, und entfernte sich sogleich wieder. Hugo und Adelheid waren allein. Das Hoffräulein warf einen Blick voll boshafter Schadenfreude auf den Ritter, der, stumm vor sich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Zützen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_614.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)