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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Ein Abend im Harem.
Von einer Dame.


Arabisches Sprüchwort:
     Reisen bringt Rosen
     Und scheue nur die Reisedornen nicht!
     Denk’ an die Reiserosen,
     Die köstlichen, die dir entgegenblühn!

Wir waren im Ramazan, dem durch die Religion gebotenen Fastenmonat der Bekenner des Islam. Diese Zeit häufigerer Gebete und leiblicher Enthaltsamkeit – von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang soll nichts genossen werden – schließt mit dem großen dreitägigen Beiramfeste. Schreiberin dieses war in jenen Tagen Zeugin eines gemüthlichen Harems-Abendessens.

Einladungen finden zu dem abendlichen Festessen, dem Iftar, womit man nach Sonnenuntergang die Fasten bricht, nicht statt. So wurden wir denn durch eine Art Verabredung eine Viertelstunde vor Sonnenuntergang im Gouvernementsgebäude erwartet. Zuerst traten wir drei Damen, meine Freundin, eine Dolmetscherin und ich, mit unseren Herren in den Selamlik, das heißt in denjenigen Theil des Hauses, der bei den Muselmännern nur für die Herren bestimmt ist. „Selamlik“ heißt Friedensraum, „Haremlik“ verbotener Raum. Wir wollen hoffen, daß erstere Bezeichnung nicht etwa mit Bezug auf die völlige Abwesenheit der Damen im betreffenden Raum entstanden ist. Dies verbieten schon zwei Umstände. Erstens ist ein Vortheil der Haremseinrichtung jedenfalls der, daß Gardinenpredigten in Folge der völligen Unkenntniß der Frau von den Geschäften und Vergnügungen des Mannes hier fast unmöglich werden. Zweitens hat diese Bezeichnung des Gastzimmers des Hausherrn an sich seine tiefe Bedeutung in einem Lande, wo neben vielen anderen chevaleresken und interessanten Gebräuchen auch Dolch und Gift noch an der Tagesordnung sind.

Im Gouvernementsgebäude war dieses Friedenszimmer ein schöner Saal. Vergebens sahen wir uns aber nach der eigenthümlich türkischen Einrichtung, den Divans an den Wänden, den mit Perlmutter und Ebenholz eingelegten niedrigen Tischen, den schwellenden Teppichen mit ihrer entzückenden Farbenharmonie, um. Die Einrichtung sollte jedenfalls einen europäischen Empfangssalon imitiren; durch die bedenkliche Aehnlichkeit mit einem Eisenbahn-Wartesaal erster Classe verlor sie aber viel von ihrem Reize. Wer kennt die weinrothen Sammetmöbel mit Mahagonilehnen nicht, den geschmacklosen groß gemusterten Blumenteppich, den runden Tisch mit inhaltsleerer Platte? Hier fand man sie alle und war versucht, in Ermangelung einer Reisetasche Hut und Umhang abzulegen. Es fehlte alle Füllung mit anderen Möbeln, alle Kleinigkeiten, die ein Zimmer hübsch machen, und jeder Wandschmuck von Bildern. Letzteres ist allerdings aus der Religion des Islam erklärbar. Nicht Alle ahmen jenem Sultan nach, der sich malen und das Bild in seinem Zimmer aufhängen ließ, um die strenge Sitte zu brechen.

In diesem Selamlik waren sechs bis acht Herren versammelt. An der Art, wie sie sich niedergelassen hatten, erkannte man deutlich, daß man sich trotz der europäischen Einrichtung des Zimmers in einem außereuropäischen Lande befand. Wie ein Richter dem Gerichtshof, so saß hier der Wirth seinen Gästen gegenüber. In den erwähnten rothen Lehnstühlen hatten letztere im Halbkreis an einer Wand des Zimmers Platz genommen, und in einem Armlehnstuhl ihnen gegenüber sitzend, machte der Vali (Generalgouverneur) die Honneurs seines Hauses. Seine Gäste waren, außer uns, nur Muselmänner, die höheren Beamten der Provinz. Sie trugen europäische Tracht, aber das rothe Fez und sprachen alle französisch.

„Doch wie ist es mit dem Harem?“ höre ich fragen. Geduld! Es geht nicht so rasch. Nur der Hausherr kann uns Europäerinnen dort einführen, obgleich wir erwartet werden.

Man führte uns Damen zum Sopha; ganz wie in Europa folgte nun eine allgemeine Unterhaltung, und erst als unsere Herren an dem Tschibukrauchen Theil genommen hatten, das man auch uns scherzhaft anbot, frug uns seine Excellenz mit freundlichem Lächeln, ob wir ein wenig zu seiner „Familie“ gehen wollten. Das Wort „Frau“ in der Bedeutung Gemahlin des Sprechenden darf nicht ausgesprochen werden. Es heißt immer „Familie“, auch wo keine Kinder und nicht mehrere Frauen im Harem sind! Man muß dann die Frau mit ihren Dienerinnen darunter verstehen.

Auf unsere zustimmende Antwort reichte der Vali mir den Arm; meine Freundin und die Dolmetscherin mußten aber ungeführt folgen, da kein anderer Mann als der Gemahl den Corridor, der zur Haremsthür führt, betreten darf.

Es ging an der Wache vorbei und dann durch leere Flure, bis wir zuletzt durch einen langen, schmalen Corridor an den Haremseingang gelangten. Hier klopfte der Pascha an die Thür; diese öffnete sich leise und ohne daß wir Jemand bemerkten. Wir traten ein und fanden uns in einem Vorflur, auf welchen sich verschiedene Thüren öffneten. Vor einer derselben sahen wir eine einzelne Dame stehen. Sie trug ein wallendes, weißes Gazekleid, war mittelgroß, üppig gebaut und von hübschen und einnehmenden Gesichtszügen. Der Vali führte mich dicht zu ihr heran, ließ mich in demselben Augenblicke los und stellte mich kurz vor. Darauf machte er Kehrt und verschwand schleunigst durch seine Thür. Er war augenscheinlich etwas im Dilemma zwischen europäischer und Haremssitte. Nach letzterer war es ja überhaupt ganz unpassend, daß er den Besuch seiner Frau erblickte.

Zum ersten Mal in meinem Leben stand ich einer unverschleierten vornehmen Türkin gegenüber. Unsere erste Begrüßung war, da ich leider so viel wie gar nichts von ihrer Sprache verstand, stumm, denn die Dolmetscherin mußte sich zuerst in der gebührenden Entfernung halten.

Die weißgekleidete Dame, welche die Gemahlin und zwar die einzige des Pascha war, führte uns in diejenigen inneren Gemächer, welche zur einen Seite des Vorflurs lagen. Es waren zwei kleine Wohn- oder Empfangszimmer, fleckenlos weiß, aber sehr einfach eingerichtet. Rohrgeflecht-Matten bedeckten den Boden. Weißgemalte Wände, weiße Gardinen, weiße, in schönen, dicken Mustern gehäkelte Schutzdecken auf den Divans machten einen gar freundlichen Eindruck. Ein kleiner Tisch in der Mitte des Zimmers bildete nebst den Divans und den auf der Erde liegenden weißen Kissen das ganze Mobiliar. Auf dem Tisch standen zwei Kerzen, und zwei kleine vergoldete oder goldene Kelche und Albums lagen darauf. Die Fenster waren offen, die „Jalousien“ jedoch dicht geschlossen.

In ihrem weißen, goldfunkelnden Gewand ließ sich die Dame des Hauses auf den einen, wir, nach eben erlernter Sitte, auf dem gegenüber befindlichen Divan nieder, und durch Vermittelung der Dolmetscherin begannen wir zu plaudern. Ich wollte, ich könnte die friedliche, lauschige, ja poesievolle Stimmung schildern, welche mich in diesen von der Außenwelt völlig abgeschlossenen kleinen, weißen Zimmern ergriff. Während die Haremseinrichtung, von außen betrachtet, nur etwas Entwürdigendes hat, kommt man im Inneren derselben auch auf andere, ganz von diesen verschiedene Gedanken. Diese Ruhe, dieser Herzensfriede, dieses Behütetsein gleich dem kostbarsten Juwel muß doch auch seine unleugbaren Vorzüge haben. Ein Vergleich zwischen dem christlichen und dem muhamedanischen Eheleben giebt viel zu denken. Das Meiste, was sich darüber sagen läßt, wird indessen doch wohl zu unseren Gunsten ausfallen.

Die Frau des Hauses empfing uns allein; erst als wir schon in lebhafter Unterhaltung waren – sie war ebenso freundlich und entgegenkommend, wie ihr Mann seinen Gästen gegenüber im Selamlik – erschienen nach und nach einige andere Mitglieder der Familie.

Zuerst trat eine Dame ein, die uns als ihre Nichte und Frau ihres Neffen vorgestellt ward. Dann guckte deren neunjähriges Töchterchen mit einer circassischen Gespielin und noch einem anderen dreijährigen Kindchen durch die Thür und wurde hereingerufen. Die beiden kleinen Mädchen gaben uns sehr gesittet die Hand. Eine ältere Dienerin, die ganz das Wesen einer gut behandelten europäischen Kinderwärterin hatte, hielt sich ihrethalben im Vorflur auf. Andere Dienerinnen, oder vielmehr Sclavinnen, sahen wir vorläufig nicht. Die Kinder ließen sich auf eines der breiten, niedrigen Kissen am Boden nieder. Die Nichte nahm eine Art Puffstuhl neben dem Divan, auf dem die Tante thronte, ein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_603.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)