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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Das Silberjubiläum des Germanischen Museums in Nürnberg.


Welchen deutschen Historiker, welchen Kunstgelehrten und Kunstenthusiasten hätte es nicht schon wiederholt mit heißer Sehnsucht nach dem mittelfränkischen Mekka der Kunstpilger, dem in seinem alterthümlichen Reize einzigen Nürnberg, hingezogen? Welche andere deutsche Großstadt ließe sich mit der alten Noris, mit diesem hochinteressanten Reichskleinod der Deutschen vergleichen? Fesselt doch in allen Winkeln der winkelreichen Stadt irgend eine Curiosität, finden sich doch daselbst in Kirchen und Capellen, Hallen und Häusern, an Brücken und Brunnen, an Thürmen und Thoren die werthvollsten Alterthümer und Kunstschätze, von denen jede Einzelheit ihren Interpreten fand und zu einem anziehenden Capitel der deutschen Kunstgeschichte gemacht wurde. Im Diadem der Germania strahlt diese alte Reichsstadt als einer der hellsten Edelsteine, und sie wird, obgleich ihre alte Blüthezeit als Reichsstadt längst entschwunden, dennoch die Zierde und der Stolz unter den Städten des Reiches bleiben. – Seitdem in dem „Germanischen Museum“ durch ein vereintes Wirken und Spenden der deutschen Fürsten und des Volkes eine Central-Ehrenhalle für deutsche Alterthümer und Kunstschätze errichtet, mit Eifer und Erfolg auf’s Reichste ausgestattet und zu einem Kunsttempel ausgeschmückt wurde, concentrirt sich auf diese herrliche Sammelstätte das Interesse aller Bewunderer. Die Dürftigkeit der Anfänge vor zwei Jahrzehnten erscheint gegenüber der jetzigen Reichhaltigkeit wie ein unglaubliches Märchen, und schon bedarf es jetzt einer mehrtägigen Wanderung durch die Klostergänge, Säle und Hallen, um nur einigermaßen die Fülle der Gesichte zu bemeistern. Seufzend muß der Tourist oder kunstsinnige Laie, der im Sturmschritt „Alles mitnehmen“ möchte, auf genauere Betrachtung verzichten, während der gelehrte Stoßvogel sich meist nur auf die neuesten Errungenschaften des Sammelfleißes stürzt und dem Anstaltsdiener, der „Schluß“ ansagen muß, mit ungnädigem Stirnrunzeln Folge leistet. Was die räumliche Ausdehnung des Ganzen betrifft, so sind die Häuser an der Ostgrenze, die den Bauplatz für den neuen Galeriebau umschließen, schwerlich auf längere Zeit vor Annexion gesichert und müssen vielleicht bald einem weitern Anbau weichen.

So hat sich denn der deutsche Geist, der Gemeinsinn für deutsche Geschichte, Kunst und Wissenschaft das beste Ehrendenkmal in diesem Nationalmuseum gesetzt, das noch den spätesten Epigonen ein Vereinigungpunkt zu idealen Zwecken und ein Gegenstand der Bewunderung bleiben wird, namentlich wenn erst die hohen Intentionen der gegenwärtigen hochverdienten Leiter zur Ausführung gekommen sein werden. In der Entwickelungsgeschichte der Anstalt könnte man einen gewissen Parallelelismus mit der Entwickelung der deutschen Einheit finden. Nachdem das Germanische Museum, welches bekanntlich im Jahre 1852, also in der aschgrauesten Reactionsperiode deutscher Geschichte, unter der Protection des Prinzen, nachmaligen Königs Johann von Sachsen gegründet und dann durch seinen Gründer, Freiherrn Hans von und zu Aufseß, mit todesverachtender Energie emporgebracht wurde, anfangs nur dürftig aufgezogen worden war und manche Kinderkrankheit überstanden hatte, brachte erst die neueste Epoche deutscher Geschichte, in welcher sich der niedergebeugte Nationalsinn wieder zur Kraft und Kraftfülle aufrichtete, den gehofften Aufschwung des Nationalwerkes. Wie wäre auch früher, als noch kleinlicher Particularismus, dynastische Zersplitterung, lächerliche Eitelkeit und Wichtigthuerei mit undeutscher Politik und ideenloser Ausländerei Hand in Hand gingen, an ein werkthätiges Schaffen für das Allgemeine, an eine deutsche Union zur Wahrung geistiger Interessen und Fürsorge für nationale Güter zu denken gewesen!

Erst durch die Aufrichtung des neuen Deutschen Reiches kam neues Leben in die Verzauberten, wurde das in Reactionsschlaf versunkene Dornröschen wieder in helleres Licht gebracht, reicher geschmückt – nicht von einem einzelnen Prinzen oder Ritter, sondern vom ganzen deutschen Volke. Das Germanische Museum ist der beste und sichtlichste Beweis für jene so oft mit Grund bezweifelte einheitliche Thatkraft des deutschen Volkes, und das Gedeihen des Werkes bestätigt, daß die Deutschen für die Ehre ihrer Nation eifrig eintreten wollen, daß sie diese Verpflichtung gegen sich selbst nicht als eine Last, sondern als eine Freude empfinden und neben der politischen Einheit namentlich auch für die geistigen Errungenschaften und Besitzthümer eine größere Concentration erstreben.

In solchem mehr idealen Sinne wollten wohl auch die Festordner des Silber-Jubiläums, der Gesammtverein der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine nebst dem Nürnberger Comité, die ganze Festlichkeit aufgefaßt und gefeiert sehen; also verzichtete man darauf, durch lockende Belustigungsprogramme Volksmassen herbeizuziehen oder nach der Schablone ein rauschendes Volksfest zu arrangiren. Gänzlich fern blieb diesem schönen Feste jene banale Demonstrationslust, die sich in ewiger Wiederholung der deutschen Turner- oder Sängerfestphrasen ergeht und gewöhnlich in einem Chaos gedankenloser Vergnüglichkeit endet. Dagegen war dafür gesorgt, daß die Feststimmung durch die Kunst der Töne höhere Weihe erhielt, wozu besonders der berühmte Riedel'sche Verein aus Leipzig in einem kirchlichen und in einem weltlichen historischen Concerte sein Bestes beigetragen und eine Fülle künstlerischer Genüsse geboten hat.

Auf die Specialitäten des Programms, das für sieben Festtage ausreichte, einzugehen, war die Aufgabe der verschiedenen Tagesblätter, die sich für die Feier interessirten, und es genügt, auf die Berichte derselben hinzuweisen. Die erste Abtheilung des Festes vom 12. bis 15. August beschäftigte ausschließlich die Träger der Festidee selbst, während die zweite, vom 15. bis 18. August, zunächst der Grundsteinlegung zu dem auf Reichskosten errichteten neuen Galeriebau, ferner den musikalischen und theatralischen Ausschmückungen der Festfreude gewidmet war. So weit auch die Anzahl der gelehrten auswärtigen Theilnehmer hinter den Erwartungen der Festgeber zurückblieb, so waren doch die Hauptzierden der deutschen Gelehrten-Republik der Einladung hinreichend gefolgt und bethätigten sich eifrigst bei den wissenschaftlichen Verhandlungen, z. B. die Herren Oberappellationsrath Draudt aus Darmstadt, Präsident des Gesammtvereins, Geh. Rath Waitz aus Berlin, Director Lindenschmitt aus Mainz, Dr. Ohlenschlager aus München, Dr. Mehlis aus Dürkheim etc. Was von diesen Specialisten der Alterthums- und Kunstwissenschaft trotz der tödtlichen Augusthitze in kurzer Zeit durchberathen, angeregt, vorgetragen und überhaupt geleistet worden ist, war staunenswerth, entzog sich aber vielfach, wenn nicht dem Interesse, so doch dem Verständnisse der Laienwelt. Für den Nürnberger Patriotismus mußte namentlich der Vortrag des Herrn Professor Günther aus Ansbach über „die Bedeutung der Nürnbergischen Mathematiker und Instrumenten-Techniker für die Fortschritte der Naturwissenschaften und die großartigen Entdeckungen des 15. bis 17. Jahrhunderts“ sehr anziehend und spannend sein.

Auf Antrag des Herrn Baurath Mothes aus Leipzig beschloß die tagende Versammlung für den Gesammtverein, sich der an den Reichstag gerichteten Petition der Architekten- und Ingenieurvereine um systematische Fürsorge für die Erhaltung deutscher Alterthümer durch die Reichsregierung anzuschließen.

Bei dem unter den üblichen Formen vollzogenen Actus der Grundsteinlegung des Galerienbaues, der die Gemäldesammlungen aufnehmen soll, nahm durch die glänzende Festrede des ersten Directors, Herrn Dr. Essenwein, die Feststimmung einen rapiden Aufschwung zu patriotischer Begeisterung, die in einem Hoch auf Kaiser und Kanzler, die „Bauherren Deutschlands“, gipfelte. Der Redner feierte dabei mit rühmlicher Bescheidenheit die hohen Verdienste des Gründers, Freiherrn von Aufseß, und betonte, daß nicht Einzelne, sondern die Fürsten und das deutsche Volk im schönen Bunde als Bauherren auch dieses neuen Anbaues zu ehren seien. Herr Director Essenwein war die Seele des ganzen Festes. Man muß zu diesem Manne, dem es möglich gewesen, die Jubelfeier trotz der verdrießlichen Vorereignisse, respective kläglich negativer Ergebnisse großer Mühe, dennoch so ehrenvoll und schön durchzuführen, mit Bewunderung emporsehen. Allen Respect auch vor den tüchtigen Kräften, die ihn unterstützten, aber von deren Verdiensten abgesehen, haben sich weitere Festordner im Ganzen herzlich wenig aufgeopfert. Die bajuvarische Gemüthlichkeit haßt nichts so grimmig, als sommerliche Festarbeit, die den Bierovaren „a Malefizschund“ ist, und leider arrangiren sich Feste niemals von selbst. Desto aufreibender war für den Allesbesorger die Sisyphosarbeit, bei welcher ihm der „Nürnberger Trichter“ vermuthlich gar nichts nützen konnte.

Auge, Herz und Magen erlabten sich nach dem Actus beim Frühstück. In zwangloser Fidelität bewegten sich die Gruppen durch einander; viele alte Cameraden drückten sich kräftig die Hände; manches hübsche Gesicht lachte die würdigen alten Herren an, die bei exquisitem Bier oder mittelmäßigem Wein saßen und einstimmig die Nürnberger Blondinen köstlicher fanden, als die kostbarsten Alterthümer, Sphinxe, Madonnen und sonstige Schätze. Außerdem war „Arion“ (aus Leipzig) so sehr „der Töne Meister“, daß er sogar auf Stöcken ganze Ouverturen flötete und in musikalischen Humoren aller Art sich losließ. Auch in begeisterten Toasten machte sich die freudig erregte Stimmung Luft. Herr Baurath Mothes feierte Herrn Director Essenwein, der nächstfolgende mit donnerndem Beifall belohnte Redner, Herr Dr. W. Vogt aus Regensburg, den hochverdienten zweiten Director des Museums, Herrn Dr. Frommann, welchem es zu danken sei, daß außer der Sammlung von Kunstkostbarkeiten auch die deutsche Sprachwissenschaft im Germanischen Museum so trefflich gepflegt würde.

Das solenne Kirchenconcert des Riedel’schen Vereins in der prachtvollen Lorenzkirche, ein Glanzpunkt der ganzen Feier, spendete musikalischen Feinschmeckern wahre Hochgenüsse, denn der rühmlichst bekannte Dirigent hatte in seinem Programme, ausgehend von den an Süße und Schmelz überreichen Compositionen der classischen Italiener und fortschreitend zu den durch kernige Kraft und Gemüthstiefe jene ersteren weit überragenden deutschen Meistern und Heroen bis zu dem grandiosen Sebastian Bach, den Ohren der Zuhörer einen historischen Schmauß mit feinsten Delicatessen vorgerichtet. Im Ruhmeskranze des Vereins war diese Leistung wieder eine der farbigsten und duftigsten Blüthen. Ebenso großartigen Erfolg hatte das weltliche historische Concert in der renovirten Katharinenkirche, an der classischen Stätte, wo einstmals die kunstgeübten Meistersinger Nürnbergs sich versammelten. Den Löwenantheil des unermüdlichen Beifalls erhielten mit Recht die herzigen Lieder von R. Franz, Mendelssohn-Bartholdy und Schumann, die mit unvergleichlicher Frische und wohldisciplinirter Reinheit zum Herzen klangen, während die abschließende R. Wagner-Abtheilung, wenigstens im Solovortrage, unter dem Einflusse der Erschlaffung zu leiden hatte. Die am Mittwoch vorhergegangene Abendunterhaltung des Renner’schen Madrigalquartetts, das übrigens recht gut gesungen haben soll, wollte ich mir lieber schenken, weil zu vielerlei Musik selbst für einen begeisterten Musikmenschen zum zehrenden Coloraturkäfer werden kann.

Was am Mittwoch bei der Ankunft in der Feststadt noch schmerzlich beklagt wurde, nämlich der leidige Ausfall des großen historischen Bankets im Rathhaussaale, das war am Freitag bei wirklichem Festbiere in der Himmelsleiter, im gläsernen Himmel, im Bratwurstglöckle, bei Welk und anderen Bierwohlthätern der Menschheit schon wieder in Vergessenheit hinabgetrunken. Der Grund der wesentlichen Programmlücke ist lediglich in der fehlenden Betheiligung zu suchen, denn nur 3, schreibe drei, Männer waren so begütert und geschwollen, die fünfunddreißig Mark zu zeichnen. Natürlich verbot ihnen der Hausarzt, den ganzen Vorrath hochseltener Alterthumsgerichte mit Ingwer, Pfeffer, Honig etc., der auf hundertdreißig Gedecke berechnet war, ganz allein aufzuessen. Der verunglückte Banketwirth soll das begeisterte Hoch, welches er eigentlich auf das Festcomité ausbringen wollte, lieber bis zum nächsten Martinsschmauß aufgespart und nun Anderen zugedacht haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_592.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)