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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Aber hoch aufathmend, als wäre ihm ein Alp von der Brust genommen, blickte der graubärtige Wildmeister zum Himmel.

„Sollte nicht mon Seigneur wenigstens noch ein Stündlein für uns erübrigen können?“ rang fast flehentlich der Erstere hervor. „Dort vor uns liegt das schöne Wild, das Ihr für unser gnädiges Fräulein erbeuten wolltet.“

„Des Kaisers Befehl duldet keinen Aufschub,“ fertigte ihn barsch der Ritter ab.

„Es thut mir leid für die Mühe, die Ihr Euch um mich gemacht habt,“ fiel Max ein, indem er sein offenes blaues Auge mit einem eigenthümlichen Forscherblick auf den Rothbärtigen heftete. „Aber ich kann Euch nur den Waldvogt mit dem Troß und den Rüden zur Verfügung stellen. So werdet Ihr auch ohne mein Zuthun Euren Zweck erreichen. Den 'Schrecken der Wälder' aber liefert mit meinem Gruße der Herzogin ab! Wohlan, Waldvogt, begleitet die Herren mit Euren Leuten und berichtet mir schriftlich, was Ihr in der Schlucht gefunden! Es verlangt mich sehr, davon zu hören. Ihr, Herberstein, und Du, Ceschy, folgt mir mit den Reitknechten und dem Packthier!“

Wie ein armer Sünder bohrte der Rothbärtige seinen Blick in den Boden. Aber noch einen letzten Versuch wollte er machen.

„Eure Pferde sind abgetrieben, Herr,“ sagte er aufblickend. „Sollte ihnen nicht eine kurze Rast ...?“

„Zu einem Imbiß für Mann und Roß möchte auch ich mich unterstehen zu rathen,“ fiel beipflichtend der Waldvogt ein.

„Und zu einem guten Trunk – nicht so, Vogt?“ spottete der Ritter. „Ei wohl, Ihr möget ihn Euch vergönnen, denn Ihr habt gute Weile. Uns aber dürstet nach Thaten.“

„Recht, Herberstein, und ich werde Euch den Bronnen zeigen, um Euren Durst zu stillen,“ rief Maximilian, sich in den Sattel schwingend. „Gott befohlen, ihr Herren!“

Und den Zurückbleibenden mit der Hand winkend, sprengte er mit seinen Begleitern und dem Grauen davon.

„Halb schon in der Falle, und doch!“ ... knirschte der Rothbärtige für sich und stampfte mit dem Fuße. „Die Pest über den Grauen!“ Dann sich zum Waldvogt wendend, der sich bereits unter einer Erle niedergelassen hatte und, den Inhalt einer Waidmannstasche vor sich ausbreitend, eben einen kräftigen Zug aus einem ansehnlichen Fläschlein that, warf er scheinbar gleichgültig hin: „Wahrlich, ein Kunststück war’s, uns hier aufzuspüren. Kennt Ihr den Fremden, Waldvogt?“

„Habe ihn niemals gesehen.“

„Glaubt Ihr, er komme von Oestreich?“

„Da hätt’ er mögen viele Klepper zu Tode reiten.“

„Aber von Köllen?“

„Möglich. Doch ein Deutscher ist’s nicht. Wenn Ihr nicht ein Welscher wäret, wie der Herr Collega sagt, würdet Ihr wissen, wie ich, daß er nach seiner Mundart ein Gelderer ist.“

„Ein Gelderer!“ wiederholte für sich, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, der Rothbärtige, während die Mundwerkzeuge des Andern sich der angenehmeren Unterhaltung mit einem halben gebratenen Birkhuhne hingaben. „Ein Gelderer! Also einer von den halben Rebellen, die dem Kanzler, wie dem Clever längst verdächtig sind. Sollte er auf ähnlichen Pfaden wandeln, wie ich? Dem Prinzen blieb das Wort 'Wien' in der Kehle stecken. Hat wohl das Lügen noch nicht recht erlernt? Ein Meister merkt das gleich. Sapristie, da gilt es wachsam sein und auf der Fährte bleiben. Zum Glück sind die Leute zur Hand, und der Waldvogt darf ohnehin nicht erfahren, was die Schlucht birgt.“

Nach kurzer Rast trennten sich der Waldvogt und der Rothbärtige, beide Theile mit freundnachbarlichsten Versicherungen, der behäbige Deutsche ohne Ahnung, an welcher Wandlung der Geschicke eines großen Reiches er hier theilgenommen, der arglistige Welsche mit dem Eifer und der Hast des Spielers, der das Glück zu zwingen gedenkt, ihm den verlorenen Einsatz zurückzuerstatten.

Und daß er in der That diese Hoffnung nicht aufgegeben, zeigte sich bald. Denn kaum eine halbe Stunde später konnte man einen Haufen von fünfzig Fußknechten die Schlucht verlassen und innerhalb des Waldsaumes auf der burgundischen Seite eilig nach Norden ziehen sehen. Und seltsam – fast gleichzeitig kam auf demselben Jagdklepper, den bisher der Rothbärtige geritten, ein Bäuerlein, im blauen Wollkittel stark in den Schultern steckend und im niedrigen Filzhute noch zwerghafter erscheinend, mit einem großen Hafersacke vor sich auf dem Sattel, an den Bach getrabt; er ritt fein säuberlich hindurch, untersuchte jenseits die Richtung der Hufspuren, die der Zug des Prinzen und seiner Begleiter zurückgelassen, und folgte ihnen alsbald in scharfer Gangart gen Eupen.

Der Prinz aber war unterdessen eine geraume Zeit, den Seinigen vorauf, dahingejagt. Der Nordwind hatte ihm längst die heiße Stirn gekühlt, aber seine Augen starrten noch immer vor sich hin in’s Blaue, während in seinem Innern hundert Pläne wie Nebelgebilde sich kreuzten.

Endlich hielt er sein Thier ein wenig an, um den Grauen an seine Seite zu rufen.

„Wie kamt Ihr dazu, mich an so entlegener Stelle aufzufinden?“ fragte er, sogleich weiter trabend.

„Ich erfuhr in Aachen, wo Ihr wäret, Herr, und ritt die Grenze so weit hinunter, wie Ihr selbst gelangt sein konntet. Ein gewaltiger Schuß aus der Ferne lehrte mich dann das Weitere.“

„Ihr sagt, die Herzogin von Burgund habe den Plan ersonnen. Aber wer stand ihr als Rathgeber dabei zur Seite und half ihr den Plan ausführen?“

Im Gesichte des Grauen zuckte es seltsam. Es schien ihm einen Kampf zu kosten.

„Das ist ein großes Geheimniß, Herr,“ versuchte er auszuweichen.

„Ich muß klar sehen bei solchem Wagniß, muß wissen, auf wessen Beistand ich zu rechnen habe.“

„Herr ... es kommt mich hart an, und jedem Andern würde es den Kopf kosten, aber ich glaube selbst, Ihr dürft es verlangen. So will ich Euch denn sagen, so viel ich verantworten kann. ... Es besteht ein furchtbarer Geheimbund ... eine Vehme.“

„Zu welchem Zweck?“

„Gegen die verrätherischen Franzosenfreunde, gegen die Mordbrennerbanden, gegen den Clever, gegen Jeden, der die Freiheit der Herzogin und der Staaten bedroht, und ... was sonst noch für Zwecke sind.“

„Steht die Herzogin mit dem Bunde in Verbindung?“

„Ich denke wohl. Aber ohne daß sie es ahnt, Herr. Sie soll nicht mehr vom Bunde wissen, als was im Volke umgeht, daß er vornehmlich die französischen Verräther im Lande bedroht. Ihr müßt nämlich wissen, daß nicht blos in Burgund, auch in Hennegau, selbst schon bis in Welsch-Flandern hinein Alles französisch geworden ist in Sprache und Sitten. Viele Edelleute gehen dem König Ludwig in Frankreich zu Lehen. So haben die Staaten die schlimmsten Feinde im eigenen Lande. Gegen sie ist der Bund, wie man glaubt.“

„Warum denn auch gegen den Herzog von Cleve, wie Ihr sagt?“

„Weil er selbst nur für einen ehrgeizigen Freibeuter gilt. Wenn er die Herzogin an seinen Sohn verkuppelt hat, wird er die Rechte der Staaten mit Füßen treten.“

Maximilian hielt unwillkürlich die Zügel an und sah dem Grauen mißtrauisch in’s Auge.

„Und wäre das nicht noch mehr von mir zu befahren, als von einem kleinen Herrn ohne eigene Macht?“

Der Graue befand sich offenbar in ziemlicher Verlegenheit; er wiegte den Kopf hin und her; seine Nasenflügel hoben und senkten sich. Endlich hatte er seinen Entschluß gefaßt.

„Euer Verhör ist scharf, Herr. Ihr zwingt mich, noch mehr zu sagen. ... Seht, unter den Staaten ist seit einigen Jahren auch Gelderland. Ihr wißt, das Herzogthum geht dem deutschen Reiche zu Lehen. Es ist ein weites, fruchtbares Land, von der Maas bis zur Zuydersee, mit einem freien, starken Volke. Es hat immer seinen eigenen Herzog gehabt, bis Graf Adolf der Böse mit seinem alten Vater, dem Herzoge Egmont Arnold, in blutige Fehde gerieth und ihn gefangen nahm. Da half sich der Alte mit einem verzweifelten Mittel. Er rief Herzog Karl den Kühnen, seinen Schwäher, zu Hülfe und verpfändete ihm dafür sein Land an Burgund. Adolf wurde von Karl geschlagen und mußte sich fügen, aber er hielt nicht Ruhe und stiftete neue Empörung an. Es half ihm nichts; er fiel in des Herzogs Hand und wurde auf Lebenslang in das feste Schloß zu

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