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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Spinne zerquetschen, ich aber, ich fange ihm noch in ihrem Netze den gefährlichsten Feind. Lohn und Ehre sind mir sicher, und Burgund und Niederland mögen mir's danken, wenn sie an den ruhmvollen französischen Siegeswagen gespannt werden, statt an den rumpligen deutschen Karren.“

Und in der That, an diesem Bache, über den der Prinz schon gesetzt war, hing das Schicksal eines großen Reiches und mehr. Wurde dieses Reich ein Zuwachs Frankreichs – was würde aus Europa geworden sein? Gewann es ein machtloser kleiner Herr – wie bald würden die zusammengewürfelten, längst gährenden Theile ihr Band zersprengt haben! Dagegen mit dem ritterlichen Max an der Spitze – was schien nicht aus Niederland werden zu können!

Wie ein Schleier der Zukunft lag der graue Aprilnebel über dem Bache, aber kein Zauberspiegel warf darin Gebilde künftiger Geschicke voraus. Kein Schattenbild spiegelte hindurch; keine Vorahnung von spanischer Nachfolge, blutigen Bürgerkriegen und eines Alba unbeugsamer Schreckensgestalt.

Aber was war das? Warum hielt plötzlich der Prinz sein Pferd an und suchte seitwärts zur Rechten hinter den Erlenbüschen hindurch zu spähen, als ob etwas Außergewöhnliches seine Aufmerksamkeit fessele? Mit Schrecken gewahrte es der Rothbärtige; augenblicklich wendete er sich nach derselben Richtung und konnte selbst nunmehr einen Reiter erblicken, der in der Richtung von Eupen her mit hocherhobener Hand ein Zeichen zum Halten machte.

„Diable!“ knirschte er. „So nahe dem Ziele! Was kann das bedeuten?“

Auch das Jagdgefolge kam jetzt heran, und der fremde Reiter traf fast gleichzeitig mit demselben ein.

In grauer Gugel, grauer Kappe, mit grauem Barte würde ihn Jeder, der am Morgen den grauen Reiter von der Frankenburg fortjagen gesehen, für diesen gehalten haben. Auch hing ihm am Sattel selbst die länglich ovale Holftertasche mit dem seltsam geformten Gegenstande darin. Als er aber jetzt absprang, und sein Blick, den Jagdzug überfliegend und den Rothbärtigen flüchtig musternd, drüben auf dem Jünglinge mit der Adlerfeder haften blieb, da begannen seine Gesichtsmuskeln mit Hülfe der weit geblähten Nasenflügel ihre freudige Erregung in so eigenthümlicher Weise auszudrücken, daß der kleine Rathsschließer in Aachen darauf geschworen haben würde, dieser Mann sei trotz des grauen Bartes und der höckerlosen Nase ein und dieselbe Person mit dem rothen Spielmanne von Geldern.

„Zurück, Herr!“ rief er fast athemlos vor Erregung. „Zurück, Herr! Wichtige Nachrichten aus Wien!“

„Was giebt's?“ rief Maximilian herüber.

„Lest es, Herr! Hier steht es geschrieben,“ antwortete Jener, einen Brief hervorziehend.

„Gebt mir das Schreiben!“ drängte sich der Rothbärtige herzu. „Ich bin noch im Sattel und setze hinüber.“

Höhnisch zuckten die Nasenflügel des Grauen. „Dank Euch!“ sagte er kurz. „Bei uns im Lande Oesterreich schaut man sich einander auf den Fuchsschwanz an, Ihr aber habt deren zwei.“

Der Rothbärtige erblaßte und wandte sich dem Wildmeister zu. Maximilian aber sprengte mit einem Satze auf das Reichsgebiet zurück und schwang sich aus dem Sattel.

„Was ist es? Woher kommt Ihr? Gebt!“

„Die Botschaft ist geheim, Herr,“ raunte ihm der Graue zu. „Tretet mit mir hinter den Erlenbusch!“ Als sie vor den neugierigen Blicken der Anderen geborgen waren, faltete er auf einem Tuch sorgsam ein kleines briefförmiges Papier und überreichte es dem Prinzen.

„Was sehe ich?“ rief Maximilian mit einem Blicke auf die Außenseite, welche zur Aufschrift nichts als die Worte trug: 'An M.' „Ihr kommt aus Gent!“

„Still!“ fiel ihm der Graue in's Wort. „Keiner darf es ahnen. Herr, Herr, Ihr seid in Gefahr. Der Rothbärtige ist der Leibjäger des Herzogs von Cleve.“

Es durchzuckte den Prinzen, indem er hastig den Umschlag öffnete. „Und wer seid Ihr?“

„Ein Bote der Herzogin von Burgund.“

„Welche Fügung! In diesem Augenblick!“ rief Max mit frommem Blick nach oben. Dann löste er aus dem geöffneten Umschlag ein Blättchen Pergamentpapier, drückte es an die Lippen und las, von Maria's Hand geschrieben:

„Eile, Herzlieber, eile! Jede Stunde kann mich Dir auf ewig entreißen. Noch hoffe ich auf Dich. Verlaß mich nicht!

Maria.“

„Um Gott, was geht in Gent vor?“ fragte er, bleich vor Erregung. „Erwartet man nicht eine französische Gesandtschaft?“

„Das eben ist es, Herr. Der Clever mit seinem Pöbel hat keine Zeit mehr zu verlieren. Die Herzogin hat das Schlimmste von ihm zu fürchten.“

„Wahr, wahr! ... Aber ich ... wie kann ich helfen ohne Heer?“

„Vernehmt, Herr! Die Herzogin sendet Euch insgeheim fünfhundert Mann Geldrischer Reiter. Sie sind eben neu ausgehoben, um das Staatenheer gegen die Franzosen zu verstärken, und haben sich unter zwei Hauptleuten bis zum Limburgischen oberhalb Aachen heruntergezogen. Dort harren sie im Geheimen unweit Heerlen an der Grenze, und in ihrer Mitte getraue ich mich Euch auf Waldwegen durch Nordbrabant unbemerkt nach Gent zu geleiten. Es sind treue Leute, Herr, die blind gehorchen, und nur ihre Hauptleute sind im Geheimniß. Der Plan ist gut, Herr. Das Staatenheer steht unter dem Präsidenten gegen den Feind; der Clever hat in der Stadt nur wenig Mannschaft; auf drei Heerstraßen schickt er seine Abtheilungen gegen Euch aus. Die Herzogin setzt all ihr Heil auf Euch. Wagt es, Herr! Ihr dürft sie nicht im Stich lassen – bei Gott, Ihr dürft nicht.“

„Ja, bei Gott nicht, denn Er hat mein Gebet wunderbar erhört und zeigt mir sichtbar seinen Willen ... Fünfhundert Reiter, sagt Ihr, erwarten mich?“

„Echtes Geldernsches Blut, Herr!“

„Das ist, was ich eben erflehte, und so schwere Pflichten ich auch verletzen mag, ich komme.“

Die Züge des Grauen verklärten sich bei dieser Antwort; seine Gestalt hob sich, und es wäre unmöglich gewesen, zu glauben, daß dieser ernste Mann, dessen Auge jetzt mit einem so innigen, fast edlen Ausdruck auf dem kaiserlichen Jünglinge ruhte, jemals sich zum Possenreißer erniedrigen könnte.

„Aber Vorsicht, Herr, Vorsicht!“ mahnte er. „Niemand darf auch nur vermuthen, was Ihr vorhabt. Kündet den Anderen an, daß Ihr nach Wien zurückgerufen seiet, nehmt nur wenige Getreue mit, und spornstreichs, wie Ihr geht und steht, stoßet noch heute Nacht zu uns!“

„Gut ersonnen, Mann! Wer erdachte den Plan? Das kommt nicht von Euch.“

„Alles von der Herzogin!“ erwiderte mit einem verschmitzten Blick der Graue, indem sich seine Nasenflügel schwellten, wie wenn Jemand Mühe hat, einen Ausbruch von Laune zurückzuhalten. „Aber noch einmal, Herr, Vorsicht! Und habet wohl Acht den Rothbärtigen zu täuschen. Mein Leben verwette ich, daß er Euch nichts Gutes sinnt; was hatte er mit Euch vor?“

„Sauen dort in der Schlucht zu suchen.“

„Ich dacht' es, dacht' es. Gerade zur rechten Zeit! ... Glaubt mir, Herr, dahinter lauert Tücke, und lasset uns eilen, denn wäre hier etwas zu befahren, so würde Euch nicht einmal die Reichsgrenze schützen.“

„Nicht einmal die Reichsgrenze!“ wiederholte Maximilian bitter für sich. „Dahin ist es gekommen. Armes Römisches Reich! Aber es soll anders werden. Wohlan denn, die Sanduhr träger Ruhe ist abgelaufen. ... Komm', Freund! Mein Entschluß ist gefaßt.“

Und festen Schrittes kehrte er zu den Uebrigen zurück.

„Eine Botschaft des Kaisers ist mir von Köllen nachgesendet worden,“ sagte er. „Unsere Pläne sind verändert. Ich muß zurück nach ... nach Wien.“

„Nach Wien? Gegen die Türken?“ jubelte der Junker.

„Was Türken! Gegen die Ungarn. Nicht also, Prinz?“ fiel der Ritter ein. „Wien ist wohl von Matthias Corvinus bedroht? Seit Euer Vater ihm nicht gegen den Halbmond geholfen, ist er ihm ein schlimmerer Feind geworden, als Muhamed selbst.“

„So ist es,“ bejahte Max. „Und höchste Eile ist mir anbefohlen worden.“

Der Rothbärtige hörte es knirschend vor innerlicher Wuth.

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