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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


elektrischer Strom, der so lange andauert, bis das eine Metall von der Flüssigkeit total aufgelöst ist. Es giebt nun verschiedene Vorrichtungen dieser Art, die man nach ihren Erfindern als Daniell’sches, Bunsen’sches, Grove’sches Element bezeichnet; durch Verbindung mehrerer solcher Elemente erhält man die galvanischen Batterien.

Unsere dritte Elektricitätsquelle ist die von dem großen englischen Physiker Faraday im Jahre 1831 entdeckte Inductionselektricität, die man zu Ehren ihres Entdeckers auch Faradismus nennt. Dieselbe beruht auf der Beobachtung Faraday’s, daß ein galvanischer Strom im Moment seines Entstehens und Vergehens in einem benachbarten, ebenfalls die Elektricität leitenden Körper, z. B. einem Kupferdraht, elektrische Ströme zu erzeugen im Stande ist. Wenn man also z. B. einen auf einer Holzspule aufgewickelten übersponnenen Kupferdraht mit einer galvanischen Batterie verbindet und in diese Spule eine ebenfalls mit Kupferdraht umwickelte Rolle hineinschiebt, so entsteht in dem Augenblicke, wo der galvanische Strom geschlossen wird, das heißt wo die beiden entgegengesetzten Elektricitäten Gelegenheit finden, sich zu vereinigen, ein momentaner elektrischer Strom in dem Drahte der innern Rolle, ebenso in dem Augenblicke, wo der galvanische Strom wieder unterbrochen wird. Man kann die Wirkung dieses „inducirten“ Stromes dadurch erhöhen, daß man in die Rolle einen Eisenstab einlegt; derselbe wird nämlich durch den elektrischen Strom magnetisch und wirkt in Folge der in diesem Zustande zwischen Magnetismus und Elektricität bestehenden eigenthümlichen Wechselbeziehungen wieder verstärkend auf den Strom zurück.

Man kam nun bald dazu, eine Vorrichtung zu ersinnen, mittelst deren auf einfache Art ein galvanischer Strom in rascher Aufeinanderfolge unterbrochen und wieder geschlossen werden kann, und da der ursprüngliche Strom durchaus nicht stark zu sein braucht, um Inductionsströme zu erzeugen – ein bis zwei Elemente genügen vollständig – so gelang es den Bemühungen der Mechaniker sehr schnell, handliche Apparate zur Erzeugung des Faradismus zu construiren; es ist deshalb auch begreiflich, daß die Inductionselektricität rascher zu allgemeiner medicinischer Anwendung kam, als der über vierzig Jahre früher entdeckte Galvanismus.

Wenden wir uns nun zu den Wirkungen, welche der elektrische Strom auf den gesunden menschlichen Körper ausübt, so müssen wir als die auffälligste die schon von Galvani an einem Froschschenkel beobachtete Zusammenziehung der Muskeln bezeichnen. Am deutlichsten zeigt sich diese „elektrische Muskelcontractilität“, wenn man den einen Pol einer galvanischen Batterie oder eines faradischen Apparates mit einem Bewegungsnerven, den anderen mit dem zugehörigen Muskel in Verbindung bringt; es entsteht sodann bei Schluß des Stromes eine lebhafte Zuckung, eine schwächere bei Oeffnung desselben; so lange der Strom ununterbrochen fließt, wird keine Muskelzusammenziehung wahrgenommen, wenn nicht ein ganz enorm starker Strom angewendet wird; in diesem letzteren Falle tritt eine anhaltende, krampfartige Zusammenziehung des Muskels ein. Je rascher man den Strom unterbricht, desto energischer fallen die Zuckungen aus, weshalb auch der faradische Strom mit seinen fortwährenden Unterbrechungen zur Hervorrufung von Muskelbewegungen besonders geeignet ist. Durch den Willenseinfluß lassen sich diese künstlich erzeugten Bewegungen bis zu einem gewissen Grade unterdrücken, doch gehört schon eine große Willensanstrengung dazu, der Wirkung eines starken faradischen oder galvanischen Stromes erfolgreichen Widerstand zu leisten.

Neben diesem Bewegungsphänomen machen sich aber auch Wirkungen auf die Haut bemerklich, und zwar sind diese um so bedeutender, je trockner die Haut ist. Der galvanische Strom erzeugt bei mittlerer Stärke ein gelindes Brennen, der faradische eine mehr prickelnde Empfindung; gleichzeitig wird die Haut geröthet. Will man nun hauptsächlich auf die in der Haut verbreiteten Gefühlsnerven wirken, so leitet man den Strom durch Vermittelung metallischer Conductoren auf die trockne Haut; sollen dagegen die tieferen Theile, namentlich die Muskeln, von der Elektricität beeinflußt werden, so überzieht man die Conductoren mit nassem Schwamm oder Leder und sorgt für gute Durchfeuchtung der Haut, am besten mit warmem Salzwasser; es wird alsdann die schmerzhafte Hautreizung fast ganz vermieden. Mit diesem einfachen Verfahren ist es dem genialen französischen Arzt Duchenne von Boulogne gelungen, den elektrischen Strom genau auf diejenige Stelle des Körpers zu „localisiren“, welche der Behandlung bedürftig erscheint, und er gründet hierauf sein System der localisirten Faradisation, welches von ihm im Jahre 1850 veröffentlicht wurde.

Faraday’s Entdeckung stellte die Errungenschaften des galvanischen Stromes auf dem Gebiete der Heilkunde, welche wir A. von Humboldt, Hufeland und Anderen zu danken haben, gänzlich in den Hintergrund, um so mehr, als durch Duchenne der Nutzen der Inductionselektricität zu Heilzwecken in so glänzender Weise dargethan wurde. Als daher in der Mitte der fünfziger Jahre der geistvolle Berliner Arzt Robert Remak es unternahm, den galvanischen Strom wieder in die ärztliche Praxis einzuführen, stieß er überall auf Unglauben und Widerspruch, und es blieb erst dem letzten Jahrzehnt vorbehalten, die Angaben Remak’s einer genaueren Prüfung zu unterziehen, seine Versuche sorgfältig zu wiederholen und so allmählich die Grenzen der Wirksamkeit des faradischen sowohl, als des galvanischen Stromes festzustellen.

Nach dem jetzigen Standpunkt können wir sagen, daß Dank den Forschungen Remak’s beide Formen der Elektricität gleichberechtigt neben einander stehen, indem die Faradisation hauptsächlich für die Behandlung der Empfindungs- und Bewegungsnerven, die Galvanisation wesentlich für die des Centralnervensystems (Gehirn, Rückenmark und sympathischer Nervenstrang) und der Sinnesorgane sich eignet.

Während ferner die Inductionselektricität einen mehr anregenden, reizenden Einfluß hat, übt der Galvanismus auf solche Theile, die sich im Zustande krankhaft gesteigerter Reizbarkeit befinden, eine beruhigende Wirkung aus.

Ehe wir jedoch zu der Anwendung der Elektricität gegen Krankheiten übergehen, müssen wir in Kürze noch die Erscheinungen betrachten, welche der galvanische Strom im gesunden Organismus hervorruft, abgesehen von den bereits erwähnten Wirkungen auf Haut und Muskeln, die er mit dem Faradismus theilt.

Leitet man einen etwas starken galvanischen Strom durch Anwendung der Conductoren am Kopfe zum Gehirn, so entsteht sehr bald ein Gefühl von Schwindel; gleichzeitig bemerkt man ein deutliches Schwanken des Kopfes nach der Seite, an welcher sich der positive Pol befindet. Nicht selten tritt während oder nach der Galvanisation des Gehirns Schläfrigkeit, manchmal wirklicher Schlaf ein.

Sehr lebhaft werden die Sinnesnerven von der galvanischen Elektricität erregt. Kommt man mit einem Conductor in die Nähe des Auges, so treten verschiedene subjective Lichterscheinungen, Blitzen, Bilder von verschiedener Farbe u. dgl. ein. Bei Galvanisation der Gehörnerven entstehen je nach der Stärke und Dauer des Stromes Klingen, Pfeifen, Sausen und ähnliche Geräusche. Am Geschmacksorgane äußert sich die Wirkung der Galvanisation durch eine eigenthümliche metallische Geschmacksempfindung. Die Wirkungen der Elektricität auf die sonstigen inneren Organe sind noch nicht so genau studirt, jedoch ist kein Zweifel, daß sie alle von dieser mächtigen Kraft mehr oder weniger beeinflußt werden.

Wenn wir nun zu der eigentlichen Elektrotherapie, das heißt der Verwendung der Elektricität zur Heilung von Krankheiten kommen, so können wir im Allgemeinen sagen, daß die Krankheiten des Nervensystems den wichtigsten Gegenstand der elektrischen Heilmethode abgeben und zwar sind hier in erster Linie die Lähmungen zu nennen[WS 1]. In der That giebt es kein Mittel, welches bei dieser Bewegungsstörung so erfolgreich wirkt, und wenn wir auch zugeben müssen, daß in manchen Fällen auch die Elektricität erfolglos bleibt, so namentlich oft bei der durch Schlagfluß entstandenen halbseitigen Lähmung, so können wir doch die für die betreffenden Kranken freilich nicht sehr trostreiche Behauptung aufstellen, daß alsdann mit anderen Mitteln auch nichts zu machen ist. Immerhin läßt sich durch eine sorgfältig geleitete elektrische Behandlung auch in diesen Fällen fast immer ein gewisser Grad von Beweglichkeit herstellen, der anderweitig nicht zu erzielen ist.

Nächst den Lähmungen sind viele Krampfzustände der elektrischen Behandlung zugänglich; so z. B. kennt man verschiedene Fälle des früher für unheilbar gehaltenen Schreibekrampfes und ähnlicher durch einseitige Ueberanstrengung gewisser Muskelgruppen entstandener Zustände, wozu unter Anderm der sogenannte

Anmerkungen (Wikisource)

  1. ergänzt nach: Heft 44, S. 748
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_570.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2021)