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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


läßt. Ist aber ein mächtiger Eber dabei, Herr – der hält gern Stand!“

„Desto besser!“ rief mit Eifer, wie zu erwarten war, der Prinz. „Der ist für mich!“

„Wenn Ihr wollt, mon Prince, so kann ich Euch leichtlich einen Platz anweisen, wo er Euch, auch wenn er ausbricht, nicht entrinnen mag. Aber seid Eures Stoßes sicher, Herr, denn es ist ein gar schlimmer Feind.“

„Ein Wildschwein!“ lachte der Prinz geringschätzig und ohne den lauernden Blick des Anderen zu bemerken.

„Verzeihen Eure Gnaden,“ nahm jetzt, sich plötzlich ermannend und den Blick fast flehend zum Prinzen erhebend, der Graubärtige das Wort. „Es ist so, wie mein Collega sagt, der Eber ist ein Unthier, und heißt bei uns 'der Schrecken der Wälder'! Nehmt Euren Leibschützen mit, Herr!“

Der Rothbärtige schoß einen giftigen Blick auf den Alten, dann aber verzog er den Mund zu einem ironischen Lächeln.

„Thut es, mon Seigneur, mein Herr Collega hat Recht! Dort sehe ich einen Jagdgesellen mit einer schweren Hakenbüchse – scheint Euer Leibschütz zu sein –, den nehmt zu Eurem Beistand. Ihr seid annoch ein junger Herr, und leichtlich könnte Euch die Furcht übermannen.“

Aus hinterlistigem Verstecke, mit lächelnder Miene, aber fast spöttischem Tone gesprochen, traf das Wort, wie ein gut gezielter Pfeil.

„Furcht?“ brauste Maximilian auf, ihm einen stolzen Blick zuwerfend. „Kennt Ihr die in Burgund? Bei uns wird sie nicht gelehrt und am wenigsten die Kaisersöhne!“

„Verzeiht, mon Prince, bat demüthig der Rothbärtige. „Es war gut gemeint.“

Im Augenblicke war Maximilian besänftigt.

„Ich glaub's Euch!“ warf er halb scherzend hin. „Und mögt Ihr auch meinen Worten glauben. Ein Jeder nach seiner Weise! Aber mich gelüstet's, mit Eurem 'Schrecken der Wälder' ein deutsches Wort zu sprechen. Führt mich auf den Platz.“

Und er ließ sich zwei kurze, wuchtige Speere mit ungewöhnlich massiver, dreischneidiger Stahlspitze reichen und wollte aufbrechen, als ihn der Waldvogt aufhielt.

„Herr,“ rief der Behäbige fast erschrocken, „gedachtet Ihr nicht vorerst einen Imbiß zu nehmen?“

„Nach gethaner Arbeit, Vogt!“ lachte Maximilian. „Mein Sprüchwort ist allezeit: Wie der Rost am Eisen, so frißt der Müßiggang am frischen Muth der Seele.“

„Folgt wenigstens dem guten Rath, Prinz, und nehmt die Hakenbüchse mit,“ fiel jetzt mit ernstem Ton der alte Ritter ein, der bisher schweigend, aber beobachtend, zur Seite gestanden hatte.

„Ei, Herberstein, alter Hofmeister, was fällt Euch ein?“ spottete Maximilian. „Die Büchse für die Morgenpirsch, wenn der Gemsbock oder der Hirsch auf hundert Armeslängen steht. Aber den Eber habt Ihr mich selbst gelehrt mit dem Sauspieß abzufangen ... Vorwärts denn! Zeigt mir den Platz, Herr Wildmeister von Theux! Du, Jünkerlein, kommst allein mit mir; Ihr, Vogt, laßt die Pferde im Walde koppeln und vertheilt die Jagdhüter mit den Rüden auf den Dämmen; Ihr aber, Herberstein, haltet mit dem Herrn Wildmeister von Verviers die Südseite gegen den Wind.“

Eilig schritt er mit dem Rothbärtigen westwärts. Der Junker nahm seinen Jagdspieß und wollte, die Armbrust an den Gürtel hängend, nachfolgen. Aber der Ritter hielt ihn zurück.

„Weg mit dem Kinderspielzeug!“ raunte er ihm zu. „Nehmt die Hakenbüchse und lasset auch gleich das Gäblein am Haken; da habt Ihr Lunte und da Stahl und Stein. Hab' Euch wohl mit der Büchse umgehen sehen beim Scheibenschießen; jetzt kann es Eurem Herrn dienen, gebt wohl Acht!“

„Povero me! Sie ist schwer wie eine Karthaune und der Prinz wird mich schelten.“

„Lasset ihn schelten, wann es zu spät ist,“ brummte der Alte, ihm die schwere Büchse über den Nacken hängend. „Seid Ihr doch sein verzogener Liebling, und Euer welsches Mundwerk ist noch nie um eine Ausrede verlegen gewesen.“

Mit stillem Seufzer gehorchte der Junker und folgte, den Schaft des Spießes als Stütze gebrauchend, mit gebogenem Rücken seinem Herrn. Aber meisterlich bewies er, wie gut er sich nicht nur auf Ausreden, sondern auch auf praktische Finten verstand, denn so oft sich der Prinz nach ihm umsah, wußte er sich schnell also hoch emporzurecken, daß jener in der That nichts von seiner pflichtwidrigen Bewaffnung gewahrte.

So gelangten sie nach einem halbstündigen Marsche an einen nach Westen abfallenden Hang, auf dem sie über dürres Weideland das Moor umschritten. Westwärts öffnete sich der Ausblick über den benachbarten Grenzwald auf die letzten Höhen des hohen Venn, die sich am fernen Horizonte mit den Ausläufern der Ardennen zu vermischen schienen.

„Sehet, mon Seigneur,“ sagte der Rothbärtige, zwischen zwei alten Weiden stehen bleibend, „hier hinaus läuft der Hauptdamm, den das Sauwild annehmen muß, wenn es dort in unsere Wälder wechselt. Es wäre ein guter Platz, weil man rechts und links ausweichen kann. Ich würde ihn wählen, obwohl ich auch nicht eben furchtsam bin. Aber freilich, der Damm ist hier so breit, daß sicher ein gut Stück Wild entkommen wird, und da ich mir nicht wieder Euren Zorn zuziehen möchte, so muß ich Euch sagen, daß dort, einen Bolzenschuß weiter in das Moor hinein – sehet, wo ein Weidenstumpf wohl vier Fuß hoch hinausragt, – der Hauptstand ist. Aber, wie gesagt, es ist Gefahr dabei, denn der Damm mißt dort nicht über vier Schritte.“

„Das ist mein Platz!“ rief Maximilian. „Nun sucht Euch den Eurigen. Und Du, Junker,“ wandte er sich rückwärts zu diesem, „deckst Dich hier fein hinter dem Weidenstamm und treibst mir keinen Fürwitz! Ich kenne Dich darauf.“

Befriedigt lächelnd lüpfte der Rothbärtige die Kappe und verfolgte seinen Weg, um nordwärts das Moor zu umschreiten und sich von jenseits der Hatz anzuschließen. Maximilian seinerseits ging den Damm entlang, und der Junker, sich sicher glaubend, wollte sich eben mit Wonne seiner schweren Bürde entledigen, als dem Prinzen der unglückliche Gedanke kam, sich noch einmal nach ihm umzuwenden; dabei fiel ihm das verbotene Schießgewehr in die Augen.

„Diamine!“ rief er, überrascht stehen bleibend, halb zornig, halb lachend hinüber. „Was hat denn der Page mit der Donnerbüchse vor?“

„Große Dinge, Signor mio!“ rief der Junker schalkhaft zurück. „Da Ihr mich immer fürwitzig scheltet, gedachte ich zu zeigen, daß ich auch vorsichtig sein kann. Und da Ihr die Büchse nicht für Euch wolltet, so habe ich sie für mich genommen.“

„Wohl bekomm's! Was Du damit erlegst, esse ich mit Haut und Haar.“

„Aber gesengt und geröstet, mio Principe, und mit 'sauce truffée', di grazia!“ lachte der verzogene Page. Und lachend auf ihn zurücknickend, ging der Prinz seines Weges.

Der Junker aber bohrte sorgsam die beiden stumpfen Spitzen der oben am Haken der Büchse sich drehenden Stellgabel in die Erde, richtete versuchsweise den schweren Lauf nach dem Weidenstumpf auf dem Damm, zielte, nickte befriedigt vor sich hin, besichtigte dann das pfannenartig gehöhlte Zündloch und die Lunte in dem gebogenen Hahn, ließ den schmalen, plumpen Schaft zur Erde nieder, schlug mit dem Stahl Feuer aus dem Stein, daß die Funken blitzten, und steckte, als ein einziger Schlag hingereicht hatte, das ihm vom Ritter mitgegebene Stück Lunte zu entzünden, das schwelende Ende sorgsam in ein Loch auf der Rückseite des Weidenstammes, vergewisserte sich auch, ob der Wind den Geruch abwärts trüge, und ließ sich dann, ermüdet von der Last, neben seinem Speer an einer Stelle nieder, von wo er, halb aufrecht am Stamme sitzend, das Moor überblicken konnte.

„Corpo di Baccho,“ sagte er sich dabei, „wenn ich nicht mein Leben für den Prinzen ließe, nicht zehn Pferde hätten mich dazu gebracht, die sechszigpfündige Arkebuse da eine Stunde Weges zu schleppen! Aber der alte Grimmbart blickte so sorglich drein. Und er mag Recht haben. Davvéro! Was sehe ich? Der Damm wird immer schmaler! Jetzt ist der Prinz beim Weidenstumpf. Wo will er sich decken, wenn ein Rudel vorbeijagt? Si, si! Jetzt versucht er hinter den Stamm zu treten! Er sinkt ein – es geht nicht! Jetzt prüft er die Seitendeckung – va male – ein Anstoß, und er würde im Sumpfe liegen! ... Ecco, er kehrt um! Das fehlte – der und umkehren! Müßte ein Anderer sein. Einen Anlauf will er nehmen ... da hebt er schon sein Schwert mit der Hand, er setzt an, er springt ... affé, bravo, bravo, er steht auf dem Stumpf! Aber er wankt, er wird fallen ... su, su! ... Lode al cielo, er hat einen

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