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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Im Gegentheile,“ rief Vialez und bot uns mit seiner gewohnten Courtoisie Sitze an. „Im Gegentheile, ich wünsche, ich bitte, daß die Herren hier bleiben und Zeugen unserer Unterredung seien.“

„Nun, auf Ihren ausdrücklichen Wunsch,“ versetzte ich. Henry war keiner Worte fähig.

„Sie werden mich zu Dank verpflichten. Charlotte, erlauben Sie, daß die Herren hier bleiben?“

„Ja,“ sagte sie und blickte dann nach Henry, der sich den Schweiß auf der Stirn trocknete.

„Ich danke Ihnen, Charlotte. Und nun, mein Schwiegervater der Zweite, reden Sie!“ Mit diesen Worten setzte er sich mit der Ruhe eines Staatsmannes.

Nach einer Pause, in welcher die goldene Pendeluhr auf der Commode zehn heisere Schläge that, fing Caspar Raick an:

„Don Huesbar, als Ihre Frau in Madrid die Nachricht erhielt, Sie seien an den Blattern in Barcelona erkrankt, warf man ihr, am gleichen Tage, mit Steinen die Fenster ein.“

„Arme Charlotte!“ rief Vialez.

„Sie kannte die Ursache dieser Beschimpfung nicht. Perez, Ihr wüthendster Feind, schrieb ihr am Abend:

‚Donna, Ihr Gemahl ist wegen Betruges angeklagt. Es ist bewiesen, daß er, der Präsident aller Zollämter des Königreichs, seit Jahren im Geheimen den Schleichhandel an der Küste und im Gebirge beschützte und so der Krone ungeheure Summen entzog, während er selbst großen Gewinn davon hatte. Sollten Sie öffentliche Beschimpfungen erleiden, so stellen Sie sich unter meinen Schutz!‘“

„Sind Sie zu meinem Feinde gegangen, Charlotte?“ fragte Vialez.

„Nein, ich ging zu Ihnen.“

„Charlotte!“ rief Vialez und wollte sich erheben. Sie sagte schnell:

„Nicht aus Liebe, denn ich liebte Sie nicht mehr; ich ging zu Ihnen, um Ihnen Geld zur Flucht zu bringen.“

„Geld!“ sagte Vialez mit dumpfem Tone.

„Als ich mit Caspar nach Barcelona kam und in’s Hospital, wo Sie krank gelegen, sagte man uns, Sie seien todt und begraben. Ich ging auf den Friedhof, betete auf Ihrem Grabe und ließ Ihnen einen Denkstein setzen. Wer ruht in jenem Grabe? Wem habe ich den Denkstein setzen lassen?“

„Einem Manne aus Cuba, dem Sennor Berduz.“

„Und wie ging dies zu, Don Huesbar?“ fragte Caspar.

(Schluß folgt.)




Bestrafter Vandalismus.

Es war eine reizende Schilderung, welche vor fünfzehn Jahren in unserer „Gartenlaube“ M. M. von Weber dem Elbgestade der sogenannten Sächsischen Schweiz widmete. „Fast vertikale Felswände,“ schrieb er, „auf deren Vorland und Kamm kräftiger, duftreicher Forst von kerzengeraden Tannen und hellgrünen Buchen und Birken sich emporstreckt, in deren kühlen, quellenreichen Schluchten, von keinem Windzuge berührt, das edle Farrnkraut seine tropischen Formen in üppiger Fülle aus tiefem Moose auftreibt und Wald von zauberischem Grün seine sonndurchglitzerte Wölbung gegen einen schmalen Streifen blauen Himmels abschließt, begleiten links und rechts den mäandrischen Lauf der Elbe von der böhmischen Grenze bis Pirna herunter. Das tausendfache Echo dieser Felswände, an deren barocken, bald gnomenhaft hockenden, bald langgedehnt in die Luft strebenden Formen der Schall sich wunderlich bricht, leiht dem engen Stromthale eine wohllautvolle, nie ermüdende Stimme. Das tiefe, wandernde Sausen des Waldes mischt sich hier mit dem rauschenden Ruderschlage fernherkommender Dampfböte, dem weithinschallenden monotonen Rollen der Eisenbahnzüge, dem Murmeln des Stromes und dem Brausen der Mühlen in den Gründen zu einer melancholisch tönenden, aber beredten Sprache unendlichen Lebens.“ Leider ist diese Schilderung nur noch zum Theil richtig. Auf drei Viertheilen der angegebenen Strecke, von Pirna bis Schandau, ist die ehemalige Fels- und Waldpracht der Ufer vernichtet, häßliche gelbe Sandhalden stoßen an den Strom und ziehen sich hinauf bis zu dem gespaltenen Gesteine, über dessen grell leuchtenden Wundflächen noch ärmliche Reste des ehemaligen Uferschmuckes stecken, die Niemand ohne Entrüstung ansehen kann. Nur der böhmische Elblauf von Tetschen und die kurze sächsische Strecke bis Schandau zeigen uns noch das Gestade in seiner wirklich entzückenden Herrlichkeit; von da an besteigt der Reisende am besten den Eisenbahnwaggon und drückt die Augen zu, um an den Zeugnissen eines Raubbaues, wie er nicht ärger getrieben werden kann, unverletzt in seinen Gefühlen vorüber zu kommen.

Wenn Mißbrauch durch das Alter geweiht werden könnte, so wäre hier freilich die Weihe vollständig. Da zwar das Resultat vor Aller Augen steht, die Art dieser Felsenverwüstung zur billigsten Bausteingewinnung jedoch weniger bekannt ist, so lassen wir hier die zu obiger Elbthal-Schilderung gehörige Beschreibung[1] derselben aus der Feder des auf diesem Gebiete sachverständigen M. M. von Weber folgen: „Seit den Jahrhunderten,“ sagt er, „in denen aus dem berühmten, schönen Steine, welcher ‚Pirnaischer Sandstein‘ heißt, in Nähe und weiter Ferne Kirchen und Brücken, Paläste und Festungsmauern, Museen und Wohnhäuser gebaut worden sind, wird dieser Stein in unveränderter, unverbesserter, gefahrvoller Weise gewonnen.

In mehr oder minder mächtigen, fast ganz horizontal gelagerten Bänken, die unter einander so gut wie gar nicht verbunden sind, thürmt sich dieser Thonsandstein zu den Felsen der Sächsischen Schweiz auf. In höchst unregelmäßiger Vertheilung durchfahren diese Bänke Verticalklüfte, die meist mehrere derselben mit scharfen, glatten Flächen durchschneiden. In der Steinbrechersprache heißen die Klüfte ‚Lose‘, d. h. Stellen, wo der Stein selbst losbricht, wenn ihm seine Unterstützung genommen wird. Auf diese Formation des Sandsteins der Sächsischen Schweiz gründet sich die Methode von dessen Gewinnung.

Man sucht eine Felsmasse guter, bauwürdiger Beschaffenheit aus, die durch ‚Lose‘ von der Gesammtmasse genügend getrennt erscheint. Einen solchen Felsenkörper nennen die Steinbrecher ‚eine Wand‘. Man arbeitet die unterste Felsenbank desselben so lange und so tief heraus, bis die Masse sich in verticaler Richtung in den Losen, in horizontaler, vermöge des Durchbrechens der festen Bänke, vom Felsen trennt, das Uebergewicht nach vorn bekommt und, sich selbst in leichter behandelbare Stücke zertrümmernd, zusammenstürzt. Die so mit einem Male herabgeworfenen Massen variiren an Gewicht von zehntausend bis mehrere hunderttausend Centner.

Wie nahe der Augenblick des Ueberstürzens an den des Feststehens grenzt, wie schwer sich alle Einwirkungen von Nässe, Temperatur, wechselndem Anquellen und Zusammentrocknen des Erdreichs, der Wechsel der Cohäsion und Reibung des Gesteins, Angesichts so ungeheurer, unregelmäßiger Massen, deren Schwerpunkt nur ganz ungefähr zu taxiren ist, abschätzen lassen, liegt auf der Hand, und damit tritt auch das ganze, ungeheure Maß der Gefahr, das mit den letzten Arbeiten beim ‚Hohlmachen‘, so heißt in der Steinbrechersprache das Unterminiren der Felswände, verknüpft ist, vor die Seele. Aber diese Gefahr wird noch wesentlich durch die Form, in der die Arbeit ausgeführt wird, vermehrt.

Meist wird, um Gestein, Material und Arbeitslohn zu sparen, die ‚Hohlung‘, welche oft 20 und 30 Ellen tief, bei einer Breite von 30 bis 100 Ellen, in den Felsen hineinreicht, so niedrig gemacht, daß der Arbeiter nur liegend arbeiten kann, indem er auf einem Strohkissen mit der linken Schulter ruht und nur kriechend die furchtbare grabähnliche Kluft zu verlassen im Stande ist. An ein schnelles Entfliehen ist daher, wenn ‚die Wand‘ Zeichen von Bewegung geben sollte, nicht zu denken.

Die ersten dieser Zeichen bestehen in dumpfen, kanonenschußähnlichen Knallen im Innern der Felsmasse, wodurch sich das Durchbrechen der Gesteinbänke zu erkennen giebt. Die Steinbrecher

  1. Vgl. „Der Bergsturz bei Schandau“. Jahrgang 1862 der „Gartenlaube“, Nr. 10 und 11.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_558.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2023)