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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Bei Gott, Du bist ein kühnes Weib, Charlotte, und meines Hasses, wie meiner Liebe werth. Denn ich kann hassen – glaubst Du es nicht, Charlotte?“

„Ja, ich glaube es, aber ich fürchte mich nicht vor Ihrem Hasse.“

„Nicht? O – o! – ich will Dir die Furcht lehren, Charlotte, wie ich Dir die Liebe lehrte. Aus Deinen schönen Augen, die ich sonst mit meinen Küssen schloß, will ich die Wasser des Leidens quellen lassen. Deine stolze Seele will ich martern, wie die Knaben den Schmetterling an eine Nadel stecken und ihn jeden Tag ein wenig tiefer rücken, recht langsam – o! – ich will Dich züchtigen mit meinem Haß, mit dem Haß der Liebe.“

„Ihre Worte sind unedel, empörend. Enden Sie diese Scene, entfernen Sie sich!“ rief Henry.

„Und mit welchem Rechte gebieten Sie hier?“ fragte Vialez ruhig.

„Mit dem Rechte der Freundschaft,“ erwiderte Henry fest und würdevoll.

„Ah! Sie sind ein Freund meiner Frau, Sie auch wahrscheinlich?“ – hier sah er mich an.

„Ich habe die Ehre, ein Freund der Madame Venloo zu sein,“ sagte ich mit einer Verbeugung.

„Vortrefflich! Und wo, wenn ich fragen darf“ – er setzte sich in einen Fauteuil und nahm die freie, sichere Haltung eines Mannes an, der sich zu Hause fühlt – „wo hat sich diese Freundschaft geschlossen?“

„Wünschen Sie, daß ich spreche?“ sagte Henry sich zu Charlotte wendend. Sie nickte.

„Wir wurden Freunde durch einen Schiffbruch auf der Ueberfahrt von Dover nach Ostende. Von achtzehn Menschen blieben sechs am Leben, und unter diesen befanden sich Madame Venloo und wir Beide.“

„Und wahrscheinlich haben Sie zur Rettung dieses schönen Wesens beigetragen? Ich müßte Ihnen für diese Ritterdienste die Hände drücken, wollte ich nicht lieber meine Frau auf dem Grunde des Meeres wissen, als sie so, so zu finden.“

„Juan!“ rief Charlotte mit Entrüstung und mit einem Blick voll verzehrenden Feuers.

„Juan!“ wiederholte er leise, und seine tiefe Stimme bebte. „Juan! So hast Du meinen Namen nicht vergessen, Charlotte? – Ich danke Dir.“

Er stützte seinen Kopf in beide Hände. Henry sah mich bedeutungsvoll an und dann die arme Charlotte, die ihre Stirn an die Säule drückte.

„Weißt Du noch, Charlotte,“ sagte Vialez weich, seinen Blick – o welch einen Blick! – auf ihre zarte Gestalt heftend, „weißt Du noch, was mir geschah, als Du mich zum ersten Male ‚Juan‘ nanntest?“

Charlotte blieb stumm und unbeweglich.

„Weißt Du es nicht mehr, Charlotte?“

„Erbarmen!“ wimmerte sie.

Ein Lächeln voller Seligkeit schwellte Vialez’ Lippen und goß einen Schimmer von Schönheit über sein häßliches Gesicht; sein Auge glänzte feucht, und seine schönen Hände zitterten. Mit einer Stimme, weich, verführerisch, wie ich niemals eine gehört, sagte er langsam:

„Es war spät am Abend – ich geleitete Deinen Vater nach Hause. Deine Laute klang von den dunkeln Gebüschen des Gartens herüber. ‚Gehen Sie dorthin!‘ flüsterte Dein Vater lächelnd, ‚und sagen Sie Charlotten gute Nacht!‘ Wir waren schon Verlobte, und ich war sehr glücklich, aber ich hatte doch einen großen Kummer; Du nanntest mich immer Don Huesbar, obschon ich Dir so oft gesagt: ich heiße Juan. Ich fand Dich unter einem Granatbaume sitzend, ganz vom Mondlicht übergossen; um Dich herum lagen abgefallene Blüthen, und der Geruch der Orangenbäume wob um Dich einen heiß duftenden Schleier. Mit verliebter Ehrfurcht küßte ich Deine Hände. – ‚Setze Dich, Don Huesbar!‘ sagtest Du. ‚Juan,‘ bat ich, ‚Juan!‘ ‚Nein, ich kann es nicht,‘ flüstertest Du. Ich schwieg. Die Nacht zog stille Zauberkreise um mich, und ich küßte das Spitzentuch, welches Deine Schultern verhüllte. Da schobst Du mich sanft zurück und sagtest: ‚Dieses muß ich Dir verweisen, Don Huesbar.‘ ‚Juan,‘ bat ich, ‚Juan!‘ ‚Es ist gar nicht schicklich, daß man einem Mädchen so das Spitzentuch zerreiße, Don Huesbar.‘ ‚Juan,‘ bat ich, ‚Juan!‘ ‚Nein, ich kann es wahrlich nicht,‘ seufztest Du. Ich saß stille und verschüchtert und wagte kaum noch Deine Hand zu küssen, und wir sprachen lange nichts. Die Nacht war so stille. Ein leises, schnelles Pochen wurde hörbar. Du blicktest mich an und fragtest: ‚Was klopft nur so?‘ ‚Das – das thut mein Herz,‘ sagte ich. Da nahmst Du meinen Kopf in Deine Hände, hier, an den Schläfen, und hauchtest: ‚Juan!‘ Und da, da vergingen mir die Sinne. – Mit einem nassen Tüchlein wecktest Du mich wieder und führtest mich bis zur Gartenthür und sagtest: ‚Gute Nacht, Juan!‘ Um drei Uhr Morgens, als die Sterne bleich wurden, stand ich noch vor der Gartenthür, und als dann die Bauern zur Stadt herfuhren, ging ich mit diesem Gedanken: Ich habe meinen guten Engel gefunden.“

Vialez schluchzte. – Charlotte sank gebrochen auf den Divan, der beim Kamine stand. Und Henry? Er drückte eine Hand auf die Stirn, die andere auf das Genick, wie Einer, dem der Kopf zerspringen will.

„Henry, laß uns gehen!“ sage ich.

Vialez erhob eine Hand: „Nein, bleiben Sie! Meine Frau liebt Einen von Ihnen – welchen?“

In diesem entsetzlichen Augenblicke trat Caspar Raick herein:

„Don Huesbar – hier, hier finde ich Sie?“ Es lag ein solcher Schmerz in des alten Mannes Stimme, daß ich bis in’s Mark davon erschüttert wurde. „Meine Tochter, mein einziges Kind ist verführt, entflohen mit Ihrem Burschen, Sie haben mein Kind verführen lassen, um Ihren Zweck zu erreichen. Fluch –“

„Halt!“ rief Vialez und richtete sich hoch auf. „Armer, alter Mann, ich habe keine Schuld an Ihrem Gram. Ihre Tochter war im Einverständniß mit meinem Eusebio, noch ehe ich eine Ahnung davon hatte. Ich wußte nicht, daß Marion Ihre Tochter ist; ich wußte nicht, daß Sie hier sind; ich wußte nicht, daß Madame Venloo – meine Frau ist. Ihre Tochter erzählte Eusebio, ihre Herrin sei eine Spanierin, es sei etwas Geheimnißvolles in ihrem Leben, und mehrere andere Umstände, welche – denn Eusebio verschwieg mir nichts – meine Aufmerksamkeit, meinen Verdacht erweckten. Ich gab Eusebio den Auftrag, Marion dazu zu bestimmen, mir die Gelegenheit zu verschaffen, die geheimnißvolle Dame sehen zu können. Sie verrieth ihm die gestrige Ausfahrt; das Weitere errathen Sie. Oder nicht? Gut, so werde ich ausführlicher sein. Durch Eusebio ließ ich Marion bestimmen, mich im Geheimen in Madame Venloo’s Zimmer einzuführen; sie that es heute, als die Dunkelheit anbrach. Fürchtend, ihre Handlung möchte eine schwere Strafe nach sich ziehen, bat sie mich um meinen Schutz. Ich gab ihr einige Zeilen an die Aebtissin der Ursulinerinnen, Rue d’Isabelle; dort werden Sie sie finden. Eusebio ist in meinem Hause, in seinem Zimmer. Sie können sich davon überzeugen.“

„Verzeihung, Verzeihung, theures Kind meines Herrn, meines Wohlthäters!“ rief Caspar und sank vor Charlotte auf die zitternden Kniee. „O, daß mein, mein Blut Sie verrathen hat!“

„Sei ruhig, Caspar!“ sagte sie und hob den alten Mann auf. „Du hast ja keine Schuld. Marion ist auch nicht so schuldig, wie Du glaubst. Das hat so kommen müssen.“

Caspar fuhr mit der Hand über die nassen Augen und fragte, dicht vor Vialez tretend: „Was denken Sie nun zu thun, Don Huesbar, Präsident?“

Gereizt antwortete Vialez: „Ich gedenke meine Frau mit mir zu nehmen.“

„Haben Sie den Muth, Ihre Frau der Schande auszusetzen?“

„Alter Mann, hättest Du nicht weiße Haare, so würde ich Dir lehren, wie man zu Don Huesbar spricht,“ erwiderte Vialez düster.

Caspar war ein derber Niederländer, auf den die spanische Ritterlichkeit keinen Eindruck machte. „Don Huesbar,“ sagte er rauh, „ich habe dem sterbenden Vater dieser Frau versprochen, ihr ein Vater zu sein, wenn sie einen braucht. Als solcher spreche ich jetzt zu Ihnen und nicht als der Diener, der ich war. Als Vater dieser Frau werde ich handeln, und sollten Sie dadurch zu Grunde gehen.“ Und nun wandte er sich zu Henry und mir: „Meine Herren, was ich jetzt mit Don Huesbar zu reden habe, verträgt keine Zeugen.“

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