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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Die Rüden haben unterwegs frische Fährten gespürt, darum schlagen sie an!“ sagte der Eine, ein graubärtiger Alter mit mürrischem Ausdruck, zu dem Andern, einem jüngeren Mann, dessen schwarzes, straff niederfallendes Haar seltsam mit dem röthlichen, in zwei Fuchsschwänzen über die Maßen lang herabhängenden Barte contrastirte. „Werden hier Arbeit finden! Dort im Moor, wo die Schneegänse aufstehen, wühlt das Sauwild haufenweis!“

„Ganz wie im vorigen Jahre um diese Zeit!“ nickte der Rothbärtige, einen flüchtigen Blick aus dem stechenden schwarzen Auge über das Moor werfend.

„Weiß, weiß, Ihr jagtet drüben mit dem Herrn Herzog von Aremberg, Eurem damaliger Herrn!“

„Ganz recht, aber nicht drüben: hüben!“

„Wie? Hier auf deutscher Seite?“

„Pah,“ lachte Jener, „wenn sie das Römische Reich das heilige nennen, dann hat mich mein Herr das Heiligthum oft genug 'profaniren' lassen, wie der Beichtvater es nennt!“

„Ist freilich kein Freund der Deutschen, der Herr Herzog!“ nickte der Alte vor sich hin. „Hält's, wie unser Bischof von Lüttich, mit den Franzosen!“

„Das möchte ich doch nicht Wort haben!“ wandte, nicht ohne einen mißtrauischen Blick auf den Alten zu werfen, der Rothbärtige ein.

„Nicht Wort haben, was alle Welt weiß?“ spottete der Alte. „Solch' Leugnen könnte nur bösen Zungen dienen, die Euch nachsagten, Ihr hättet den Dienst des Arembergers mit dem des Herzogs von Cleve vertauscht, um in Gent den französischen Kundschafter zu machen.“

„Elende Verleumdung!“ fuhr der Rothbärtige auf.

„Je nun,“ lachte bitter der Alte, „mögen sie's glauben, weil Ihr aus Welsch-Flandern seid, und Französisch Eure Muttersprache ist! Mir kann's gleich sein! Jetzt steht Ihr vor mir als Leibjäger des Herrn Herzogs von Cleve, der in der Genter Hofburg für unser gnädiges Fräulein befiehlt, und habt mir seinen schriftlichen Befehl vorgezeigt! 's ist hart für einen alten Mann, hart, hart! ... Wie wollt Ihr's also nunmehr anfangen?“

„Wie ich Euch sagte, wir müssen das Wild von Osten her über unsere Grenze zurücktreiben.“

„Wenn es sich's gefallen läßt,“ nickte, nicht ohne geheime Hoffnung, der Alte vor sich hin. „Ist noch immer das alte Ungethüm bei dem Rudel, das sie drüben in den Ardennen den 'Schrecken der Wälder' nennen! Das hält Stand, trotz aller Rüden der Welt, hat schon manch' einem die Eingeweide umhergestreut, und schon mancher Speer ist an ihm zersplissen. Mit ihm bleibt auch das Rudel, und ich möchte nicht der sein, den er annimmt.“

„Desto besser!“ lachte der Rothbärtige. „Hält er Stand, so hetzt man den wagehalsigen jungen Prinzen auf ihn, und das Unthier erspart uns vielleicht die Mühe, ihn drüben in den Hinterhalt zu locken.“

„Hört, Leibjäger,“ brummte der Alte, „dieser Hinterhalt molestirt mir das Gewissen, und wenn ich Euch gewähren lasse in dem, was ich nicht hindern darf, so ist das Alles, was der Herr Herzog von mir verlangen kann.“

„Gut, gut! Mehr begehren wir nicht von Euch. Was geht's auch Euch an? Alles fällt auf mich. Ich hab' ein Gewissen, wie Ihr, und mir macht's keine Pein. Mein Fall ist einfach. Der Herzog von Cleve schickt mich Namens unseres gnädigen Fräuleins zu Euch nach Verviers, um Schwarzwild für die Hoftafel zu bestellen, und giebt mir, wie Ihr gelesen, Vollmacht und Befehl für Euch und alle Wildmeister und alle Hauptleute mit, daß Ihr mir helfen sollt, die Praktiken des Herrn Maximilian in Köllen auszukundschaften. Nichts fürchtete er mehr, als der Prinz möge nach Gent kommen wollen, ehe denn acht Tage um sind, denn bis dahin muß sich entschieden haben, ob sein Herr Sohn Herzog von Burgund wird. Deshalb hat er auch auf alle Heerstraßen zur deutschen Grenze Mannschaft entsendet, um ihm den Weg zu verlegen, und zweihundert Rosenobles hat er mir für den versprochen, der ihm den Prinzen, wenn er sich über die Grenze wagt, in seine Gewalt bringt. Zweihundert Rosenobels, das macht zweitausendachthundert Schillinge. Morbleu! Ich also komme zu Euch nach Verviers und muß von Euch hören, daß das Hochwild mir in die Hände läuft, daß der Prinz hier Grenzjagd halten will; ich gehe zum Hauptmann der Cleveschen und zeige meinen Befehl, er giebt mir fünfzig Fußknechte mit, dort drüben hinter der Grenze in der Waldschlucht stehen sie bereit, hier liegen die Sauen, in die Schlucht bringe ich sie sicher, Alles stimmt; ich biete Euch halb Part – und da sprecht Ihr mir im letzten Augenblick von Gewissensmolesten! Gut, gut! So Ihr nicht mit mir theilen wollt, habe ich nichts dagegen. Kommt Ihr mir aber irgendwie in die Quere, so wißt Ihr, der Herzog von Cleve fackelt nicht lange!“

„'s ist schändliche Hinterlist!“ ächzte der Alte. „Ich mit meinen grauen Haaren, ein Collega des kaiserlicher Waldvogts, den ich mit dem jungen hohen Herrn selbst eingeladen!“

„Was wußtet Ihr davon, als Ihr's thatet? Und was kümmert Euch das Thun des Herzogs? Krieg ist Krieg! Mit den Franzosen ist's ein offener, und wer weiß, wer da zuletzt noch des Andern Herr wird, mit dem deutschen Prinzen aber ist's ein geheimer. Der sammelt sicher schon im Stillen seinen Heerbann, und Tausende werden bluten müssen, wenn er Niederland damit überzieht! Will es wohl wieder deutsch machen, wie es schon einmal gewesen. Jetzt läßt sich's noch hindern, und wer ein getreuer Diener ist, der muß dazu mithelfen. Was wird dem Prinzen auch Schlimmes geschehen! Auf vier Wochen in ein festes Schloß – das ist Alles. ... Achtung! Seht dort die schwarzen Punkte über dem Röhricht! Die Sauen winden, den Rüssel in der Luft! Die Deutschen müssen im Anzuge sein. Kommt ihnen mit mir entgegen! Dort oben ist das Kreuz, das Ihr zum Stelldichein vorgeschlagen habet! Ist einmal ein Jäger im Schneesturm dort verunglückt. Solch ein Wahrzeichen soll Unglück bringen. Lassen wir sie vor uns hin, dann fällt's auf sie! Nun, wie ist's? Kommt Ihr?“

Der Alte kämpfte noch immer mit sich.

„Ihr wollt nicht? Nun, so reitet in's drei Teufels Namen heim! Dort im Walde folgt Euer Knecht mit den Kleppern. Ich weiß, was ich zu thun habe, ich gebe mich, wie wir ausgemacht, für Eueren Nachbar, den Wildmeister von Theux, aus und besorge das Weitere. Gehabt Euch wohl!“

Sprach's mit unverhaltenem Ingrimm und schlug sich hinter den Stämmen den Waldrand hinan.

Der Graubärtige aber seufzte noch einmal tief auf, faßte dann einen gewaltsamen Entschluß und folgte ihm langsam zur Höhe.

Nur wenige Minuten, und unweit der Nordecke des Waldes, wo weithin sichtbar ein rohes Holzkreuz ragte, kam ein Trupp von vier Reitern herangesprengt. Ihnen folgte von fern auf Jagdkleppern ein Troß von Dienstleuten und Jagdhütern, welche eine Meute von zusammengekoppelten Rüden von gelblicher Farbe und ungemeiner Größe mit Peitschenhieben zur Ruhe verwiesen, so oft sie die längst gewitterte Nähe ihrer Beute mit lauten Jauchzern begrüßen wollte.

Am Holzkreuz hielten die Reiter, spähende Blicke um sich werfend. Nur der jüngste sprang vom Sattel und blickte, sein dampfendes Pferd am Zügel haltend, dienstbereit auf, als ob er Befehle erwarte.

Es wär ein schmächtig aufgeschossenes Jünkerlein von etwa siebenzehn Jahren, in Grün und Grau gekleidet. Das schwarzlockige Haar quoll ihm unter dem mit Spielhahnsfeder geschmückten Barett so üppig hernieder, daß er mit den weichen Zügen, gelblich wie Wachs, und den großen schwarzen Augen gar wohl für ein welsches Mädchen hätte gelten können, wenn nicht die enge Spannung des Wammses zwischen den Schultern, die scharfgeschnittene kecke Nase und eine gewisse Verwegenheit im Blick den angehenden Jüngling bekundet hätte. Sein knapper Anzug, die engen, aus den Schnabelschuhen gleichsam herauswachsenden Beinkleider, unter dem Gürtel an das grüne Wamms genestelt, mit dem Dolch am Kettchen und dem Täschchen am Gürtel, war noch der reine Typus der Tracht des Jahrhunderts; aber die vielen Falten des feinen Hemdes, das durch die Litzen des vorn im Dreieck geschnürten Wammses und an den Seiten der engen, zu freierer Bewegung am äußeren Ellenbogen gespaltenen Aermel hervorsah, konnten schon als Vorboten künftiger Schlitz- und Puffenzeit erscheinen.

So wartete er neben seinem Pferde, den einen Fuß nachlässig

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