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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Nachtschattengewächsen gefunden, von denen besonders der schwarze Nachtschatten (Solanum nigrum) zu erwähnen ist, ferner auf Disteln (Carduus paluster und lanceolatus), Gänsefußarten (Chenopodium hybridum und album), Knöterich (Polygonum hydropiper) und auf Ackersenf (Sinapis arvensis).

Der Käfer gehört zur Familie der Blattkäfer (Chrysomelina) und hat als solcher viergliedrige Füße. Er erreicht die Länge von elf bis vierzehn Millimeter und die Breite von sieben Millimeter. Die kurzen Fühler, welche in der Nähe der Augen eingelenkt sind, endigen mit einer fünfgliedrigen schwarzen Keule. Sehr charakteristisch sind die zehn schwarzen Längsstreifen (daher die Bezeichnung decimlineata, sowie die schwarze Naht auf den hellgelben Flügeldecken. Die rothgelbe Stirn zeigt einen herzförmigen schwarzen Fleck. Am rothgelben Halschild finden sich außer dem schwarzen Vorder- und Hinterrand noch elf schwarze Punkte. Der Körper ist halbkreisförmig gewölbt, von rothgelber Grundfarbe, unbehaart und wenig glänzend. Die Bauchseite zeigt viele schwarze Punkte. – Die birnförmigen Larven sind in ganz jugendlichem Zustande dunkelroth, mit dem Alter nehmen sie eine hellrothe oder rothgelbe Farbe an. Die Larven werden durchschnittlich elf bis zwölf Millimeter lang und bis sechs Millimeter breit. Als die hauptsächlichsten Kennzeichen sind zu nennen: schwarzer Kopf, schwarzer Hinterrand des ersten Leibesringes, schwarze Beine und zwei Längsreihen rundlicher, warzenartiger Erhöhungen von schwärzlicher Färbung an den Seiten des Körpers. Die Larve ist ebenso wenig wie der Käfer dem Verwechseln mit anderen deutschen Insecten ausgesetzt. Wer den Käfer einmal gesehen hat, der wird ihn nie verkennen.

Einem Freunde, welcher vor einigen Jahren Gelegenheit hatte, den Kartoffelkäfer in Michigan und Ohio zu beobachten, verdanke ich über ihn folgende mündliche Mittheilungen. Der Kartoffelkäfer kommt Ende April, Anfangs Mai, und je nach Umständen auch erst Mitte Mai aus der Erde zum Vorscheine, gewöhnlich in der Zeit, in welcher seine Lieblingsnahrung, die Kartoffelpflanze, die ersten Blätter getrieben hat. In den nächsten warmen Tagen findet die Begattung statt. Bald darauf legt das Weibchen seine Eier,[1] welche von orangegelber Farbe sind, in rundlichen Klumpen von zehn bis fünfzehn Stück an die Unterseite der Kartoffelblätter. Nach Verlauf von sechs bis neun Tagen schlüpfen die Larven aus den Eiern heraus und sind, nachdem sie sechszehn bis zwanzig Tage von den Kartoffelblättern gefressen haben, zur Verpuppung reif. Die Verpuppung findet in der Erde statt. Nach weiteren zehn bis vierzehn Tagen kriechen die Käfer aus, begatten sich schon in den nächsten Tagen und legen Eier; so können in einem günstigen Sommer drei Generationen erzeugt werden.

Die letzte Generation verbirgt sich gegen die Winterkälte in der Erde und fällt in den sogenannten Winterschlaf, welcher bis zu den ersten warmen Frühlingstagen dauert. Die Larven, sowie der Käfer fressen das Parenchym der Kartoffelblätter von innen, nicht vom Rande her beginnend, und lassen gewöhnlich die größeren Rippen unberührt, sodaß ein mittelmäßig präparirtes Blattskelet übrig bleibt. Der Käfer fliegt selten.[2] Auf seinen Wanderungen läßt er sich am liebsten vom Wasser in die neue Heimath tragen. So sah mein Freund z. B. unzählige Mengen nach der etwa vier bis fünf deutsche Meilen von dem Ufer des Eriesees gelegenen Insel North Baff Island schwimmen. Der Käfer schwimmt wohl weniger, als daß er sich den Wellen anvertraut. Als Vertilgungsmittel wurden in Anwendung gebracht das Sammeln und das Abschütteln der Käfer und Larven. Die durch das Abschütteln auf die Erde gefallenen Thiere sollten durch die warme Erde so abgeschwächt werden, daß sie nicht mehr im Stande wären, den Kartoffelberg hinan zu klimmen. Beide Methoden waren aber ohne wesentlichen Erfolg.

Seitdem der Kartoffelkäfer auch die Küsten des atlantischen Oceans zu seinem Wohnsitz aufgesucht, hat man in Europa eine gewisse Furcht vor seiner Einschleppung durch den Schiffsverkehr, und deshalb sind seit jener Zeit die verschiedensten Maßregeln seitens der Regierungen gegen ihn getroffen worden. Es dürfen z. B. keine Kartoffeln aus Amerika nach Deutschland eingeführt werden, alle von Amerika kommenden, irgendwie auf Käfer, Larven und Eier verdächtigen Sachen werden genau untersucht, Küchenabfälle müssen vor der Landung der Schiffe in den deutschen Häfen vernichtet werden. Diese Bestimmungen genügten, um den Kartoffelfeind von Deutschland fern zu halten. Wenn dann und wann Gerüchte über das Vorkommen des Kartoffelkäfers in Deutschland durch die Zeitungen liefen, so waren dieselben doch keineswegs beglaubigt. Daß aber der Käfer trotz aller dieser Vorsichtsmaßregeln dennoch vor Kurzem nach Deutschland eingeschleppt wurde, kann uns nicht wundern, wenn wir bedenken, auf wie verschiedene Art und Weise ein solcher Kerf sich verbreiten kann. Er ist im Juni dieses Jahres in Mülheim bei Köln auf Kartoffelpflanzen gefunden worden. Um seine Verbreitung in Deutschland zu verhüten, wurde sofort vom preußischen landwirthschaftlichen Ministerium der bekannte Fachmann Professor Dr. Gerstäcker beauftragt, die nöthigen Maßregeln zur Vertilgung des Kerfs in Mülheim zu treffen. Laut den neuesten Berichten soll seine Vernichtung ausgezeichnet gelungen sein.

Verfasser ist aber durchaus nicht der Meinung, daß der Kartoffelkäfer ein so gefährlicher Gast ist, als er verschrieen wird. Die Nachrichten aus Amerika sind größtentheils als übertrieben anzusehen, außerdem scheinen die Bedingungen für die Entwickelung des Insects dort günstiger zu sein, als in Deutschland. Einige Beispiele als Beleg für letztere Vermuthung finden sich am Ende dieses Aufsatzes. Daß Jahre kommen können, welche die Vermehrung des Kerfs außerordentlich begünstigen, und er dann, wenn er in ungeheuren Schaaren auftritt, den Kartoffelfeldern schädlich wird, muß allerdings zugegeben werden, doch dürfte zu bezweifeln sein, daß er alljährlich oder etwa ein Jahr um das andere Jahr, oder alle drei bis vier Jahre solche Verwüstungen anrichten würde, daß die Einschleppung des Käfers nach Deutschland gleichbedeutend ware mit dem gänzlichen Ruin der deutschen Kartoffelcultur,[3] auf welcher in vielen Gegenden theils die Landwirthschaft, theils und hauptsächlich die Ernährung eines großen Theils der Bevölkerung beruht. Daß dem nicht so sein dürfte, mögen die folgenden Zeilen zeigen.

Die Vermehrung des Käfers kann, wie wir vorhin gesehen, eine ungeheure sein. Jedoch haben solche Berechnungen, wie sie in verschiedenen Zeitschriften ausgestellt worden sind, um die Gefährlichkeit des Insects so recht in den schwärzesten Farben darzustellen, durchaus keinen praktischen Werth. So findet sich in einem Artikel, welcher durch das königlich preußische Ministerium für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten bekannt gemacht worden ist, folgende Berechnung: „Haben im Mai auch nur hundert Weibchen auf ein Kartoffelfeld ihre Eier abgesetzt, so würde ihre Nachkommenschaft bereits in diesem Monat sich auf 70,000 bis 120,000 Stück belaufen,[4] von denen unter günstigen Umständen im Juni und Juli eine Anzahl von 24 bis 72 Millionen entstehen könnte, was dann für die dritte in den August fallende Entwickelung schon ganz unzählbare Massen von Thieren ergeben würde.“

Die Wirklichkeit bleibt aber himmelweit von dieser theoretischen Zahlenspielerei entfernt. Wurde die bloße Möglichkeit der Vermehrung in der Natur zur Wirklichkeit, so bestünde in gar nicht langer Zeit das ganze organische Reich der Erde vorwiegend aus Kartoffelkäfern. Es sei uns erlaubt, hier einige interessante Beispiele über die theoretische Möglichkeit der Vermehrung einiger anderer Thiere anzuknüpfen. Nach Réaumür’s Berechnung kann sich die Nachkommenschaft eines einzigen Blattlausweibchens im Laufe eines Sommers auf nahe an sechstausend Millionen steigern. Wenn von den mehreren Millionen Eiern, welche

  1. Wie viel Eier der Käfer absetzt, ist noch nicht genau ermittelt, aber so viel mag gewiß sein, daß die Zahlen vierhundert, siebenhundert und zwölfhundert, wie man sie hier und dort angegeben findet, weit übertrieben sind. So fruchtbar sind die Thiere aus der Ordnung der Käfer im Allgemeinen nicht. Durchschnittlich legt ein Käfer wohl selten mehr als fünfzig Eier. Der Maikäfer (Melolontha vulgaris) legt z. B. nur zwölf bis dreißig Eier, der Erlenblattkäfer (Agelastica alni) fünfundzwanzig bis vierzig Eier, der Pappelblattkäfer (Chrysomela populi) fünfunddreißig bis fünfundvierzig Eier.
  2. Nach anderer Beobachtung fliegt der Käfer auf seinen Wanderungen, wie es ja bei allen anderen vollkommenen Insecten der Fall ist. Es ist leicht möglich, daß in dem von meinem Freunde beobachteten Falle der Käfer auf seinem Ausfluge durch Sturm in’s Wasser geschleudert worden war.
  3. Diese Ansicht hat in letzterer Zeit vielfach die Runde durch die Zeitschriften gemacht.
  4. Nach diesen Zahlen legt ein Käfer 700 bis 1200 Eier, was aus früher schon erwähnten Umständen aber nicht der Fall sein dürfte. Die Zahl 700 ist auch in den neuesten Berichten über den Kartoffelkäfer festgehalten worden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_523.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)