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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Chinesische Zauberspiegel.

In einer nicht geringen Zahl von Künsten und Fertigkeiten sind die Chinesen, auf die wir uns oftmals bemüßigt finden, mit völlig unberechtigter Geringschätzung herabzusehen, uns nicht nur der Zeit nach weit vorausgeeilt, sondern lassen auch heute noch unsere Industrie weit hinter sich. Wir brauchen nur an das Porcellan und Schießpulver, an Metallmischung und Metallfärbung, an die Papier- und Seiden-Manufactur, an eingelegte und Lackarbeiten zu erinnern, um unser Gerechtigkeitsgefühl anzuregen. Auf der vor

Genaues Facsimile der Rückseite des Sentker’schen Zauberspiegels.
Vorder- und Seiten-Ansicht der Dornblüthen, um die eigenthümliche Form der löffelartig gehöhlten Blumenblätter, der fünf Klümpchen bildenden Staubfäden und der herzförmigen Flügelfrüchte noch deutlicher zu zeigen.

einigen Monaten in Berlin veranstalteten chinesisch-japanesischen Ausstellung konnte man sich von jenem Vorurtheil gründlich heilen und mit staunenden Blicken die Erzeugnisse einer Reihe von Kleinkünsten bewundern, vorwiegend dazu bestimmt, das Leben reizvoller zu gestalten und jenem „höchst nothwendigen Bedürfniß, welches man Ueberfluß nennt“, dem Luxus, zu dienen, tausend kleine, in unseren Werkstätten unnachahmliche Meisterwerke der Geduld und Geschicklichkeit eines eigenartigen, aber nicht reizlosen Geschmackes. Selbst so einfach scheinende Dinge, wie ihre Metallgüsse und Metallzusammensetzungen bieten unserer Technik immer noch Räthsel in Fülle, trotz unserer fortgeschrittenen Metallchemie; es ist hier eben Probiren über Studiren gegangen, und gerade in kleinen Kunstgriffen und Handwerks-Geheimnissen scheinen diese mongolischen Metallkünstler, die wahrscheinlich die ältesten Metallbearbeiter der Welt sind, selbst den listigen und verschlagenen, in geheimen Künsten wohlbewanderten Zwergen der nordischen Sage und den Telchinen, jenen metallkundigen Schwarzkünstlern auf Creta und Rhodus, den Rang abzulaufen. – Ein hübsches Stückchen von dieser uralten telchinischen Schmieds-Verschlagenheit bieten die immer seltener werdenden chinesischen Zauberspiegel dar, bei deren Untersuchung selbst gebildete Leute auf die Idee kommen können, daß es dabei „nicht mit rechten Dingen“ zugehe. Es sind dies meistens kreisrunde metallene Handspiegel, welche die Figuren, chinesischen Schriftzeichen und geheimnißvollen Charaktere, die auf ihrer Rückseite in erhabener, eingelegter oder eingravirter Arbeit dargestellt sind, mit aller Deutlichkeit in dem von der Vorderfläche auf eine weiße Wand gespiegelten Sonnenschein darstellen. Die Figuren erscheinen auf der Wand entweder als Schattenbilder auf leuchtendem Grunde oder als lichte Figuren auf dunklerer Fläche, aber obwohl sie vermittelst der Spiegelfläche auf die Wand geworfen werden, ist auf derselben nicht das Mindeste von ihnen zu bemerken, man mag diese wenden und betrachten, wie viel man will. Und von der Rückseite können sie doch offenbar nur durch Hexerei auf die Wand kommen.

Der Schreiber dieser Zeilen hatte kürzlich Gelegenheit, diese seltsame und im höchsten Grade überraschende Wirkung an einem im Besitze des Herrn Director L. Sentker in Berlin befindlichen Spiegel dieser Art zu studiren, und um dem Leser einen Begriff von diesen nur in wenigen Exemplaren nach Europa gekommenen Curiositäten Ostasiens zu geben, fügen wir dieser Skizze ein Facsimile der Rückseite des Spiegels bei, welche das auf der Wand erscheinende Bild in gegossenem Relief darstellt. Das Material ist eine gelbliche Bronze, die auf der schwach convexen und daher etwas verkleinernden, aber ein sehr reines Bild gebenden Spiegelfläche mit einer dünnen, silberweißen Metallschicht überzogen ist. Die Dicke des Randes beträgt drei Millimeter, aber da dieser Rand anderthalb Millimeter über die Bildfläche emportritt, beträgt die allgemeine Dicke der Scheibe nur noch ebenso viel, sodaß sie sich sehr leicht und bequem als Toilettenspiegel an dem mit Bambusfaser umwundenen und angegossenen Stiele handhaben läßt. Die Rückseite zeigt auf rauh gekörntem Grunde in niedrigem Relief den berühmten chinesischen Drachen Lung, der sich unter einem blühenden Dornstrauche und neben einigen Bambusstämmen auszuruhen, respective zu ergehen geruht.

Dieser Drache Lung, der bald als Hirsch, bald als Pferd, schuppiges Reptil oder wie hier als Tiger dargestellt wird, bietet keine Berührungspunkte mit dem scheußlichen, gefürchteten und feuerspeienden Drachen der griechischen und deutschen Sage; er ist in den Augen der Chinesen vielmehr das verehrungswürdigste und barmherzigste aller Wesen, und jeder echte Sohn des himmlischen Reiches würde es sich zum unsterblichen Ruhme schätzen, ein alter oder junger Drache genannt zu werden, wenn dieses unendliche Glück überhaupt einem andern Sterblichen zu Theil werden könnte, als dem Kaiser. Die Selbstherrscher des Reiches der Mitte leiten sich nämlich höchstselbst von der allerheiligsten Drachenbrut ab und die ersten, klügsten und wohlthätigsten Fürsten dieser Dynastie besaßen selbst Drachengestalt. Dieser eigentliche heilige Drache der Chinesen, für welchen der unseres Spiegels nur wie ein Sinnbild erscheint, wird mit Hirschgeweihen, Ochsenohren, Kameelkopf, Schlangenhals, Tigerfüßen, Adlerkrallen und Fischschuppen dargestellt; er thront hoch oben in der Luft und betritt nur dann einmal die Erde, wenn etwas ganz Außerordentliches geschehen soll. Er ist aber trotz seines schlimmen Aussehens so fromm und liebenswürdig, daß er jedem Wurm und Insect, denen er begegnet, aus dem Wege geht, um sie nicht zu zertreten.

Daß das Bild auf unserm Spiegel wirklich diesen frommen und Glück bringenden Drachen darstellen soll, beweist das darüber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_487.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)