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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Natürlich baute ihnen die Erinnerung bald eine Brücke, welche sie in die unerwartet freudige Gegenwart wie auf ein mitten im Strome liegendes Eiland führte und ihnen jenseits das Gestade der Zukunft zeigte, schön und klar wie einen beginnenden Frühlingsmorgen voll Blattrauschen und Blüthenduft.

Dennoch waren es die Gedanken an die Zukunft, welche an dem so sonnenheitern Horizont rasch einige Wolken des Unmuths und Zwiespalts emporsteigen machten.

Engerl wollte durchaus nichts davon hören, als Wildl von ihrem Einzuge auf dem Himmelmoose und von der Art begann, wie sie ihr Haus- und Heimwesen dort einrichten würden; bei der bloßen Erwähnung schrak sie in Wildl’s Armen schaudernd zusammen und suchte sich von ihm los zu machen. „Nein, nein,“ rief sie, „das mußt Du nit verlangen von mir. Ich glaub’ jetzt an Dich, Wildl, und thät’ meine Hand für Dich in’s Feuer legen, daß Du unschuldig bist, aber die Leut’, die Leut’ glauben’s nit. Ich hab’s oft genug hören müssen in meine eigene Ohren hinein, daß sie’s nit glauben. Der Verdacht thät auf uns liegen bleiben, wie wenn man ein Zeichen in einen Baum einbrennt; sie thäten mich und Dich von der Seiten und über die Achsel anschaun – verlang’ von mir, was Du willst, Wildl – nur das nit! Das thät ich nit aushalten.

„Aber wie kommst mir denn vor!“ sagte Wildl erstaunt. „Was sollten wir denn sonst thun?“

„Wie Du fragen kannst!“ erwiderte sie. „Was ich allein hab’ thun wollen, das thun wir mit einander – wir wandern aus; wir gehn über’s Meer.

„Was fallt Dir ein!“ rief Wildl in unverhohlenem Unmuth und wollte sich erheben. „Da müßt’ ich das Himmelmoos verkaufen, den Prachthof, wo ich daheim bin, wo mein Vater gehaust hat, mein Ahnl und –“

Das Mädchen zog ihn schmeichelnd auf die Betbank zurück und flüsterte mit ihrem zärtlichsten Tone: „Das wirst thun müssen, Wildl, aber hast Du’s denn nit schon thun wollen? Weißt Du’s noch, wie wir auf dem Rain bei der Rundcapellen gesessen sind – weißt Du’s noch, was Du damals geredet hast?“

„Ich hab’s nit vergessen, aber das war etwas ganz Anderes. Dazumal hab’ ich so geredt, um dem Unrecht auszuweichen, das mir der Vater hat anthun wollen. Jetzt will man mir wieder Unrecht thun und mich von Haus und Hof treiben – das leid’ ich nit: ich will mich nit zwingen lassen, jetzt ebenso wenig, wie dazumal.“

„Das ist nit Dein Ernst – das kann nit Dein Ernst sein,“ sagte das Mädchen und haschte nach seiner wie drohend erhobenen Hand.

„Und warum kann es nicht sein?“ erwiderte er, sich unsanft losmachend. „Ich kann wohl und muß sogar – ich muß sogar aus demselben Grunde, aus welchem Du mich forthaben willst. Wenn ich ging’, würden alle Leut’ sagen, daß ich mich fürchte, daß mein Gewissen mir keine Ruhe ließ auf dem Hof, bleib’ ich aber ruhig, dann müssen sie es mit Händen greifen, daß ich mich nicht fürchte und daß ich keine Ursach’ hab’, mich zu fürchten.“

„Und Du kannst doch nicht – wir alle zwei können nicht,“ begann Engerl begütigend wieder. „Und wenn’s auch nit wegen der Leute wär’; wir selber könnten an dem Ort, wo ein so großes Unglück geschehen ist, keine rechte ruhige Stund’ haben – ich mein’ es müßte grauslich sein; wenn wir aber fort gehn, bleibt das Alles im Hof zurück: wir können ein vergnügtes und glückliches Leben führen, wo man uns nit kennt, wo wir zwei allein sind, allein mit unserm Herrgott und unserem guten Gewissen – Du mußt Dich nicht in den Trutz hineinreden,“ fuhr sie, sich an ihn schmiegend, fort, „Du hast denselben Trutz in Dir, wie Dein armer Vater.“

„Mein Vater,“ entgegnete Wildl, „hat nur überall sein Wort gehalten: das ist keine Schand’, und das will ich auch thun …“

„Dann muß man sich halt besinnen, eh’ man sein Wort giebt, und Du magst ein solches Wesen taufen, wie Du willst – glücklich hat’s Deinen Vater nicht gemacht … Und glücklich,“ setzte sie hinzu, da er unmuthig schwieg, „glücklich wird es Dich auch nicht machen.“

„Ich will’s darauf ankommen lassen.“

„So thu’s – geh’ Deinen Weg! Ich geh’ dann den meinigen. Ich bin ein einfaches Mädel, das nit viel gelernt hat, aber ich hab’ eine Stimm’ in mir – da drinnen unterm Brustfleck; die hat mir noch nie das Unrechte eingesagt, drum will ich ihr auch jetzt folgen. Und drum sag’ ich: ich geh’ nicht als Bäurin auf den Himmelmooserhof, aber ich geh’ mit Dir, wohin Du willst. In alle die wilden Länder, von denen ich gehört und gelesen hab’. Und wenn wir dort keinen Pflug hätten und wenn ich den Acker mit den Händen umgraben müßt’ – ich lass’ nit von Dir.“

„Und wenn ich Dich jetzt im Ernst fragen thät’ – ob Du nicht bei mir bleibst?“

„An mir ist das Fragen, nicht an Dir. – Ich hab’ Dich schon gemahnt, wie wir am Tag vor dem Unglück auf dem Capellenrain beisammen gesessen sind. Damals hast Du mir freiwillig Dein Wort gegeben, Du wolltest um mich den Hof verschmerzen und in die Welt gehn, um eine Heimath zu suchen für uns zwei – war’s nicht so? Wenn ich Dich nun fragen thät, ob Du jetzt Dein Wort halten oder von mir lassen willst?“

„Engerl!“

„Es ist nicht anders – damals freilich hast Du keine Hoffnung auf den Hof gehabt; damals ist es Dir wohl nit so schwer gefallen, ihn aufzugeben, als jetzt, wo er Dein Eigenthum ist. Das ändert freilich viel – es kommt jetzt nur auf Dich an, was Dir mehr gilt, der Hof oder ich, denn ich kann nit anders, und wenn ich Dir’s auch nit so recht auseinander legen kann – ich spür’s inwendig, daß ich nit anders kann. Besinn’ Dich nit lang und sorg’ Dich nit etwa um mich! Ich werd’ Dir nit bös sein und werd’s verwinden mit der Gotteshilf’. Ich hab’ mich schon einmal in Gottes Willen ergeben gehabt und hab’ verzicht’ auf Dich, wie ich Dich noch für einen verlorenen Menschen hab’ halten müssen; jetzt werd’ ich’s um so leichter verwinden, weil ich denken kann, daß Du im Himmelmoos reich und glücklich und unschuldig bist. Drum red’,“ fuhr sie fort und erhob sich. „Du mußt Dich entschließen – so thu’s geschwind! Es will sich ohnedem nit schicken, daß ich so lang mit Dir da allein bin, wenn es auch ein heiliger Ort ist. Entschließ’ Dich! Du hast die Wahl zwischen dem Himmelmoos und – mir.“

Es war kein leichter Kampf, den Wildl zu bestehen hatte, aber die Liebe zu dem Mädchen war ihm so tief in die Seele gewachsen, daß der Gedanke, den Hof aufzugeben, mit jedem Augenblick an seiner ersten Furchtbarkeit verlor – sah er ihr doch an und wußte, daß sie bei ihrem Vorsatze bleiben würde, und war doch andrerseits das Bild einer neu zu wählenden Heimath ihm allmählich ein so vertrautes geworden, daß es lichtvoller und farbiger vor ihm stand, als die verdüsterte, ohne sie vollends in kalte Dämmerung versinkende Heimath.

„Du kannst Recht haben, Mädel,“ sagte er nach einer Weile, „ich bin doch schon eine gute Zeit auf dem Hof, aber niemals ist mir noch zu Muth gewesen, als wenn ich daheim wäre; immer hat mir etwas gefehlt, und das bist Du. Ja, ich mach’ es wie mein Vater, und was ich Dir an der Capelle versprochen hab’ – ich halt’s. Ich halte mein Wort. Gleich morgen geh’ ich zum Vorsteher und red’ es mit ihm ab wegen des Verkaufens – und wie das geschehn ist, auf und fort miteinander in die Welt!“

„Ich hab’ es ja gewußt,“ sagte Engerl, sich zärtlich an ihn schmiegend, „mein Herz hat mir gesagt, daß Du nicht von mir lassen wirst, und es soll Dich nit reuen, und ich will Dir danken dafür all meine Lebtag. Aber so geschwind geht es mit dem Fortgehn nit.“

„Was wär’, das uns aufhalten könnt?“

„Du darfst nit im Verdruß fortgehn. Du mußt erst Abschied nehmen von der alten Bas’, der Judika, die ihr ganzes Herz an Dich gehängt hat.“

„Sie hat es aber auch gar geschwind und leicht losgemacht und mit fortgenommen … Ich will nichts mehr hören von ihr.“

„Red’ nit so, versünd’ Dich nit an der alten treuen Person, die leicht mehr Herzweh ausgestanden hat als wir alle miteinander! Wenn Du mir ein bissel gut bist, darfst Du nit so fortgehn. Du mußt sie aufsuchen, mußt Abschied von ihr nehmen und für sie sorgen.“

„Du bist halt mein wahrhaftiges Engerl,“ rief Wildl sie an sich ziehend, in weichem Tone, „ich muß Dir in Allem den Willen thun. Aber wie soll ich sie finden? Ich weiß ihren

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